Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 2. Hamburg, 1827.

Bild:
<< vorherige Seite

die von dem Geldgewinn, der ihnen durch die
Badeanstalt zufließt, nimmermehr aufgewogen
werden. Dieses Geld reicht nicht hin für
die eindringenden, neuen Bedürfnisse; daher in¬
nere Lebensstörung, schlimmer Anreiz, großer
Schmerz. Als ich ein Knabe war, fühlte ich
immer eine brennende Sehnsucht, wenn schön¬
gebackene Torten, wovon ich nichts bekommen
sollte, duftig-offen, bey mir vorübergetragen
wurden; späterhin stachelte mich dasselbe Ge¬
fühl, wenn ich modisch entblößte, schöne Da¬
men vorbeyspatzieren sah; und ich denke jetzt
die armen Insulaner, die noch in einem Kind¬
heitszustande leben, haben hier oft Gelegenheit
zu ähnlichen Empfindungen, und es wäre gut,
wenn die Eigenthümer der schönen Torten und
Frauen solche etwas mehr verdeckten. Diese vie¬
len unbedeckten Delikatessen, woran jene Leute
nur die Augen weiden können, müssen ihren Ap¬
petit sehr stark wecken, und wenn die armen
Insulanerinnen, in ihrer Schwangerschaft, aller¬

die von dem Geldgewinn, der ihnen durch die
Badeanſtalt zufließt, nimmermehr aufgewogen
werden. Dieſes Geld reicht nicht hin fuͤr
die eindringenden, neuen Beduͤrfniſſe; daher in¬
nere Lebensſtoͤrung, ſchlimmer Anreiz, großer
Schmerz. Als ich ein Knabe war, fuͤhlte ich
immer eine brennende Sehnſucht, wenn ſchoͤn¬
gebackene Torten, wovon ich nichts bekommen
ſollte, duftig-offen, bey mir voruͤbergetragen
wurden; ſpaͤterhin ſtachelte mich daſſelbe Ge¬
fuͤhl, wenn ich modiſch entbloͤßte, ſchoͤne Da¬
men vorbeyſpatzieren ſah; und ich denke jetzt
die armen Inſulaner, die noch in einem Kind¬
heitszuſtande leben, haben hier oft Gelegenheit
zu aͤhnlichen Empfindungen, und es waͤre gut,
wenn die Eigenthuͤmer der ſchoͤnen Torten und
Frauen ſolche etwas mehr verdeckten. Dieſe vie¬
len unbedeckten Delikateſſen, woran jene Leute
nur die Augen weiden koͤnnen, muͤſſen ihren Ap¬
petit ſehr ſtark wecken, und wenn die armen
Inſulanerinnen, in ihrer Schwangerſchaft, aller¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0059" n="51"/>
die von dem Geldgewinn, der ihnen durch die<lb/>
Badean&#x017F;talt zufließt, nimmermehr aufgewogen<lb/>
werden. Die&#x017F;es Geld reicht nicht hin fu&#x0364;r<lb/>
die eindringenden, neuen Bedu&#x0364;rfni&#x017F;&#x017F;e; daher in¬<lb/>
nere Lebens&#x017F;to&#x0364;rung, &#x017F;chlimmer Anreiz, großer<lb/>
Schmerz. Als ich ein Knabe war, fu&#x0364;hlte ich<lb/>
immer eine brennende Sehn&#x017F;ucht, wenn &#x017F;cho&#x0364;<lb/>
gebackene Torten, wovon ich nichts bekommen<lb/>
&#x017F;ollte, duftig-offen, bey mir voru&#x0364;bergetragen<lb/>
wurden; &#x017F;pa&#x0364;terhin &#x017F;tachelte mich da&#x017F;&#x017F;elbe Ge¬<lb/>
fu&#x0364;hl, wenn ich modi&#x017F;ch entblo&#x0364;ßte, &#x017F;cho&#x0364;ne Da¬<lb/>
men vorbey&#x017F;patzieren &#x017F;ah; und ich denke jetzt<lb/>
die armen In&#x017F;ulaner, die noch in einem Kind¬<lb/>
heitszu&#x017F;tande leben, haben hier oft Gelegenheit<lb/>
zu a&#x0364;hnlichen Empfindungen, und es wa&#x0364;re gut,<lb/>
wenn die Eigenthu&#x0364;mer der &#x017F;cho&#x0364;nen Torten und<lb/>
Frauen &#x017F;olche etwas mehr verdeckten. Die&#x017F;e vie¬<lb/>
len unbedeckten Delikate&#x017F;&#x017F;en, woran jene Leute<lb/>
nur die Augen weiden ko&#x0364;nnen, mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en ihren Ap¬<lb/>
petit &#x017F;ehr &#x017F;tark wecken, und wenn die armen<lb/>
In&#x017F;ulanerinnen, in ihrer Schwanger&#x017F;chaft, aller¬<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[51/0059] die von dem Geldgewinn, der ihnen durch die Badeanſtalt zufließt, nimmermehr aufgewogen werden. Dieſes Geld reicht nicht hin fuͤr die eindringenden, neuen Beduͤrfniſſe; daher in¬ nere Lebensſtoͤrung, ſchlimmer Anreiz, großer Schmerz. Als ich ein Knabe war, fuͤhlte ich immer eine brennende Sehnſucht, wenn ſchoͤn¬ gebackene Torten, wovon ich nichts bekommen ſollte, duftig-offen, bey mir voruͤbergetragen wurden; ſpaͤterhin ſtachelte mich daſſelbe Ge¬ fuͤhl, wenn ich modiſch entbloͤßte, ſchoͤne Da¬ men vorbeyſpatzieren ſah; und ich denke jetzt die armen Inſulaner, die noch in einem Kind¬ heitszuſtande leben, haben hier oft Gelegenheit zu aͤhnlichen Empfindungen, und es waͤre gut, wenn die Eigenthuͤmer der ſchoͤnen Torten und Frauen ſolche etwas mehr verdeckten. Dieſe vie¬ len unbedeckten Delikateſſen, woran jene Leute nur die Augen weiden koͤnnen, muͤſſen ihren Ap¬ petit ſehr ſtark wecken, und wenn die armen Inſulanerinnen, in ihrer Schwangerſchaft, aller¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder02_1827
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder02_1827/59
Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 2. Hamburg, 1827, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder02_1827/59>, abgerufen am 30.04.2024.