Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: System der Wissenschaft. Erster Theil: Die Phänomenologie des Geistes. Bamberg u. a., 1807.

Bild:
<< vorherige Seite

noch nicht als solche Gegenstand ist. Wenn es die
Vernunft als gleiches Wesen der Dinge und sei-
ner selbst wüsste, und dass sie nur in dem Bewusst-
seyn in ihrer eigenthümlichen Gestalt gegenwärtig
seyn kann, so würde es vielmehr in seine eigne Tiefe
steigen und sie darin suchen, als in den Dingen.
Wenn es sie in dieser gefunden hätte, würde sie von
da wieder heraus an die Wirklichkeit gewiesen wer-
den, um in dieser ihren sinnlichen Ausdruck anzu-
schauen, aber ihn sogleich wesentlich als Begriff neh-
men. Die Vornunft, wie sie unmittelbar als die Ge-
wissheit des Bewusstseyns alle Realität zu seyn, auf-
tritt, nimmt ihre Realität in dem Sinne der Unmit-
telbarkeit des Seyns
, und ebenso die Einheit des Ich
mit diesem gegenständlichen Wesen in dem Sinne
einer unmittelbaren Einheit, an der sie die Momente
des Seyns und Ich noch nicht getrennt, und wieder
vereinigt, oder die sie noch nicht erkannt hat. Sie
geht daher als beobachtendes Bewusstseyn an die
Dinge, in der Meynung, dass sie diese als sinnliche,
dem Ich entgegengesetzte Dinge in Wahrheit neh-
me; allein ihr wirkliches Thun widerspricht dieser
Meynung; denn sie erkennt die Dinge, sie verwandelt
ihre Sinnlichkeit in Begriffe, d. h. eben in ein Seyn,
welches zugleich Ich ist, das Denken somit in ein
seyendes Denken, oder das Seyn in ein gedachtes
Seyn, und behauptet in der That, dass die Dinge
nur als Begriffe Wahrheit haben. Für diss beobach-
tende Bewusstseyn wird darin nur diss, was die Dinge

noch nicht als solche Gegenstand ist. Wenn es die
Vernunft als gleiches Wesen der Dinge und sei-
ner selbst wüſste, und daſs sie nur in dem Bewuſst-
seyn in ihrer eigenthümlichen Gestalt gegenwärtig
seyn kann, so würde es vielmehr in seine eigne Tiefe
steigen und sie darin suchen, als in den Dingen.
Wenn es sie in dieser gefunden hätte, würde sie von
da wieder heraus an die Wirklichkeit gewiesen wer-
den, um in dieser ihren sinnlichen Ausdruck anzu-
schauen, aber ihn sogleich wesentlich als Begriff neh-
men. Die Vornunft, wie sie unmittelbar als die Ge-
wiſsheit des Bewuſstseyns alle Realität zu seyn, auf-
tritt, nimmt ihre Realität in dem Sinne der Unmit-
telbarkeit des Seyns
, und ebenso die Einheit des Ich
mit diesem gegenständlichen Wesen in dem Sinne
einer unmittelbaren Einheit, an der sie die Momente
des Seyns und Ich noch nicht getrennt, und wieder
vereinigt, oder die sie noch nicht erkannt hat. Sie
geht daher als beobachtendes Bewuſstseyn an die
Dinge, in der Meynung, daſs sie diese als sinnliche,
dem Ich entgegengesetzte Dinge in Wahrheit neh-
me; allein ihr wirkliches Thun widerspricht dieser
Meynung; denn sie erkennt die Dinge, sie verwandelt
ihre Sinnlichkeit in Begriffe, d. h. eben in ein Seyn,
welches zugleich Ich ist, das Denken somit in ein
seyendes Denken, oder das Seyn in ein gedachtes
Seyn, und behauptet in der That, daſs die Dinge
nur als Begriffe Wahrheit haben. Für diſs beobach-
tende Bewuſstseyn wird darin nur diſs, was die Dinge

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0285" n="176"/>
noch nicht als solche Gegenstand ist. Wenn es die<lb/><hi rendition="#i">Vernunft</hi> als gleiches Wesen der Dinge und sei-<lb/>
ner selbst wü&#x017F;ste, und da&#x017F;s sie nur in dem Bewu&#x017F;st-<lb/>
seyn in ihrer eigenthümlichen Gestalt gegenwärtig<lb/>
seyn kann, so würde es vielmehr in seine eigne Tiefe<lb/>
steigen und sie darin suchen, als in den Dingen.<lb/>
Wenn es sie in dieser gefunden hätte, würde sie von<lb/>
da wieder heraus an die Wirklichkeit gewiesen wer-<lb/>
den, um in dieser ihren sinnlichen Ausdruck anzu-<lb/>
schauen, aber ihn sogleich wesentlich als <hi rendition="#i">Begriff</hi> neh-<lb/>
men. Die Vornunft, wie sie <hi rendition="#i">unmittelbar</hi> als die Ge-<lb/>
wi&#x017F;sheit des Bewu&#x017F;stseyns alle Realität zu seyn, auf-<lb/>
tritt, nimmt ihre Realität in dem Sinne der <hi rendition="#i">Unmit-<lb/>
telbarkeit des Seyns</hi>, und ebenso die Einheit des Ich<lb/>
mit diesem gegenständlichen Wesen in dem Sinne<lb/>
einer <hi rendition="#i">unmittelbaren Einheit</hi>, an der sie die Momente<lb/>
des Seyns und Ich noch nicht getrennt, und wieder<lb/>
vereinigt, oder die sie noch nicht erkannt hat. Sie<lb/>
geht daher als beobachtendes Bewu&#x017F;stseyn an die<lb/>
Dinge, in der Meynung, da&#x017F;s sie diese als sinnliche,<lb/>
dem Ich entgegengesetzte Dinge in Wahrheit neh-<lb/>
me; allein ihr wirkliches Thun widerspricht dieser<lb/>
Meynung; denn sie <hi rendition="#i">erkennt</hi> die Dinge, sie verwandelt<lb/>
ihre Sinnlichkeit <hi rendition="#i">in Begriffe</hi>, d. h. eben in ein Seyn,<lb/>
welches zugleich Ich ist, das Denken somit in ein<lb/>
seyendes Denken, oder das Seyn in ein gedachtes<lb/>
Seyn, und behauptet in der That, da&#x017F;s die Dinge<lb/>
nur als Begriffe Wahrheit haben. Für di&#x017F;s beobach-<lb/>
tende Bewu&#x017F;stseyn wird darin nur di&#x017F;s, was <hi rendition="#i">die Dinge</hi><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[176/0285] noch nicht als solche Gegenstand ist. Wenn es die Vernunft als gleiches Wesen der Dinge und sei- ner selbst wüſste, und daſs sie nur in dem Bewuſst- seyn in ihrer eigenthümlichen Gestalt gegenwärtig seyn kann, so würde es vielmehr in seine eigne Tiefe steigen und sie darin suchen, als in den Dingen. Wenn es sie in dieser gefunden hätte, würde sie von da wieder heraus an die Wirklichkeit gewiesen wer- den, um in dieser ihren sinnlichen Ausdruck anzu- schauen, aber ihn sogleich wesentlich als Begriff neh- men. Die Vornunft, wie sie unmittelbar als die Ge- wiſsheit des Bewuſstseyns alle Realität zu seyn, auf- tritt, nimmt ihre Realität in dem Sinne der Unmit- telbarkeit des Seyns, und ebenso die Einheit des Ich mit diesem gegenständlichen Wesen in dem Sinne einer unmittelbaren Einheit, an der sie die Momente des Seyns und Ich noch nicht getrennt, und wieder vereinigt, oder die sie noch nicht erkannt hat. Sie geht daher als beobachtendes Bewuſstseyn an die Dinge, in der Meynung, daſs sie diese als sinnliche, dem Ich entgegengesetzte Dinge in Wahrheit neh- me; allein ihr wirkliches Thun widerspricht dieser Meynung; denn sie erkennt die Dinge, sie verwandelt ihre Sinnlichkeit in Begriffe, d. h. eben in ein Seyn, welches zugleich Ich ist, das Denken somit in ein seyendes Denken, oder das Seyn in ein gedachtes Seyn, und behauptet in der That, daſs die Dinge nur als Begriffe Wahrheit haben. Für diſs beobach- tende Bewuſstseyn wird darin nur diſs, was die Dinge

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_phaenomenologie_1807
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_phaenomenologie_1807/285
Zitationshilfe: Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: System der Wissenschaft. Erster Theil: Die Phänomenologie des Geistes. Bamberg u. a., 1807, S. 176. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_phaenomenologie_1807/285>, abgerufen am 22.12.2024.