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Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: System der Wissenschaft. Erster Theil: Die Phänomenologie des Geistes. Bamberg u. a., 1807.

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wie Oel und Wasser, die unmischbar nur äus-
serlich verbunden sind. Gerade um der Bedeu-
tung willen, das Moment des vollkommenen An-
dersseyns
zu bezeichnen, müssen ihre Ausdrücke
da, wo ihr Andersseyn aufgehoben ist, nicht
mehr gebraucht werden. So wie der Ausdruck
der Einheit des Subjects und Objects, des End-
lichen und Unendlichen, des Seyns und Den-
kens u. s. f. das ungeschickte hat, dass Object
und Subject u. s. f. das bedeuten, was sie ausser
ihrer Einheit
sind, in der Einheit also nicht als
das gemeynt sind, was ihr Ausdruck sagt, eben
so ist das Falsche nicht mehr als Falsches ein
Moment der Wahrheit.

Der Dogmatismus der Denkungsart im Wis-
sen und im Studium der Philosophie ist nichts
anderes, als die Meynung, dass das Wahre in
einem Satze, der ein festes Resultat oder auch
der unmittelbar gewusst wird, bestehe. Auf
solche Fragen: wann Cäsar geboren worden,
wie viele Toisen ein Stadium und welches be-
trug u. s. f. soll eine nette Antwort gegeben
werden, ebenso wie es bestimmt wahr ist, dass
das Quadrat der Hypotenuse gleich der Summe
der Quadrate der beyden übrigen Seiten des
rechtwinklichten Dreyecks ist. Aber die Natur
einer solchen sogenannten Wahrheit ist ver-

wie Oel und Waſſer, die unmiſchbar nur äuſ-
ſerlich verbunden ſind. Gerade um der Bedeu-
tung willen, das Moment des vollkommenen An-
dersſeyns
zu bezeichnen, müſſen ihre Ausdrücke
da, wo ihr Andersſeyn aufgehoben iſt, nicht
mehr gebraucht werden. So wie der Ausdruck
der Einheit des Subjects und Objects, des End-
lichen und Unendlichen, des Seyns und Den-
kens u. ſ. f. das ungeſchickte hat, daſs Object
und Subject u. ſ. f. das bedeuten, was ſie auſſer
ihrer Einheit
ſind, in der Einheit alſo nicht als
das gemeynt ſind, was ihr Ausdruck ſagt, eben
ſo iſt das Falſche nicht mehr als Falſches ein
Moment der Wahrheit.

Der Dogmatiſmus der Denkungsart im Wiſ-
ſen und im Studium der Philoſophie iſt nichts
anderes, als die Meynung, daſs das Wahre in
einem Satze, der ein feſtes Reſultat oder auch
der unmittelbar gewuſst wird, beſtehe. Auf
ſolche Fragen: wann Cäſar geboren worden,
wie viele Toiſen ein Stadium und welches be-
trug u. ſ. f. ſoll eine nette Antwort gegeben
werden, ebenſo wie es beſtimmt wahr iſt, daſs
das Quadrat der Hypotenuſe gleich der Summe
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rechtwinklichten Dreyecks iſt. Aber die Natur
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[XLVII/0062] wie Oel und Waſſer, die unmiſchbar nur äuſ- ſerlich verbunden ſind. Gerade um der Bedeu- tung willen, das Moment des vollkommenen An- dersſeyns zu bezeichnen, müſſen ihre Ausdrücke da, wo ihr Andersſeyn aufgehoben iſt, nicht mehr gebraucht werden. So wie der Ausdruck der Einheit des Subjects und Objects, des End- lichen und Unendlichen, des Seyns und Den- kens u. ſ. f. das ungeſchickte hat, daſs Object und Subject u. ſ. f. das bedeuten, was ſie auſſer ihrer Einheit ſind, in der Einheit alſo nicht als das gemeynt ſind, was ihr Ausdruck ſagt, eben ſo iſt das Falſche nicht mehr als Falſches ein Moment der Wahrheit. Der Dogmatiſmus der Denkungsart im Wiſ- ſen und im Studium der Philoſophie iſt nichts anderes, als die Meynung, daſs das Wahre in einem Satze, der ein feſtes Reſultat oder auch der unmittelbar gewuſst wird, beſtehe. Auf ſolche Fragen: wann Cäſar geboren worden, wie viele Toiſen ein Stadium und welches be- trug u. ſ. f. ſoll eine nette Antwort gegeben werden, ebenſo wie es beſtimmt wahr iſt, daſs das Quadrat der Hypotenuſe gleich der Summe der Quadrate der beyden übrigen Seiten des rechtwinklichten Dreyecks iſt. Aber die Natur einer ſolchen ſogenannten Wahrheit iſt ver-

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Zitationshilfe: Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: System der Wissenschaft. Erster Theil: Die Phänomenologie des Geistes. Bamberg u. a., 1807, S. XLVII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_phaenomenologie_1807/62>, abgerufen am 04.05.2024.