löchern stürzten die wachsamen Zwerglein, schnitten zornige Gesichter, hieben nach mir mit ihren kur¬ zen Schwerdtern, bliesen gellend in's Horn, daß immer mehr und mehre herzu eilten, und es wackelten entsetzlich ihre breiten Häupter. Wie ich darauf zuschlug und das Blut heraus floß, merkte ich erst, daß es die rothblühenden, langbärtigen Distelköpfe waren, die ich den Tag vorher an der Landstraße mit dem Stocke abgeschlagen hatte. Da waren sie auch gleich alle verscheucht, und ich gelangte in einen hellen Prachtsaal; in der Mitte stand, weiß verschleiert, und wie eine Bildsäule starr und regungslos, die Herzgeliebte, und ich küßte ihren Mund, und, bey'm lebendigen Gott! ich fühlte den beseligenden Hauch ihrer Seele und das süße Be¬ ben der lieblichen Lippen. Es war mir, als hörte ich, wie Gott rief: "Es werde Licht!" blendend schoß herab ein Strahl des ewigen Lichts; aber in demselben Augenblick wurde es wieder Nacht, und Alles rann chaotisch zusammen in ein wildes, wüstes Meer. Ein wildes, wüstes Meer! über das gäh¬
loͤchern ſtuͤrzten die wachſamen Zwerglein, ſchnitten zornige Geſichter, hieben nach mir mit ihren kur¬ zen Schwerdtern, blieſen gellend in's Horn, daß immer mehr und mehre herzu eilten, und es wackelten entſetzlich ihre breiten Haͤupter. Wie ich darauf zuſchlug und das Blut heraus floß, merkte ich erſt, daß es die rothbluͤhenden, langbaͤrtigen Diſtelkoͤpfe waren, die ich den Tag vorher an der Landſtraße mit dem Stocke abgeſchlagen hatte. Da waren ſie auch gleich alle verſcheucht, und ich gelangte in einen hellen Prachtſaal; in der Mitte ſtand, weiß verſchleiert, und wie eine Bildſaͤule ſtarr und regungslos, die Herzgeliebte, und ich kuͤßte ihren Mund, und, bey'm lebendigen Gott! ich fuͤhlte den beſeligenden Hauch ihrer Seele und das ſuͤße Be¬ ben der lieblichen Lippen. Es war mir, als hoͤrte ich, wie Gott rief: “Es werde Licht!” blendend ſchoß herab ein Strahl des ewigen Lichts; aber in demſelben Augenblick wurde es wieder Nacht, und Alles rann chaotiſch zuſammen in ein wildes, wuͤſtes Meer. Ein wildes, wuͤſtes Meer! uͤber das gaͤh¬
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loͤchern ſtuͤrzten die wachſamen Zwerglein, ſchnitten
zornige Geſichter, hieben nach mir mit ihren kur¬
zen Schwerdtern, blieſen gellend in's Horn, daß
immer mehr und mehre herzu eilten, und es
wackelten entſetzlich ihre breiten Haͤupter. Wie ich
darauf zuſchlug und das Blut heraus floß, merkte
ich erſt, daß es die rothbluͤhenden, langbaͤrtigen
Diſtelkoͤpfe waren, die ich den Tag vorher an der
Landſtraße mit dem Stocke abgeſchlagen hatte. Da
waren ſie auch gleich alle verſcheucht, und ich gelangte
in einen hellen Prachtſaal; in der Mitte ſtand,
weiß verſchleiert, und wie eine Bildſaͤule ſtarr und
regungslos, die Herzgeliebte, und ich kuͤßte ihren
Mund, und, bey'm lebendigen Gott! ich fuͤhlte den
beſeligenden Hauch ihrer Seele und das ſuͤße Be¬
ben der lieblichen Lippen. Es war mir, als hoͤrte
ich, wie Gott rief: “Es werde Licht!” blendend
ſchoß herab ein Strahl des ewigen Lichts; aber in
demſelben Augenblick wurde es wieder Nacht, und
Alles rann chaotiſch zuſammen in ein wildes, wuͤſtes
Meer. Ein wildes, wuͤſtes Meer! uͤber das gaͤh¬
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Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 1. Hamburg, 1826, S. 157. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder01_1826/169>, abgerufen am 30.11.2024.
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