in verschiedene moralische Beziehungen analysirt, und diese entweder jede, wie es seyn muss, wenn sie Pflicht seyn soll, für absolut geltend ausgesagt, oder auch verglichen und geprüft werden. In der einfachen moralischen Handlung des Gewissens sind die Pflichten so verschüttet, dass allen diesen einzel- nen Wesen unmittelbar Abbruch gethan wird, und das prüffende Rütteln an der Pflicht in der unwan- kenden Gewissheit des Gewissens gar nicht statt findet.
Ebensowenig ist im Gewissen jene hin und her- gehende Ungewissheit des Bewusstseyns vorhanden, welches bald die sogenannte reine Moralität ausser sich in ein anderes heiliges Wesen setzt, und sich selbst als das unheilige gilt, bald aber auch wieder die moralische Reinheit in sich, und die Verknüp- fung des Sinnlichen mit dem Moralischen in das an- dere Wesen setzt.
Es entsagt allen diesen Stellungen und Verstellun- gen der moralischen Weltanschauung, indem es dem Bewusstseyn entsagt, das die Pflicht und die Wirklich- keit als widersprechend fasst. Nach diesem letztern handle ich moralisch, indem ich mir bewusst bin, nur die reine Pflicht zu vollbringen, nicht irgend etwas an- ders, diss heisst in der That, indem ich nicht handle. Indem ich aber wirklich handle, bin ich mir eines andern, einer Wirklichkeit, die vorhanden ist, und einer die ich hervorbringen will, bewusst, habe einen be- stimmten Zweck und erfülle eine bestimmte Pflicht; es
in verschiedene moralische Beziehungen analysirt, und diese entweder jede, wie es seyn muſs, wenn sie Pflicht seyn soll, für absolut geltend ausgesagt, oder auch verglichen und geprüft werden. In der einfachen moralischen Handlung des Gewiſſens sind die Pflichten so verschüttet, daſs allen diesen einzel- nen Wesen unmittelbar Abbruch gethan wird, und das prüffende Rütteln an der Pflicht in der unwan- kenden Gewiſsheit des Gewiſſens gar nicht ſtatt findet.
Ebensowenig ist im Gewiſſen jene hin und her- gehende Ungewiſsheit des Bewuſstseyns vorhanden, welches bald die sogenannte reine Moralität auſſer sich in ein anderes heiliges Wesen setzt, und sich selbst als das unheilige gilt, bald aber auch wieder die moralische Reinheit in sich, und die Verknüp- fung des Sinnlichen mit dem Moralischen in das an- dere Wesen setzt.
Es entsagt allen diesen Stellungen und Verſtellun- gen der moralischen Weltanschauung, indem es dem Bewuſstseyn entsagt, das die Pflicht und die Wirklich- keit als widersprechend faſst. Nach diesem letztern handle ich moralisch, indem ich mir bewuſst bin, nur die reine Pflicht zu vollbringen, nicht irgend etwas an- ders, diſs heiſst in der That, indem ich nicht handle. Indem ich aber wirklich handle, bin ich mir eines andern, einer Wirklichkeit, die vorhanden ist, und einer die ich hervorbringen will, bewuſst, habe einen be- ſtimmten Zweck und erfülle eine beſtimmte Pflicht; es
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in verschiedene moralische Beziehungen analysirt,
und diese entweder jede, wie es seyn muſs, wenn
sie Pflicht seyn soll, für absolut geltend ausgesagt,
oder auch verglichen und geprüft werden. In der
einfachen moralischen Handlung des Gewiſſens sind
die Pflichten so verschüttet, daſs allen diesen einzel-
nen Wesen unmittelbar Abbruch gethan wird, und
das prüffende Rütteln an der Pflicht in der unwan-
kenden Gewiſsheit des Gewiſſens gar nicht ſtatt
findet.
Ebensowenig ist im Gewiſſen jene hin und her-
gehende Ungewiſsheit des Bewuſstseyns vorhanden,
welches bald die sogenannte reine Moralität auſſer
sich in ein anderes heiliges Wesen setzt, und sich
selbst als das unheilige gilt, bald aber auch wieder
die moralische Reinheit in sich, und die Verknüp-
fung des Sinnlichen mit dem Moralischen in das an-
dere Wesen setzt.
Es entsagt allen diesen Stellungen und Verſtellun-
gen der moralischen Weltanschauung, indem es dem
Bewuſstseyn entsagt, das die Pflicht und die Wirklich-
keit als widersprechend faſst. Nach diesem letztern
handle ich moralisch, indem ich mir bewuſst bin, nur
die reine Pflicht zu vollbringen, nicht irgend etwas an-
ders, diſs heiſst in der That, indem ich nicht handle.
Indem ich aber wirklich handle, bin ich mir eines
andern, einer Wirklichkeit, die vorhanden ist, und einer
die ich hervorbringen will, bewuſst, habe einen be-
ſtimmten Zweck und erfülle eine beſtimmte Pflicht; es
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Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: System der Wissenschaft. Erster Theil: Die Phänomenologie des Geistes. Bamberg u. a., 1807, S. 586. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_phaenomenologie_1807/695>, abgerufen am 22.11.2024.
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