Was diese Menschen so fest und genügsam zusammenhält, ist nicht so sehr das innig mystische Gefühl der Liebe, als vielmehr die Gewohnheit, das naturgemäße Ineinander-Hin¬ überleben, die gemeinschaftliche Unmittelbarkeit. Gleiche Geisteshöhe, oder besser gesagt Geistes¬ niedrigkeit, daher gleiche Bedürfnisse und glei¬ ches Streben; gleiche Erfahrungen und Gesin¬ nungen, daher leichtes Verständniß unter einan¬ der; und sie sitzen verträglich am Feuer in den kleinen Hütten, rücken zusammen wenn es kalt wird, an den Augen sehen sie sich ab, was sie denken, die Worte lesen sie sich von den Lip¬ pen ehe sie gesprochen worden, alle gemeinsa¬ men Lebensbeziehungen sind ihnen im Gedächt¬ nisse, und durch einen einzigen Laut, eine ein¬ zige Miene, eine einzige stumme Bewegung erregen sie unter einander so viel Lachen, oder Weinen oder Andacht, wie wir bey unseres Gleichen erst durch lange Exposizionen, Expee¬ torazionen und Declamazionen hervorbringen
Was dieſe Menſchen ſo feſt und genuͤgſam zuſammenhaͤlt, iſt nicht ſo ſehr das innig myſtiſche Gefuͤhl der Liebe, als vielmehr die Gewohnheit, das naturgemaͤße Ineinander-Hin¬ uͤberleben, die gemeinſchaftliche Unmittelbarkeit. Gleiche Geiſteshoͤhe, oder beſſer geſagt Geiſtes¬ niedrigkeit, daher gleiche Beduͤrfniſſe und glei¬ ches Streben; gleiche Erfahrungen und Geſin¬ nungen, daher leichtes Verſtaͤndniß unter einan¬ der; und ſie ſitzen vertraͤglich am Feuer in den kleinen Huͤtten, ruͤcken zuſammen wenn es kalt wird, an den Augen ſehen ſie ſich ab, was ſie denken, die Worte leſen ſie ſich von den Lip¬ pen ehe ſie geſprochen worden, alle gemeinſa¬ men Lebensbeziehungen ſind ihnen im Gedaͤcht¬ niſſe, und durch einen einzigen Laut, eine ein¬ zige Miene, eine einzige ſtumme Bewegung erregen ſie unter einander ſo viel Lachen, oder Weinen oder Andacht, wie wir bey unſeres Gleichen erſt durch lange Expoſizionen, Expee¬ torazionen und Declamazionen hervorbringen
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Was dieſe Menſchen ſo feſt und genuͤgſam
zuſammenhaͤlt, iſt nicht ſo ſehr das innig
myſtiſche Gefuͤhl der Liebe, als vielmehr die
Gewohnheit, das naturgemaͤße Ineinander-Hin¬
uͤberleben, die gemeinſchaftliche Unmittelbarkeit.
Gleiche Geiſteshoͤhe, oder beſſer geſagt Geiſtes¬
niedrigkeit, daher gleiche Beduͤrfniſſe und glei¬
ches Streben; gleiche Erfahrungen und Geſin¬
nungen, daher leichtes Verſtaͤndniß unter einan¬
der; und ſie ſitzen vertraͤglich am Feuer in den
kleinen Huͤtten, ruͤcken zuſammen wenn es kalt
wird, an den Augen ſehen ſie ſich ab, was
ſie denken, die Worte leſen ſie ſich von den Lip¬
pen ehe ſie geſprochen worden, alle gemeinſa¬
men Lebensbeziehungen ſind ihnen im Gedaͤcht¬
niſſe, und durch einen einzigen Laut, eine ein¬
zige Miene, eine einzige ſtumme Bewegung
erregen ſie unter einander ſo viel Lachen, oder
Weinen oder Andacht, wie wir bey unſeres
Gleichen erſt durch lange Expoſizionen, Expee¬
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Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 2. Hamburg, 1827, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder02_1827/53>, abgerufen am 24.11.2024.
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