Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: System der Wissenschaft. Erster Theil: Die Phänomenologie des Geistes. Bamberg u. a., 1807.

Bild:
<< vorherige Seite

welches für solche edle Zwecke zu handeln vorgibt,
und solche vortreffliche Redensarten führt, sich für
ein vortreffliches Wesen gilt; -- eine Aufschwel-
lung, welche sich und andern den Kopf gross macht,
aber gross von einer leeren Aufgeblasenheit. -- Die
antike Tugend hatte ihre bestimmte sichere Bedeu-
tung, denn sie hatte an der Substanz des Volks ihre
inhaltsvolle Grundlage, und ein wirkliches schon existi-
rendes
Gutes zu ihrem Zwecke; sie war daher auch
nicht gegen die Wirklichkeit als eine allgemeine Ver-
kehrtheit
und gegen einen Weltlauff gerichtet. Die be-
trachtete aber ist aus der Substanz heraus, eine we-
senlose Tugend, eine Tugend nur der Vorstellung
und der Worte, die jenes Inhalts entbehren. --
Diese Leerheit der mit dem Weltlauffe kämpfenden
Rednerey würde sich sogleich aufdecken, wenn gesagt
werden sollte, was ihre Redensarten bedeuten; --
sie werden daher als bekannt vorausgesetzt. Die For-
derung, diss bekannte zu sagen, würde entweder
durch einen neuen Schwall von Redensarten erfüllt,
oder ihr die Beruffung auf das Herz entgegengesetzt,
welches innerhalb es sage, was sie bedeuten, das
heisst, die Unvermögenheit, es in der That zu sagen,
würde eingestanden. -- Die Nichtigkeit jener Red-
nerey scheint auch auf eine bewusstlose Art für die
Bildung unsers Zeitalters Gewissheit erlangt zu ha-
ben; indem aus der ganzen Masse jener Redensar-
ten, und der Weise sich damit aufzuspreitzen, al-
les Interesse verschwunden ist; ein Verlust, der

welches für solche edle Zwecke zu handeln vorgibt,
und solche vortreffliche Redensarten führt, sich für
ein vortreffliches Wesen gilt; — eine Aufschwel-
lung, welche sich und andern den Kopf groſs macht,
aber groſs von einer leeren Aufgeblasenheit. — Die
antike Tugend hatte ihre bestimmte sichere Bedeu-
tung, denn sie hatte an der Substanz des Volks ihre
inhaltsvolle Grundlage, und ein wirkliches schon existi-
rendes
Gutes zu ihrem Zwecke; sie war daher auch
nicht gegen die Wirklichkeit als eine allgemeine Ver-
kehrtheit
und gegen einen Weltlauff gerichtet. Die be-
trachtete aber ist aus der Substanz heraus, eine we-
senlose Tugend, eine Tugend nur der Vorstellung
und der Worte, die jenes Inhalts entbehren. —
Diese Leerheit der mit dem Weltlauffe kämpfenden
Rednerey würde sich sogleich aufdecken, wenn gesagt
werden sollte, was ihre Redensarten bedeuten; —
sie werden daher als bekannt vorausgesetzt. Die For-
derung, diſs bekannte zu sagen, würde entweder
durch einen neuen Schwall von Redensarten erfüllt,
oder ihr die Beruffung auf das Herz entgegengesetzt,
welches innerhalb es sage, was sie bedeuten, das
heiſst, die Unvermögenheit, es in der That zu sagen,
würde eingestanden. — Die Nichtigkeit jener Red-
nerey scheint auch auf eine bewuſstlose Art für die
Bildung unsers Zeitalters Gewiſsheit erlangt zu ha-
ben; indem aus der ganzen Masse jener Redensar-
ten, und der Weise sich damit aufzuspreitzen, al-
les Interesse verschwunden ist; ein Verlust, der

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0436" n="327"/>
welches für solche edle Zwecke zu handeln vorgibt,<lb/>
und solche vortreffliche Redensarten führt, sich für<lb/>
ein vortreffliches Wesen gilt; &#x2014; eine Aufschwel-<lb/>
lung, welche sich und andern den Kopf gro&#x017F;s macht,<lb/>
aber gro&#x017F;s von einer leeren Aufgeblasenheit. &#x2014; Die<lb/>
antike Tugend hatte ihre bestimmte sichere Bedeu-<lb/>
tung, denn sie hatte an der <hi rendition="#i">Substanz</hi> des Volks ihre<lb/><hi rendition="#i">inhaltsvolle Grundlage</hi>, und ein <hi rendition="#i">wirkliches schon existi-<lb/>
rendes</hi> Gutes zu ihrem Zwecke; sie war daher auch<lb/>
nicht gegen die Wirklichkeit als eine <hi rendition="#i">allgemeine Ver-<lb/>
kehrtheit</hi> und gegen einen <hi rendition="#i">Weltlauff</hi> gerichtet. Die be-<lb/>
trachtete aber ist aus der Substanz heraus, eine we-<lb/>
senlose Tugend, eine Tugend nur der Vorstellung<lb/>
und der Worte, die jenes Inhalts entbehren. &#x2014;<lb/>
Diese Leerheit der mit dem Weltlauffe kämpfenden<lb/>
Rednerey würde sich sogleich aufdecken, wenn gesagt<lb/>
werden sollte, was ihre Redensarten bedeuten; &#x2014;<lb/>
sie werden daher <hi rendition="#i">als bekannt vorausgesetzt</hi>. Die For-<lb/>
derung, di&#x017F;s bekannte zu sagen, würde entweder<lb/>
durch einen neuen Schwall von Redensarten erfüllt,<lb/>
oder ihr die Beruffung auf das Herz entgegengesetzt,<lb/>
welches <hi rendition="#i">innerhalb</hi> es sage, was sie bedeuten, das<lb/>
hei&#x017F;st, die Unvermögenheit, <hi rendition="#i">es in der That</hi> zu sagen,<lb/>
würde eingestanden. &#x2014; Die Nichtigkeit jener Red-<lb/>
nerey scheint auch auf eine bewu&#x017F;stlose Art für die<lb/>
Bildung unsers Zeitalters Gewi&#x017F;sheit erlangt zu ha-<lb/>
ben; indem aus der ganzen Masse jener Redensar-<lb/>
ten, und der Weise sich damit aufzuspreitzen, al-<lb/>
les Interesse verschwunden ist; ein Verlust, der<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[327/0436] welches für solche edle Zwecke zu handeln vorgibt, und solche vortreffliche Redensarten führt, sich für ein vortreffliches Wesen gilt; — eine Aufschwel- lung, welche sich und andern den Kopf groſs macht, aber groſs von einer leeren Aufgeblasenheit. — Die antike Tugend hatte ihre bestimmte sichere Bedeu- tung, denn sie hatte an der Substanz des Volks ihre inhaltsvolle Grundlage, und ein wirkliches schon existi- rendes Gutes zu ihrem Zwecke; sie war daher auch nicht gegen die Wirklichkeit als eine allgemeine Ver- kehrtheit und gegen einen Weltlauff gerichtet. Die be- trachtete aber ist aus der Substanz heraus, eine we- senlose Tugend, eine Tugend nur der Vorstellung und der Worte, die jenes Inhalts entbehren. — Diese Leerheit der mit dem Weltlauffe kämpfenden Rednerey würde sich sogleich aufdecken, wenn gesagt werden sollte, was ihre Redensarten bedeuten; — sie werden daher als bekannt vorausgesetzt. Die For- derung, diſs bekannte zu sagen, würde entweder durch einen neuen Schwall von Redensarten erfüllt, oder ihr die Beruffung auf das Herz entgegengesetzt, welches innerhalb es sage, was sie bedeuten, das heiſst, die Unvermögenheit, es in der That zu sagen, würde eingestanden. — Die Nichtigkeit jener Red- nerey scheint auch auf eine bewuſstlose Art für die Bildung unsers Zeitalters Gewiſsheit erlangt zu ha- ben; indem aus der ganzen Masse jener Redensar- ten, und der Weise sich damit aufzuspreitzen, al- les Interesse verschwunden ist; ein Verlust, der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_phaenomenologie_1807
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_phaenomenologie_1807/436
Zitationshilfe: Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: System der Wissenschaft. Erster Theil: Die Phänomenologie des Geistes. Bamberg u. a., 1807, S. 327. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_phaenomenologie_1807/436>, abgerufen am 18.05.2024.