gar nicht übel, wenn ich, in einem großen Na¬ tionalepos, all jene Helden besänge, wovon wir ganz bestimmt wissen, daß aus ihren verwes'ten Leichnamen Würmer gekrochen sind, die sich für ihre Nachkommen ausgeben.
Manche Leute, die keine geborene Nar¬ ren und einst mit Vernunft begabt gewesen, sind solcher Vortheile wegen zu den Narren übergegangen, leben bey ihnen ein wahres Schlaraffenleben, die Thorheiten, die ihnen an¬ fänglich noch immer einige Ueberwindung geko¬ stet, sind ihnen jetzt schon zur zweyten Natur geworden, ja sie sind nicht mehr als Heuchler, sondern als wahre Gläubige zu betrachten. Einer derselben, in dessen Kopf noch keine gänzliche Sonnenfinsterniß eingetreten, liebt mich sehr, und jüngsthin, als ich bey ihm allein war, verschloß er die Thüre und sprach zu mir mit ernster Stimme: "O Thor, der du den Wei¬ sen spielst und dennoch nicht so viel Verstand
gar nicht uͤbel, wenn ich, in einem großen Na¬ tionalepos, all jene Helden beſaͤnge, wovon wir ganz beſtimmt wiſſen, daß aus ihren verweſ'ten Leichnamen Wuͤrmer gekrochen ſind, die ſich fuͤr ihre Nachkommen ausgeben.
Manche Leute, die keine geborene Nar¬ ren und einſt mit Vernunft begabt geweſen, ſind ſolcher Vortheile wegen zu den Narren uͤbergegangen, leben bey ihnen ein wahres Schlaraffenleben, die Thorheiten, die ihnen an¬ faͤnglich noch immer einige Ueberwindung geko¬ ſtet, ſind ihnen jetzt ſchon zur zweyten Natur geworden, ja ſie ſind nicht mehr als Heuchler, ſondern als wahre Glaͤubige zu betrachten. Einer derſelben, in deſſen Kopf noch keine gaͤnzliche Sonnenfinſterniß eingetreten, liebt mich ſehr, und juͤngſthin, als ich bey ihm allein war, verſchloß er die Thuͤre und ſprach zu mir mit ernſter Stimme: „O Thor, der du den Wei¬ ſen ſpielſt und dennoch nicht ſo viel Verſtand
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gar nicht uͤbel, wenn ich, in einem großen Na¬
tionalepos, all jene Helden beſaͤnge, wovon wir
ganz beſtimmt wiſſen, daß aus ihren verweſ'ten
Leichnamen Wuͤrmer gekrochen ſind, die ſich fuͤr
ihre Nachkommen ausgeben.
Manche Leute, die keine geborene Nar¬
ren und einſt mit Vernunft begabt geweſen,
ſind ſolcher Vortheile wegen zu den Narren
uͤbergegangen, leben bey ihnen ein wahres
Schlaraffenleben, die Thorheiten, die ihnen an¬
faͤnglich noch immer einige Ueberwindung geko¬
ſtet, ſind ihnen jetzt ſchon zur zweyten Natur
geworden, ja ſie ſind nicht mehr als Heuchler,
ſondern als wahre Glaͤubige zu betrachten.
Einer derſelben, in deſſen Kopf noch keine
gaͤnzliche Sonnenfinſterniß eingetreten, liebt mich
ſehr, und juͤngſthin, als ich bey ihm allein war,
verſchloß er die Thuͤre und ſprach zu mir mit
ernſter Stimme: „O Thor, der du den Wei¬
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Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 2. Hamburg, 1827, S. 270. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder02_1827/278>, abgerufen am 23.11.2024.
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