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Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 2. Hamburg, 1827.

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rahm deckt, so wie auch eine lange, magere
Blitzableiterin, wodurch die große Johannis¬
straße im Sommer gesichert wird.

Wie gesagt, die Tugend der Insulanerin¬
nen ist vor der Hand geschützt, und wenn sie
Kinder mit badegästlichen Gesichtern zur Welt
bringen, so erklärt sich dieses aus jenen psycho¬
logischen Gesetzen, die Goethe in den Wahl¬
verwandtschaften so schön entwickelt. Wie viele
räthselhafte Naturerscheinungen sich durch jene
Gesetze erklären lassen, ist erstaunlich. Als ich
voriges Jahr, durch Seesturm, nach einer an¬
deren ostfriesischen Insel verschlagen wurde, sah
ich dort in einer Schifferhütte einen schlechten
Kupferstich hängen, la tentation du vieillard
überschrieben, und einen Greis darstellend,
der in seinen Studien gestört wird durch
die Erscheinung eines nackten Weibes, das bis
an die Hüften aus einer Wolke hervortaucht;
und sonderbar! die Tochter des Schiffers hatte
dasselbe lüsterne Mopsgesicht wie das Weib auf

rahm deckt, ſo wie auch eine lange, magere
Blitzableiterin, wodurch die große Johannis¬
ſtraße im Sommer geſichert wird.

Wie geſagt, die Tugend der Inſulanerin¬
nen iſt vor der Hand geſchuͤtzt, und wenn ſie
Kinder mit badegaͤſtlichen Geſichtern zur Welt
bringen, ſo erklaͤrt ſich dieſes aus jenen pſycho¬
logiſchen Geſetzen, die Goethe in den Wahl¬
verwandtſchaften ſo ſchoͤn entwickelt. Wie viele
raͤthſelhafte Naturerſcheinungen ſich durch jene
Geſetze erklaͤren laſſen, iſt erſtaunlich. Als ich
voriges Jahr, durch Seeſturm, nach einer an¬
deren oſtfrieſiſchen Inſel verſchlagen wurde, ſah
ich dort in einer Schifferhuͤtte einen ſchlechten
Kupferſtich haͤngen, la tentation du vieillard
uͤberſchrieben, und einen Greis darſtellend,
der in ſeinen Studien geſtoͤrt wird durch
die Erſcheinung eines nackten Weibes, das bis
an die Huͤften aus einer Wolke hervortaucht;
und ſonderbar! die Tochter des Schiffers hatte
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[53/0061] rahm deckt, ſo wie auch eine lange, magere Blitzableiterin, wodurch die große Johannis¬ ſtraße im Sommer geſichert wird. Wie geſagt, die Tugend der Inſulanerin¬ nen iſt vor der Hand geſchuͤtzt, und wenn ſie Kinder mit badegaͤſtlichen Geſichtern zur Welt bringen, ſo erklaͤrt ſich dieſes aus jenen pſycho¬ logiſchen Geſetzen, die Goethe in den Wahl¬ verwandtſchaften ſo ſchoͤn entwickelt. Wie viele raͤthſelhafte Naturerſcheinungen ſich durch jene Geſetze erklaͤren laſſen, iſt erſtaunlich. Als ich voriges Jahr, durch Seeſturm, nach einer an¬ deren oſtfrieſiſchen Inſel verſchlagen wurde, ſah ich dort in einer Schifferhuͤtte einen ſchlechten Kupferſtich haͤngen, la tentation du vieillard uͤberſchrieben, und einen Greis darſtellend, der in ſeinen Studien geſtoͤrt wird durch die Erſcheinung eines nackten Weibes, das bis an die Huͤften aus einer Wolke hervortaucht; und ſonderbar! die Tochter des Schiffers hatte daſſelbe luͤſterne Mopsgeſicht wie das Weib auf

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Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 2. Hamburg, 1827, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder02_1827/61>, abgerufen am 30.04.2024.