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Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 1. Hamburg, 1826.

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tet sich überall, in der Stadt blitzen freudig die
Fensterscheiben der Häuser, an den Dächern
bauen die Spatzen wieder ihre Nestchen, auf der
Straße wandeln die Leute und wundern sich, daß
die Luft so angreifend und ihnen selbst so wunder¬
lich zu Muth ist, die bunten Vierlanderinnen
bringen Veilchensträußer, die Waisenkinder, mit
ihren blauen Jäckchen und ihren lieben, unehlichen
Gesichtchen, ziehen über den Jungfernstieg und
freuen sich, als sollten sie heute einen Vater wie¬
derfinden, der Bettler an der Brücke schaut so
vergnügt, als hätte er das große Loos gewonnen,
sogar den schwarzen, noch ungehenkten Makler,
der dort mit seinem spitzbübischen Manufaktur¬
waaren-Gesicht einherläuft, bescheint die Sonne
mit ihren tolerantesten Strahlen, -- ich will hin¬
auswandern vor das Thor.

Es ist der erste May, und ich denke deiner,
du schöne Ilse -- oder soll ich dich "Agnes" nen¬
nen, weil dir dieser Name am besten gefällt? --
ich denke deiner, und ich möchte wieder zusehen

tet ſich uͤberall, in der Stadt blitzen freudig die
Fenſterſcheiben der Haͤuſer, an den Daͤchern
bauen die Spatzen wieder ihre Neſtchen, auf der
Straße wandeln die Leute und wundern ſich, daß
die Luft ſo angreifend und ihnen ſelbſt ſo wunder¬
lich zu Muth iſt, die bunten Vierlanderinnen
bringen Veilchenſtraͤußer, die Waiſenkinder, mit
ihren blauen Jaͤckchen und ihren lieben, unehlichen
Geſichtchen, ziehen uͤber den Jungfernſtieg und
freuen ſich, als ſollten ſie heute einen Vater wie¬
derfinden, der Bettler an der Bruͤcke ſchaut ſo
vergnuͤgt, als haͤtte er das große Loos gewonnen,
ſogar den ſchwarzen, noch ungehenkten Makler,
der dort mit ſeinem ſpitzbuͤbiſchen Manufaktur¬
waaren-Geſicht einherlaͤuft, beſcheint die Sonne
mit ihren toleranteſten Strahlen, — ich will hin¬
auswandern vor das Thor.

Es iſt der erſte May, und ich denke deiner,
du ſchoͤne Ilſe — oder ſoll ich dich “Agnes” nen¬
nen, weil dir dieſer Name am beſten gefaͤllt? —
ich denke deiner, und ich moͤchte wieder zuſehen

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[256/0268] tet ſich uͤberall, in der Stadt blitzen freudig die Fenſterſcheiben der Haͤuſer, an den Daͤchern bauen die Spatzen wieder ihre Neſtchen, auf der Straße wandeln die Leute und wundern ſich, daß die Luft ſo angreifend und ihnen ſelbſt ſo wunder¬ lich zu Muth iſt, die bunten Vierlanderinnen bringen Veilchenſtraͤußer, die Waiſenkinder, mit ihren blauen Jaͤckchen und ihren lieben, unehlichen Geſichtchen, ziehen uͤber den Jungfernſtieg und freuen ſich, als ſollten ſie heute einen Vater wie¬ derfinden, der Bettler an der Bruͤcke ſchaut ſo vergnuͤgt, als haͤtte er das große Loos gewonnen, ſogar den ſchwarzen, noch ungehenkten Makler, der dort mit ſeinem ſpitzbuͤbiſchen Manufaktur¬ waaren-Geſicht einherlaͤuft, beſcheint die Sonne mit ihren toleranteſten Strahlen, — ich will hin¬ auswandern vor das Thor. Es iſt der erſte May, und ich denke deiner, du ſchoͤne Ilſe — oder ſoll ich dich “Agnes” nen¬ nen, weil dir dieſer Name am beſten gefaͤllt? — ich denke deiner, und ich moͤchte wieder zuſehen

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Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 1. Hamburg, 1826, S. 256. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder01_1826/268>, abgerufen am 22.11.2024.