Heine, Heinrich: Buch der Lieder. Hamburg, 1827.Ratcliff. Der Traumgott brachte mich in eine Landschaft, Wo Trauerweiden mir "Willkommen" winkten, Mit ihren langen, grünen Armen, wo die Blumen Mit klugen Schwesteraugen still mich ansah'n, Wo mir vertraulich klang der Vögel Zwitschern, Wo gar der Hunde Bellen mir bekannt schien, Und Stimmen und Gestalten mich begrüßten, Wie einen alten Freund, und wo doch Alles So fremd mir schien, so wunderseltsam fremd. Vor einem ländlich schmucken Hause stand ich, In meiner Brust bewegte sich's, im Kopfe War's ruhig, ruhig schüttelte ich ab Den Staub von meinen Reisekleidern, Dumpf klang die Klingel, und die Thür ging auf. Da waren Männer, Frauen, viel bekannte
Gesichter. Stiller Kummer lag auf allen Und heimlich scheue Angst. Seltsam verstört, Mit Beileidsmienen fast, sah'n sie mich an, Daß es mir selber durch die Seele schauert', Wie Ahnung eines unbekannten Unheils. Ratcliff. Der Traumgott brachte mich in eine Landſchaft, Wo Trauerweiden mir „Willkommen“ winkten, Mit ihren langen, grünen Armen, wo die Blumen Mit klugen Schweſteraugen ſtill mich anſah'n, Wo mir vertraulich klang der Vögel Zwitſchern, Wo gar der Hunde Bellen mir bekannt ſchien, Und Stimmen und Geſtalten mich begrüßten, Wie einen alten Freund, und wo doch Alles So fremd mir ſchien, ſo wunderſeltſam fremd. Vor einem ländlich ſchmucken Hauſe ſtand ich, In meiner Bruſt bewegte ſich's, im Kopfe War's ruhig, ruhig ſchüttelte ich ab Den Staub von meinen Reiſekleidern, Dumpf klang die Klingel, und die Thür ging auf. Da waren Männer, Frauen, viel bekannte
Geſichter. Stiller Kummer lag auf allen Und heimlich ſcheue Angſt. Seltſam verſtört, Mit Beileidsmienen faſt, ſah'n ſie mich an, Daß es mir ſelber durch die Seele ſchauert', Wie Ahnung eines unbekannten Unheils. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0270" n="262"/> </div> <div n="2"> <head> <hi rendition="#g">Ratcliff.</hi><lb/> </head> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>Der Traumgott brachte mich in eine Landſchaft,</l><lb/> <l>Wo Trauerweiden mir „Willkommen“ winkten,</l><lb/> <l>Mit ihren langen, grünen Armen, wo die Blumen</l><lb/> <l>Mit klugen Schweſteraugen ſtill mich anſah'n,</l><lb/> <l>Wo mir vertraulich klang der Vögel Zwitſchern,</l><lb/> <l>Wo gar der Hunde Bellen mir bekannt ſchien,</l><lb/> <l>Und Stimmen und Geſtalten mich begrüßten,</l><lb/> <l>Wie einen alten Freund, und wo doch Alles</l><lb/> <l>So fremd mir ſchien, ſo wunderſeltſam fremd.</l><lb/> <l>Vor einem ländlich ſchmucken Hauſe ſtand ich,</l><lb/> <l>In meiner Bruſt bewegte ſich's, im Kopfe</l><lb/> <l>War's ruhig, ruhig ſchüttelte ich ab</l><lb/> <l>Den Staub von meinen Reiſekleidern,</l><lb/> <l>Dumpf klang die Klingel, und die Thür ging auf.</l><lb/> </lg> <lg n="2"> <l>Da waren Männer, Frauen, viel bekannte</l><lb/> <l>Geſichter. Stiller Kummer lag auf allen</l><lb/> <l>Und heimlich ſcheue Angſt. Seltſam verſtört,</l><lb/> <l>Mit Beileidsmienen faſt, ſah'n ſie mich an,</l><lb/> <l>Daß es mir ſelber durch die Seele ſchauert',</l><lb/> <l>Wie Ahnung eines unbekannten Unheils.</l><lb/> </lg> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [262/0270]
Ratcliff.
Der Traumgott brachte mich in eine Landſchaft,
Wo Trauerweiden mir „Willkommen“ winkten,
Mit ihren langen, grünen Armen, wo die Blumen
Mit klugen Schweſteraugen ſtill mich anſah'n,
Wo mir vertraulich klang der Vögel Zwitſchern,
Wo gar der Hunde Bellen mir bekannt ſchien,
Und Stimmen und Geſtalten mich begrüßten,
Wie einen alten Freund, und wo doch Alles
So fremd mir ſchien, ſo wunderſeltſam fremd.
Vor einem ländlich ſchmucken Hauſe ſtand ich,
In meiner Bruſt bewegte ſich's, im Kopfe
War's ruhig, ruhig ſchüttelte ich ab
Den Staub von meinen Reiſekleidern,
Dumpf klang die Klingel, und die Thür ging auf.
Da waren Männer, Frauen, viel bekannte
Geſichter. Stiller Kummer lag auf allen
Und heimlich ſcheue Angſt. Seltſam verſtört,
Mit Beileidsmienen faſt, ſah'n ſie mich an,
Daß es mir ſelber durch die Seele ſchauert',
Wie Ahnung eines unbekannten Unheils.
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Zitationshilfe: | Heine, Heinrich: Buch der Lieder. Hamburg, 1827, S. 262. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_lieder_1827/270>, abgerufen am 22.07.2024. |