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Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: System der Wissenschaft. Erster Theil: Die Phänomenologie des Geistes. Bamberg u. a., 1807.

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Raume gegenüber, als den zweyten Stoff ihrer
Betrachtung. Die angewandte handelt wohl
von ihr, wie von der Bewegung, auch sonst
andern wirklichen Dingen, sie nimmt aber die
synthetischen, d. h. Sätze ihrer Verhältnisse,
die durch ihren Begriff bestimmt sind, aus der
Erfahrung auf, und wendet nur auf diese Vor-
aussetzungen ihre Formeln an. Dass die soge-
nannten Beweise solcher Sätze, als der vom
Gleichgewichte des Hebels, dem Verhältnisse
des Raums und der Zeit in der Bewegung des
Fallens u. s. f. welche sie häuffig gibt, für Be-
weise gegeben und angenommen werden, ist
selbst nur ein Beweis, wie gross das Bedürfniss
des Beweisens für das Erkennen ist, weil es,
wo es nicht mehr hat, auch den leeren Schein
desselben achtet und eine Zufriedenheit dadurch
gewinnt. Eine Kritik jener Beweife würde eben
so merkwürdig als belehrend seyn, um die Ma-
thematik theils von diesem falschen Putze zu
reinigen, theils ihre Gräntze zu zeigen, und
daraus die Nothwendigkeit eines andern Wis-
sens. -- Was die Zeit betrifft, von der man
meynen sollte, dass sie, zum Gegenstücke gegen
den Raum, den Stoff des andern Theils der rei-
nen Mathematik ausmachen würde, so ist sie
der daseyende Begriff selbst. Das Princip der

Raume gegenüber, als den zweyten Stoff ihrer
Betrachtung. Die angewandte handelt wohl
von ihr, wie von der Bewegung, auch ſonſt
andern wirklichen Dingen, ſie nimmt aber die
ſynthetiſchen, d. h. Sätze ihrer Verhältniſſe,
die durch ihren Begriff beſtimmt ſind, aus der
Erfahrung auf, und wendet nur auf dieſe Vor-
ausſetzungen ihre Formeln an. Daſs die ſoge-
nannten Beweiſe ſolcher Sätze, als der vom
Gleichgewichte des Hebels, dem Verhältniſſe
des Raums und der Zeit in der Bewegung des
Fallens u. ſ. f. welche ſie häuffig gibt, für Be-
weiſe gegeben und angenommen werden, iſt
ſelbſt nur ein Beweis, wie groſs das Bedürfniſs
des Beweiſens für das Erkennen iſt, weil es,
wo es nicht mehr hat, auch den leeren Schein
deſſelben achtet und eine Zufriedenheit dadurch
gewinnt. Eine Kritik jener Beweife würde eben
ſo merkwürdig als belehrend ſeyn, um die Ma-
thematik theils von dieſem falſchen Putze zu
reinigen, theils ihre Gräntze zu zeigen, und
daraus die Nothwendigkeit eines andern Wiſ-
ſens. — Was die Zeit betrifft, von der man
meynen ſollte, daſs ſie, zum Gegenſtücke gegen
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[LIV/0069] Raume gegenüber, als den zweyten Stoff ihrer Betrachtung. Die angewandte handelt wohl von ihr, wie von der Bewegung, auch ſonſt andern wirklichen Dingen, ſie nimmt aber die ſynthetiſchen, d. h. Sätze ihrer Verhältniſſe, die durch ihren Begriff beſtimmt ſind, aus der Erfahrung auf, und wendet nur auf dieſe Vor- ausſetzungen ihre Formeln an. Daſs die ſoge- nannten Beweiſe ſolcher Sätze, als der vom Gleichgewichte des Hebels, dem Verhältniſſe des Raums und der Zeit in der Bewegung des Fallens u. ſ. f. welche ſie häuffig gibt, für Be- weiſe gegeben und angenommen werden, iſt ſelbſt nur ein Beweis, wie groſs das Bedürfniſs des Beweiſens für das Erkennen iſt, weil es, wo es nicht mehr hat, auch den leeren Schein deſſelben achtet und eine Zufriedenheit dadurch gewinnt. Eine Kritik jener Beweife würde eben ſo merkwürdig als belehrend ſeyn, um die Ma- thematik theils von dieſem falſchen Putze zu reinigen, theils ihre Gräntze zu zeigen, und daraus die Nothwendigkeit eines andern Wiſ- ſens. — Was die Zeit betrifft, von der man meynen ſollte, daſs ſie, zum Gegenſtücke gegen den Raum, den Stoff des andern Theils der rei- nen Mathematik ausmachen würde, ſo iſt ſie der daſeyende Begriff ſelbſt. Das Princip der

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Zitationshilfe: Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: System der Wissenschaft. Erster Theil: Die Phänomenologie des Geistes. Bamberg u. a., 1807, S. LIV. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_phaenomenologie_1807/69>, abgerufen am 04.05.2024.