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Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 2. Hamburg, 1827.

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darauf bezieht sich eine Stelle im Aristophanes,
welche zu deutsch heißt:

"Tiotio, tiotio, tiotinx,
"Totototo, totototo, tototinx."

(Vossisch. Uebers.)

Nein, ich bin nicht geboren in Indien; das
Licht der Welt erblickte ich an den Ufern jenes
schönen Stromes, wo auf grünen Bergen die
Thorheit wächst und im Herbst gepflückt, gekel¬
tert, in Fässer gegossen und in's Ausland geschickt
wird -- Wahrhaftig, gestern bey Tische hörte
ich Jemanden eine Thorheit sprechen, die Anno
1811 in einer Weintraube gesessen, welche ich
damals selbst auf dem Johannisberg wachsen
sah. -- Viel Thorheit wird aber auch im Lande
selbst consumirt, und die Menschen dort sind wie
überall: -- sie werden geboren, essen, trinken,
schlafen, lachen, weinen, verläumden, sind ängst¬
lich besorgt um die Fortpflanzung ihrer Gattung,
suchen zu scheinen, was sie nicht sind, und zu
thun, was sie nicht können, lassen sich nicht eher

darauf bezieht ſich eine Stelle im Ariſtophanes,
welche zu deutſch heißt:

„Tiotio, tiotio, tiotinx,
„Totototo, totototo, tototinx.“

(Voſſiſch. Ueberſ.)

Nein, ich bin nicht geboren in Indien; das
Licht der Welt erblickte ich an den Ufern jenes
ſchoͤnen Stromes, wo auf gruͤnen Bergen die
Thorheit waͤchſt und im Herbſt gepfluͤckt, gekel¬
tert, in Faͤſſer gegoſſen und in's Ausland geſchickt
wird — Wahrhaftig, geſtern bey Tiſche hoͤrte
ich Jemanden eine Thorheit ſprechen, die Anno
1811 in einer Weintraube geſeſſen, welche ich
damals ſelbſt auf dem Johannisberg wachſen
ſah. — Viel Thorheit wird aber auch im Lande
ſelbſt conſumirt, und die Menſchen dort ſind wie
uͤberall: — ſie werden geboren, eſſen, trinken,
ſchlafen, lachen, weinen, verlaͤumden, ſind aͤngſt¬
lich beſorgt um die Fortpflanzung ihrer Gattung,
ſuchen zu ſcheinen, was ſie nicht ſind, und zu
thun, was ſie nicht koͤnnen, laſſen ſich nicht eher

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[158/0166] darauf bezieht ſich eine Stelle im Ariſtophanes, welche zu deutſch heißt: „Tiotio, tiotio, tiotinx, „Totototo, totototo, tototinx.“ (Voſſiſch. Ueberſ.) Nein, ich bin nicht geboren in Indien; das Licht der Welt erblickte ich an den Ufern jenes ſchoͤnen Stromes, wo auf gruͤnen Bergen die Thorheit waͤchſt und im Herbſt gepfluͤckt, gekel¬ tert, in Faͤſſer gegoſſen und in's Ausland geſchickt wird — Wahrhaftig, geſtern bey Tiſche hoͤrte ich Jemanden eine Thorheit ſprechen, die Anno 1811 in einer Weintraube geſeſſen, welche ich damals ſelbſt auf dem Johannisberg wachſen ſah. — Viel Thorheit wird aber auch im Lande ſelbſt conſumirt, und die Menſchen dort ſind wie uͤberall: — ſie werden geboren, eſſen, trinken, ſchlafen, lachen, weinen, verlaͤumden, ſind aͤngſt¬ lich beſorgt um die Fortpflanzung ihrer Gattung, ſuchen zu ſcheinen, was ſie nicht ſind, und zu thun, was ſie nicht koͤnnen, laſſen ſich nicht eher

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Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 2. Hamburg, 1827, S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder02_1827/166>, abgerufen am 03.05.2024.