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Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: System der Wissenschaft. Erster Theil: Die Phänomenologie des Geistes. Bamberg u. a., 1807.

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Dieser Foderung entspricht die angestreng-
te und fast eifernd und gereizt sich zeigende
Bemühung, die Menschen aus der Versunken-
heit ins Sinnliche Gemeine und Einzelne her-
auszureissen und ihren Blick zu den Sternen auf-
zurichten; als ob sie des Göttlichen ganz verges-
send, mit Staub und Wasser, wie der Wurm,
auf dem Punkte sich zu befriedigen stünden.
Sonst hatten sie einen Himmel mit weitläuffigem
Reichthume von Gedanken und Bildern ausge-
stattet. Von allem, was ist, lag die Bedeutung
in dem Lichtfaden, durch den es an den Him-
mel geknüpft war; an ihm, statt in dieser Ge-
genwart zu verweilen, glitt der Blick über sie
hinaus, zum göttlichen Wesen, zu einer, wenn
man so sagen kann, jenseitigen Gegenwart hin-
auf. Das Auge des Geistes musste mit Zwang
auf das Irdische gerichtet und bey ihm festge-
halten werden; und es hat einer langen Zeit
bedurft, jene Klarheit, die nur das Ueberirdi-
sche hatte, in die Dumpfheit und Verworren-
heit, worin der Sinn des Disseitigen lag, hinein-
zuarbeiten, und die Aufmerksamkeit auf das
Gegenwärtige als solches, welche Erfahrung
genannt wurde, interessant und geltend zu ma-
chen. -- Jetzt scheint die Noth des Gegentheils
vorhanden, der Sinn so sehr [i]n das Irdische

Dieſer Foderung entſpricht die angeſtreng-
te und faſt eifernd und gereizt ſich zeigende
Bemühung, die Menſchen aus der Verſunken-
heit ins Sinnliche Gemeine und Einzelne her-
auszureiſſen und ihren Blick zu den Sternen auf-
zurichten; als ob ſie des Göttlichen ganz vergeſ-
ſend, mit Staub und Waſſer, wie der Wurm,
auf dem Punkte ſich zu befriedigen ſtünden.
Sonſt hatten ſie einen Himmel mit weitläuffigem
Reichthume von Gedanken und Bildern ausge-
ſtattet. Von allem, was iſt, lag die Bedeutung
in dem Lichtfaden, durch den es an den Him-
mel geknüpft war; an ihm, ſtatt in dieſer Ge-
genwart zu verweilen, glitt der Blick über ſie
hinaus, zum göttlichen Weſen, zu einer, wenn
man ſo ſagen kann, jenſeitigen Gegenwart hin-
auf. Das Auge des Geiſtes muſste mit Zwang
auf das Irdiſche gerichtet und bey ihm feſtge-
halten werden; und es hat einer langen Zeit
bedurft, jene Klarheit, die nur das Ueberirdi-
ſche hatte, in die Dumpfheit und Verworren-
heit, worin der Sinn des Diſſeitigen lag, hinein-
zuarbeiten, und die Aufmerkſamkeit auf das
Gegenwärtige als ſolches, welche Erfahrung
genannt wurde, intereſſant und geltend zu ma-
chen. — Jetzt ſcheint die Noth des Gegentheils
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[X/0025] Dieſer Foderung entſpricht die angeſtreng- te und faſt eifernd und gereizt ſich zeigende Bemühung, die Menſchen aus der Verſunken- heit ins Sinnliche Gemeine und Einzelne her- auszureiſſen und ihren Blick zu den Sternen auf- zurichten; als ob ſie des Göttlichen ganz vergeſ- ſend, mit Staub und Waſſer, wie der Wurm, auf dem Punkte ſich zu befriedigen ſtünden. Sonſt hatten ſie einen Himmel mit weitläuffigem Reichthume von Gedanken und Bildern ausge- ſtattet. Von allem, was iſt, lag die Bedeutung in dem Lichtfaden, durch den es an den Him- mel geknüpft war; an ihm, ſtatt in dieſer Ge- genwart zu verweilen, glitt der Blick über ſie hinaus, zum göttlichen Weſen, zu einer, wenn man ſo ſagen kann, jenſeitigen Gegenwart hin- auf. Das Auge des Geiſtes muſste mit Zwang auf das Irdiſche gerichtet und bey ihm feſtge- halten werden; und es hat einer langen Zeit bedurft, jene Klarheit, die nur das Ueberirdi- ſche hatte, in die Dumpfheit und Verworren- heit, worin der Sinn des Diſſeitigen lag, hinein- zuarbeiten, und die Aufmerkſamkeit auf das Gegenwärtige als ſolches, welche Erfahrung genannt wurde, intereſſant und geltend zu ma- chen. — Jetzt ſcheint die Noth des Gegentheils vorhanden, der Sinn ſo ſehr in das Irdiſche

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Zitationshilfe: Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: System der Wissenschaft. Erster Theil: Die Phänomenologie des Geistes. Bamberg u. a., 1807, S. X. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_phaenomenologie_1807/25>, abgerufen am 28.03.2024.