Selbstbewegungen, die man Seelen nennen könn- te, wenn nicht ihr Begriff etwas höheres be- zeichnete als diese. Der Gewohnheit an Vor- stellungen fortzulauffen, ist die Unterbrechung derselben durch den Begriff eben so lästig, als dem formalen Denken, das in unwirklichen Ge- danken hin und her räsonnirt. Jene Gewohn- heit ist ein materielles Denken zu nennen, ein zufälliges Bewusstseyn, das in den Stoff nur versenkt ist, welchem es daher sauer ankömmt, aus der Materie zugleich sein Selbst rein her- auszuheben und bey sich zu seyn. Das andere, das Räsonniren, hingegen ist die Freyheit von dem Inhalt, und die Eitelkeit über ihn; ihr wird die Anstrengung zugemuthet, diese Frey- heit aufzugeben, und statt das willkührlich be- wegende Princip des Inhalts zu seyn, diese Freyheit in ihn zu versenken, ihn durch seine eigne Natur, das heisst, durch das Selbst als das seinige, sich bewegen zu lassen, und diese Bewegung zu betrachten. Sich des eignen Ein- fallens in den immanenten Rythmus der Be- griffe entschlagen, in ihn nicht durch die Will- kühr und sonst erworbene Weisheit eingreif- fen, diese Enthaltsamkeit ist selbst ein wesent- liches Moment der Aufmerksamkeit auf den Begriff.
Selbstbewegungen, die man Seelen nennen könn- te, wenn nicht ihr Begriff etwas höheres be- zeichnete als diese. Der Gewohnheit an Vor- stellungen fortzulauffen, ist die Unterbrechung derselben durch den Begriff eben so lästig, als dem formalen Denken, das in unwirklichen Ge- danken hin und her räſonnirt. Jene Gewohn- heit ist ein materielles Denken zu nennen, ein zufälliges Bewuſstseyn, das in den Stoff nur versenkt ist, welchem es daher sauer ankömmt, aus der Materie zugleich sein Selbst rein her- auszuheben und bey sich zu seyn. Das andere, das Räsonniren, hingegen ist die Freyheit von dem Inhalt, und die Eitelkeit über ihn; ihr wird die Anstrengung zugemuthet, diese Frey- heit aufzugeben, und statt das willkührlich be- wegende Princip des Inhalts zu seyn, diese Freyheit in ihn zu versenken, ihn durch seine eigne Natur, das heiſst, durch das Selbst als das seinige, sich bewegen zu laſſen, und diese Bewegung zu betrachten. Sich des eignen Ein- fallens in den immanenten Rythmus der Be- griffe entschlagen, in ihn nicht durch die Will- kühr und sonst erworbene Weisheit eingreif- fen, diese Enthaltsamkeit ist selbst ein wesent- liches Moment der Aufmerksamkeit auf den Begriff.
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[LXXII/0087]
Selbstbewegungen, die man Seelen nennen könn-
te, wenn nicht ihr Begriff etwas höheres be-
zeichnete als diese. Der Gewohnheit an Vor-
stellungen fortzulauffen, ist die Unterbrechung
derselben durch den Begriff eben so lästig, als
dem formalen Denken, das in unwirklichen Ge-
danken hin und her räſonnirt. Jene Gewohn-
heit ist ein materielles Denken zu nennen, ein
zufälliges Bewuſstseyn, das in den Stoff nur
versenkt ist, welchem es daher sauer ankömmt,
aus der Materie zugleich sein Selbst rein her-
auszuheben und bey sich zu seyn. Das andere,
das Räsonniren, hingegen ist die Freyheit von
dem Inhalt, und die Eitelkeit über ihn; ihr
wird die Anstrengung zugemuthet, diese Frey-
heit aufzugeben, und statt das willkührlich be-
wegende Princip des Inhalts zu seyn, diese
Freyheit in ihn zu versenken, ihn durch seine
eigne Natur, das heiſst, durch das Selbst als
das seinige, sich bewegen zu laſſen, und diese
Bewegung zu betrachten. Sich des eignen Ein-
fallens in den immanenten Rythmus der Be-
griffe entschlagen, in ihn nicht durch die Will-
kühr und sonst erworbene Weisheit eingreif-
fen, diese Enthaltsamkeit ist selbst ein wesent-
liches Moment der Aufmerksamkeit auf den
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Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: System der Wissenschaft. Erster Theil: Die Phänomenologie des Geistes. Bamberg u. a., 1807, S. LXXII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_phaenomenologie_1807/87>, abgerufen am 28.11.2024.
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