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Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 1. Hamburg, 1826.

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Menge anderer Quellen hüpften jetzt hastig aus
ihrem Versteck, verbanden sich mit der zuerst her¬
vorgesprungenen, und bald bildeten sie zusammen
ein schon bedeutendes Bächlein, das in unzähligen
Wasserfällen, und in wunderlichen Windungen,
das Bergthal hinab rauscht. Das ist nun die Ilse,
die liebliche, süße Ilse. Sie zieht sich durch das
gesegnete Ilsethal, an dessen beyden Seiten sich die
Berge allmählig höher erheben, und diese sind, bis
zu ihrem Fuße, meistens mit Buchen, Eichen und
gewöhnlichem Blattgesträuche bewachsen, nicht
mehr mir Tannen und anderm Nadelholz. Denn
jene Blätterholzart wird vorherrschend auf dem
"Unterharze," wie man die Ostseite des Brockens
nennt, im Gegensatz zur Westseite desselben, die
der "Oberharz" heißt, und wirklich viel höher ist,
und also auch viel geeigneter zum Gedeihen der
Nadelhölzer.

Es ist unbeschreibbar, mit welcher Fröhlichkeit,
Naivität und Anmuth die Ilse sich hinunter stürzt
über die abentheuerlich gebildeten Felsstücke, die sie

Menge anderer Quellen huͤpften jetzt haſtig aus
ihrem Verſteck, verbanden ſich mit der zuerſt her¬
vorgeſprungenen, und bald bildeten ſie zuſammen
ein ſchon bedeutendes Baͤchlein, das in unzaͤhligen
Waſſerfaͤllen, und in wunderlichen Windungen,
das Bergthal hinab rauſcht. Das iſt nun die Ilſe,
die liebliche, ſuͤße Ilſe. Sie zieht ſich durch das
geſegnete Ilſethal, an deſſen beyden Seiten ſich die
Berge allmaͤhlig hoͤher erheben, und dieſe ſind, bis
zu ihrem Fuße, meiſtens mit Buchen, Eichen und
gewoͤhnlichem Blattgeſtraͤuche bewachſen, nicht
mehr mir Tannen und anderm Nadelholz. Denn
jene Blaͤtterholzart wird vorherrſchend auf dem
„Unterharze,“ wie man die Oſtſeite des Brockens
nennt, im Gegenſatz zur Weſtſeite deſſelben, die
der „Oberharz“ heißt, und wirklich viel hoͤher iſt,
und alſo auch viel geeigneter zum Gedeihen der
Nadelhoͤlzer.

Es iſt unbeſchreibbar, mit welcher Froͤhlichkeit,
Naivitaͤt und Anmuth die Ilſe ſich hinunter ſtuͤrzt
uͤber die abentheuerlich gebildeten Felsſtuͤcke, die ſie

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[242/0254] Menge anderer Quellen huͤpften jetzt haſtig aus ihrem Verſteck, verbanden ſich mit der zuerſt her¬ vorgeſprungenen, und bald bildeten ſie zuſammen ein ſchon bedeutendes Baͤchlein, das in unzaͤhligen Waſſerfaͤllen, und in wunderlichen Windungen, das Bergthal hinab rauſcht. Das iſt nun die Ilſe, die liebliche, ſuͤße Ilſe. Sie zieht ſich durch das geſegnete Ilſethal, an deſſen beyden Seiten ſich die Berge allmaͤhlig hoͤher erheben, und dieſe ſind, bis zu ihrem Fuße, meiſtens mit Buchen, Eichen und gewoͤhnlichem Blattgeſtraͤuche bewachſen, nicht mehr mir Tannen und anderm Nadelholz. Denn jene Blaͤtterholzart wird vorherrſchend auf dem „Unterharze,“ wie man die Oſtſeite des Brockens nennt, im Gegenſatz zur Weſtſeite deſſelben, die der „Oberharz“ heißt, und wirklich viel hoͤher iſt, und alſo auch viel geeigneter zum Gedeihen der Nadelhoͤlzer. Es iſt unbeſchreibbar, mit welcher Froͤhlichkeit, Naivitaͤt und Anmuth die Ilſe ſich hinunter ſtuͤrzt uͤber die abentheuerlich gebildeten Felsſtuͤcke, die ſie

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Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 1. Hamburg, 1826, S. 242. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder01_1826/254>, abgerufen am 23.07.2024.