Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Heine, Heinrich: Buch der Lieder. Hamburg, 1827.

Bild:
<< vorherige Seite
Die alte Marg'reth hab' ich gleich erkannt;
Ich sah sie forschend an, jedoch sie sprach nicht.
"Wo ist Maria?" fragt' ich, doch sie sprach nicht,
Griff leise meine Hand, und führte mich
Durch viele lange, leuchtende Gemächer,
Wo Prunk und Pracht und Todtenstille herrschte,
Und führt' mich endlich in ein dämmernd Zimmer,
Und zeigt' mit abgewandtem Angesicht',
Nach der Gestalt, die auf dem Sopha saß.
"Sind Sie Maria?" fragt' ich. Innerlich
Erstaunt' ich selber ob der Festigkeit,
Womit ich sprach. Und steinern und metalllos
Scholl eine Stimm': "So nennen mich die Leute."
Ein schneidend Weh durchfröstelte mich da,
Denn jener hohle, kalte Ton war doch --
Die einst so süße Stimme von Maria!
Und jenes Weib im fahlen Lillakleid,
Nachlässig angezogen, Busen schlotternd,
Die Augen gläsern starr, die Wangenmuskeln
Des weißen Angesichtes lederschlaff --
Ach, jenes Weib war doch die einst so schöne,
Die blühend holde, liebliche Maria!
"Sie waren lang auf Reisen!" sprach sie laut,
Mit kalt unheimlicher Vertraulichkeit,
"Sie schaun nicht mehr so schmachtend, liebster Freund,
Sie sind gesund, und pralle Lend' und Wade
Bezeugt Solidität." Ein süßlich Lächeln
Die alte Marg'reth hab' ich gleich erkannt;
Ich ſah ſie forſchend an, jedoch ſie ſprach nicht.
„Wo iſt Maria?“ fragt' ich, doch ſie ſprach nicht,
Griff leiſe meine Hand, und führte mich
Durch viele lange, leuchtende Gemächer,
Wo Prunk und Pracht und Todtenſtille herrſchte,
Und führt' mich endlich in ein dämmernd Zimmer,
Und zeigt' mit abgewandtem Angeſicht',
Nach der Geſtalt, die auf dem Sopha ſaß.
„Sind Sie Maria?“ fragt' ich. Innerlich
Erſtaunt' ich ſelber ob der Feſtigkeit,
Womit ich ſprach. Und ſteinern und metalllos
Scholl eine Stimm': „So nennen mich die Leute.“
Ein ſchneidend Weh durchfröſtelte mich da,
Denn jener hohle, kalte Ton war doch —
Die einſt ſo ſüße Stimme von Maria!
Und jenes Weib im fahlen Lillakleid,
Nachläſſig angezogen, Buſen ſchlotternd,
Die Augen gläſern ſtarr, die Wangenmuskeln
Des weißen Angeſichtes lederſchlaff —
Ach, jenes Weib war doch die einſt ſo ſchöne,
Die blühend holde, liebliche Maria!
„Sie waren lang auf Reiſen!“ ſprach ſie laut,
Mit kalt unheimlicher Vertraulichkeit,
„Sie ſchaun nicht mehr ſo ſchmachtend, liebſter Freund,
Sie ſind geſund, und pralle Lend' und Wade
Bezeugt Solidität.“ Ein ſüßlich Lächeln
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <pb facs="#f0271" n="263"/>
            <lg n="3">
              <l>Die alte Marg'reth hab' ich gleich erkannt;</l><lb/>
              <l>Ich &#x017F;ah &#x017F;ie for&#x017F;chend an, jedoch &#x017F;ie &#x017F;prach nicht.</l><lb/>
              <l>&#x201E;Wo i&#x017F;t Maria?&#x201C; fragt' ich, doch &#x017F;ie &#x017F;prach nicht,</l><lb/>
              <l>Griff lei&#x017F;e meine Hand, und führte mich</l><lb/>
              <l>Durch viele lange, leuchtende Gemächer,</l><lb/>
              <l>Wo Prunk und Pracht und Todten&#x017F;tille herr&#x017F;chte,</l><lb/>
              <l>Und führt' mich endlich in ein dämmernd Zimmer,</l><lb/>
              <l>Und zeigt' mit abgewandtem Ange&#x017F;icht',</l><lb/>
              <l>Nach der Ge&#x017F;talt, die auf dem Sopha &#x017F;aß.</l><lb/>
              <l>&#x201E;Sind Sie Maria?&#x201C; fragt' ich. Innerlich</l><lb/>
              <l>Er&#x017F;taunt' ich &#x017F;elber ob der Fe&#x017F;tigkeit,</l><lb/>
              <l>Womit ich &#x017F;prach. Und &#x017F;teinern und metalllos</l><lb/>
              <l>Scholl eine Stimm': &#x201E;So nennen mich die Leute.&#x201C;</l><lb/>
              <l>Ein &#x017F;chneidend Weh durchfrö&#x017F;telte mich da,</l><lb/>
              <l>Denn jener hohle, kalte Ton war doch &#x2014;</l><lb/>
              <l>Die ein&#x017F;t &#x017F;o &#x017F;üße Stimme von Maria!</l><lb/>
              <l>Und jenes Weib im fahlen Lillakleid,</l><lb/>
              <l>Nachlä&#x017F;&#x017F;ig angezogen, Bu&#x017F;en &#x017F;chlotternd,</l><lb/>
              <l>Die Augen glä&#x017F;ern &#x017F;tarr, die Wangenmuskeln</l><lb/>
              <l>Des weißen Ange&#x017F;ichtes leder&#x017F;chlaff &#x2014;</l><lb/>
              <l>Ach, jenes Weib war doch die ein&#x017F;t &#x017F;o &#x017F;chöne,</l><lb/>
              <l>Die blühend holde, liebliche Maria!</l><lb/>
              <l>&#x201E;Sie waren lang auf Rei&#x017F;en!&#x201C; &#x017F;prach &#x017F;ie laut,</l><lb/>
              <l>Mit kalt unheimlicher Vertraulichkeit,</l><lb/>
              <l>&#x201E;Sie &#x017F;chaun nicht mehr &#x017F;o &#x017F;chmachtend, lieb&#x017F;ter Freund,</l><lb/>
              <l>Sie &#x017F;ind ge&#x017F;und, und pralle Lend' und Wade</l><lb/>
              <l>Bezeugt Solidität.&#x201C; Ein &#x017F;üßlich Lächeln</l><lb/>
            </lg>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[263/0271] Die alte Marg'reth hab' ich gleich erkannt; Ich ſah ſie forſchend an, jedoch ſie ſprach nicht. „Wo iſt Maria?“ fragt' ich, doch ſie ſprach nicht, Griff leiſe meine Hand, und führte mich Durch viele lange, leuchtende Gemächer, Wo Prunk und Pracht und Todtenſtille herrſchte, Und führt' mich endlich in ein dämmernd Zimmer, Und zeigt' mit abgewandtem Angeſicht', Nach der Geſtalt, die auf dem Sopha ſaß. „Sind Sie Maria?“ fragt' ich. Innerlich Erſtaunt' ich ſelber ob der Feſtigkeit, Womit ich ſprach. Und ſteinern und metalllos Scholl eine Stimm': „So nennen mich die Leute.“ Ein ſchneidend Weh durchfröſtelte mich da, Denn jener hohle, kalte Ton war doch — Die einſt ſo ſüße Stimme von Maria! Und jenes Weib im fahlen Lillakleid, Nachläſſig angezogen, Buſen ſchlotternd, Die Augen gläſern ſtarr, die Wangenmuskeln Des weißen Angeſichtes lederſchlaff — Ach, jenes Weib war doch die einſt ſo ſchöne, Die blühend holde, liebliche Maria! „Sie waren lang auf Reiſen!“ ſprach ſie laut, Mit kalt unheimlicher Vertraulichkeit, „Sie ſchaun nicht mehr ſo ſchmachtend, liebſter Freund, Sie ſind geſund, und pralle Lend' und Wade Bezeugt Solidität.“ Ein ſüßlich Lächeln

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/heine_lieder_1827
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/heine_lieder_1827/271
Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Buch der Lieder. Hamburg, 1827, S. 263. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_lieder_1827/271>, abgerufen am 22.11.2024.