Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: System der Wissenschaft. Erster Theil: Die Phänomenologie des Geistes. Bamberg u. a., 1807.

Bild:
<< vorherige Seite

handelte, nicht verlängnen, sondern vom Verbrechen
und seine sühnende Beruhigung. Beyde sind die Ver-
gessenheit
, das Verschwundenseyn der Wirklichkeit
und des Thuns der Mächte der Substanz, ihrer Indivi-
dualitäten, und der Mächte des abstracten Gedankens
des Guten und des Bösen, denn keine für sich ist das
Wesen, sondern dieses ist die Ruhe des Ganzen in
sich selbst, die unbewegte Einheit des Schicksals, das
ruhige Daseyn und damit die Unthätigkeit und Unle-
bendigkeit der Familie und der Regierung, und die
gleiche Ehre und damit die gleichgültige Unwirklich-
keit Apolls und der Erinnye, und die Rückkehr ih-
rer Begeistung und Thätigkeit in den einfachen
Zevs.

Dieses Schicksal vollendet die Entvölkerung des
Himmels, -- der gedankenlosen Vermischung der In-
dividualität und des Wesens, -- einer Vermischung,
wodurch das Thun des Wesens als ein inconsequen-
tes, zufälliges, seiner unwürdiges erscheint; denn
dem Wesen nur oberflächlich anhängend ist die Indi-
vidualität die unwesentliche. Die Vertreibung solcher
wesenlosen Vorstellungen, die von Philosophen des
Alterthums gefodert wurde, beginnt also schon in der
Tragödie überhaupt dadurch, dass die Eintheilung der
Substanz von dem Begriffe beherrscht, die Individua-
lität hiemit die wesentliche und die Bestimmungen die
absoluten Charaktere sind. Das Selbstbewusstseyn,
das in ihr vorgestellt ist, kennt und anerkennt desswe[-]

X x 2

handelte, nicht verlängnen, sondern vom Verbrechen
und seine sühnende Beruhigung. Beyde sind die Ver-
geſſenheit
, das Verschwundenseyn der Wirklichkeit
und des Thuns der Mächte der Subſtanz, ihrer Indivi-
dualitäten, und der Mächte des abſtracten Gedankens
des Guten und des Bösen, denn keine für sich iſt das
Wesen, sondern dieses iſt die Ruhe des Ganzen in
sich selbſt, die unbewegte Einheit des Schicksals, das
ruhige Daseyn und damit die Unthätigkeit und Unle-
bendigkeit der Familie und der Regierung, und die
gleiche Ehre und damit die gleichgültige Unwirklich-
keit Apolls und der Erinnye, und die Rückkehr ih-
rer Begeiſtung und Thätigkeit in den einfachen
Zevs.

Dieses Schicksal vollendet die Entvölkerung des
Himmels, — der gedankenlosen Vermischung der In-
dividualität und des Wesens, — einer Vermischung,
wodurch das Thun des Wesens als ein inconsequen-
tes, zufälliges, seiner unwürdiges erscheint; denn
dem Wesen nur oberflächlich anhängend iſt die Indi-
vidualität die unwesentliche. Die Vertreibung solcher
wesenlosen Vorſtellungen, die von Philosophen des
Alterthums gefodert wurde, beginnt also schon in der
Tragödie überhaupt dadurch, daſs die Eintheilung der
Subſtanz von dem Begriffe beherrscht, die Individua-
lität hiemit die wesentliche und die Beſtimmungen die
absoluten Charaktere sind. Das Selbſtbewuſstſeyn,
das in ihr vorgeſtellt iſt, kennt und anerkennt deſswe[-]

X x 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0800" n="691"/>
handelte, nicht verlängnen, sondern vom Verbrechen<lb/>
und seine sühnende Beruhigung. Beyde sind die <hi rendition="#i">Ver-<lb/>
ge&#x017F;&#x017F;enheit</hi>, das Verschwundenseyn der Wirklichkeit<lb/>
und des Thuns der Mächte der Sub&#x017F;tanz, ihrer Indivi-<lb/>
dualitäten, und der Mächte des ab&#x017F;tracten Gedankens<lb/>
des Guten und des Bösen, denn keine für sich i&#x017F;t das<lb/>
Wesen, sondern dieses i&#x017F;t die Ruhe des Ganzen in<lb/>
sich selb&#x017F;t, die unbewegte Einheit des Schicksals, das<lb/>
ruhige Daseyn und damit die Unthätigkeit und Unle-<lb/>
bendigkeit der Familie und der Regierung, und die<lb/>
gleiche Ehre und damit die gleichgültige Unwirklich-<lb/>
keit Apolls und der Erinnye, und die Rückkehr ih-<lb/>
rer Begei&#x017F;tung und Thätigkeit in den einfachen<lb/>
Zevs.</p><lb/>
              <p>Dieses Schicksal vollendet die Entvölkerung des<lb/>
Himmels, &#x2014; der gedankenlosen Vermischung der In-<lb/>
dividualität und des Wesens, &#x2014; einer Vermischung,<lb/>
wodurch das Thun des Wesens als ein inconsequen-<lb/>
tes, zufälliges, seiner unwürdiges erscheint; denn<lb/>
dem Wesen nur oberflächlich anhängend i&#x017F;t die Indi-<lb/>
vidualität die unwesentliche. Die Vertreibung solcher<lb/>
wesenlosen Vor&#x017F;tellungen, die von Philosophen des<lb/>
Alterthums gefodert wurde, beginnt also schon in der<lb/>
Tragödie überhaupt dadurch, da&#x017F;s die Eintheilung der<lb/>
Sub&#x017F;tanz von dem Begriffe beherrscht, die Individua-<lb/>
lität hiemit die wesentliche und die Be&#x017F;timmungen die<lb/>
absoluten Charaktere sind. Das Selb&#x017F;tbewu&#x017F;st&#x017F;eyn,<lb/>
das in ihr vorge&#x017F;tellt i&#x017F;t, kennt und anerkennt de&#x017F;swe<supplied>-</supplied><lb/>
<fw place="bottom" type="sig">X x 2</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[691/0800] handelte, nicht verlängnen, sondern vom Verbrechen und seine sühnende Beruhigung. Beyde sind die Ver- geſſenheit, das Verschwundenseyn der Wirklichkeit und des Thuns der Mächte der Subſtanz, ihrer Indivi- dualitäten, und der Mächte des abſtracten Gedankens des Guten und des Bösen, denn keine für sich iſt das Wesen, sondern dieses iſt die Ruhe des Ganzen in sich selbſt, die unbewegte Einheit des Schicksals, das ruhige Daseyn und damit die Unthätigkeit und Unle- bendigkeit der Familie und der Regierung, und die gleiche Ehre und damit die gleichgültige Unwirklich- keit Apolls und der Erinnye, und die Rückkehr ih- rer Begeiſtung und Thätigkeit in den einfachen Zevs. Dieses Schicksal vollendet die Entvölkerung des Himmels, — der gedankenlosen Vermischung der In- dividualität und des Wesens, — einer Vermischung, wodurch das Thun des Wesens als ein inconsequen- tes, zufälliges, seiner unwürdiges erscheint; denn dem Wesen nur oberflächlich anhängend iſt die Indi- vidualität die unwesentliche. Die Vertreibung solcher wesenlosen Vorſtellungen, die von Philosophen des Alterthums gefodert wurde, beginnt also schon in der Tragödie überhaupt dadurch, daſs die Eintheilung der Subſtanz von dem Begriffe beherrscht, die Individua- lität hiemit die wesentliche und die Beſtimmungen die absoluten Charaktere sind. Das Selbſtbewuſstſeyn, das in ihr vorgeſtellt iſt, kennt und anerkennt deſswe- X x 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_phaenomenologie_1807
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_phaenomenologie_1807/800
Zitationshilfe: Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: System der Wissenschaft. Erster Theil: Die Phänomenologie des Geistes. Bamberg u. a., 1807, S. 691. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_phaenomenologie_1807/800>, abgerufen am 23.11.2024.