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Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 1. Hamburg, 1826.

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Unendlich selig ist das Gefühl, wenn die Er¬
scheinungswelt mit unserer Gemüthswelt zusammen¬
rinnt, und grüne Bäume, Gedanken, Vogelge¬
sang, Wehmuth, Himmelsbläue, Erinnerung und
Kräuterduft sich in süßen Arabesken verschlingen.
Die Frauen kennen am besten dieses Gefühl, und
darum mag auch ein so holdselig ungläubiges
Lächeln um ihre Lippen schweben, wenn wir mit
Schulstolz unsere logischen Thaten rühmen, wie
wir Alles so hübsch eingetheilt in objektiv und sub¬
jektiv, wie wir unsere Köpfe apothekenartig mit
tausend Schubladen versehen, wo in der einen
Vernunft, in der andern Verstand, in der dritten
Witz, in der vierten schlechter Witz, und in der
fünften gar nichts, nämlich die Idee, enthalten ist.

Wie im Traume fortwandelnd, hatte ich fast
nicht bemerkt, daß wir die Tiefe des Ilsethales ver¬
lassen, und wieder bergauf stiegen. Dies ging sehr
steil und mühsam, und Mancher von uns kam au¬
ßer Athem. Doch wie unser seliger Vetter, der zu
Mölln begraben liegt, dachten wir im voraus an's

Unendlich ſelig iſt das Gefuͤhl, wenn die Er¬
ſcheinungswelt mit unſerer Gemuͤthswelt zuſammen¬
rinnt, und gruͤne Baͤume, Gedanken, Vogelge¬
ſang, Wehmuth, Himmelsblaͤue, Erinnerung und
Kraͤuterduft ſich in ſuͤßen Arabesken verſchlingen.
Die Frauen kennen am beſten dieſes Gefuͤhl, und
darum mag auch ein ſo holdſelig unglaͤubiges
Laͤcheln um ihre Lippen ſchweben, wenn wir mit
Schulſtolz unſere logiſchen Thaten ruͤhmen, wie
wir Alles ſo huͤbſch eingetheilt in objektiv und ſub¬
jektiv, wie wir unſere Koͤpfe apothekenartig mit
tauſend Schubladen verſehen, wo in der einen
Vernunft, in der andern Verſtand, in der dritten
Witz, in der vierten ſchlechter Witz, und in der
fuͤnften gar nichts, naͤmlich die Idee, enthalten iſt.

Wie im Traume fortwandelnd, hatte ich faſt
nicht bemerkt, daß wir die Tiefe des Ilſethales ver¬
laſſen, und wieder bergauf ſtiegen. Dies ging ſehr
ſteil und muͤhſam, und Mancher von uns kam au¬
ßer Athem. Doch wie unſer ſeliger Vetter, der zu
Moͤlln begraben liegt, dachten wir im voraus an's

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[246/0258] Unendlich ſelig iſt das Gefuͤhl, wenn die Er¬ ſcheinungswelt mit unſerer Gemuͤthswelt zuſammen¬ rinnt, und gruͤne Baͤume, Gedanken, Vogelge¬ ſang, Wehmuth, Himmelsblaͤue, Erinnerung und Kraͤuterduft ſich in ſuͤßen Arabesken verſchlingen. Die Frauen kennen am beſten dieſes Gefuͤhl, und darum mag auch ein ſo holdſelig unglaͤubiges Laͤcheln um ihre Lippen ſchweben, wenn wir mit Schulſtolz unſere logiſchen Thaten ruͤhmen, wie wir Alles ſo huͤbſch eingetheilt in objektiv und ſub¬ jektiv, wie wir unſere Koͤpfe apothekenartig mit tauſend Schubladen verſehen, wo in der einen Vernunft, in der andern Verſtand, in der dritten Witz, in der vierten ſchlechter Witz, und in der fuͤnften gar nichts, naͤmlich die Idee, enthalten iſt. Wie im Traume fortwandelnd, hatte ich faſt nicht bemerkt, daß wir die Tiefe des Ilſethales ver¬ laſſen, und wieder bergauf ſtiegen. Dies ging ſehr ſteil und muͤhſam, und Mancher von uns kam au¬ ßer Athem. Doch wie unſer ſeliger Vetter, der zu Moͤlln begraben liegt, dachten wir im voraus an's

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Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 1. Hamburg, 1826, S. 246. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder01_1826/258>, abgerufen am 25.08.2024.