das Gefühl, sein inwendiges Orakel, berufft, ist er gegen den, der nicht übereinstimmt, fer- tig; er muss erklären, dass er dem weiter nichts zu sagen habe, der nicht dasselbe in sich finde und fühle; -- mit andern Worten, er tritt die Wurzel der Humanität mit Füssen. Denn die Natur dieser ist auf die Ueberein- kunft mit andern zu dringen, und ihre Exi- stenz nur in der zu Stande gebrachten Gemein- samkeit der Bewusstseyn. Das widermenschli- che, das thierische besteht darin, im Gefühle stehen zu bleiben und nur durch dieses sich mittheilen zu können.
Wenn nach einem königlichen Wege zur Wissenschaft gefragt würde, so kann kein be- quemerer angegeben werden, als der sich auf den gesunden Menschenverstand zu verlassen, und um übrigens auch mit der Zeit und mit der Philosophie fortzuschreiten, Recensionen von philosophischen Schriften, etwa gar die Vorreden und ersten Paragraphen derselben zu lesen, denn diese geben die allgemeine Grund- sätze, worauf alles ankommt, und jene neben der historischen Notiz noch die Beurtheilung, die sogar, weil sie Beurtheilung ist, über das Beurtheilte hinaus ist. Dieser gemeine Weg macht sich im Hausrocke, aber im hohenprie-
das Gefühl, ſein inwendiges Orakel, berufft, iſt er gegen den, der nicht übereinſtimmt, fer- tig; er muſs erklären, daſs er dem weiter nichts zu ſagen habe, der nicht daſſelbe in ſich finde und fühle; — mit andern Worten, er tritt die Wurzel der Humanität mit Füſſen. Denn die Natur dieſer iſt auf die Ueberein- kunft mit andern zu dringen, und ihre Exi- stenz nur in der zu Stande gebrachten Gemein- ſamkeit der Bewuſstſeyn. Das widermenſchli- che, das thieriſche beſteht darin, im Gefühle ſtehen zu bleiben und nur durch dieſes ſich mittheilen zu können.
Wenn nach einem königlichen Wege zur Wiſſenſchaft gefragt würde, ſo kann kein be- quemerer angegeben werden, als der ſich auf den geſunden Menſchenverſtand zu verlaſſen, und um übrigens auch mit der Zeit und mit der Philoſophie fortzuſchreiten, Recenſionen von philoſophiſchen Schriften, etwa gar die Vorreden und erſten Paragraphen derſelben zu leſen, denn dieſe geben die allgemeine Grund- ſätze, worauf alles ankommt, und jene neben der hiſtoriſchen Notiz noch die Beurtheilung, die ſogar, weil ſie Beurtheilung iſt, über das Beurtheilte hinaus iſt. Dieſer gemeine Weg macht ſich im Hausrocke, aber im hohenprie-
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[LXXXVII/0102]
das Gefühl, ſein inwendiges Orakel, berufft,
iſt er gegen den, der nicht übereinſtimmt, fer-
tig; er muſs erklären, daſs er dem weiter
nichts zu ſagen habe, der nicht daſſelbe in ſich
finde und fühle; — mit andern Worten, er
tritt die Wurzel der Humanität mit Füſſen.
Denn die Natur dieſer iſt auf die Ueberein-
kunft mit andern zu dringen, und ihre Exi-
stenz nur in der zu Stande gebrachten Gemein-
ſamkeit der Bewuſstſeyn. Das widermenſchli-
che, das thieriſche beſteht darin, im Gefühle
ſtehen zu bleiben und nur durch dieſes ſich
mittheilen zu können.
Wenn nach einem königlichen Wege zur
Wiſſenſchaft gefragt würde, ſo kann kein be-
quemerer angegeben werden, als der ſich auf
den geſunden Menſchenverſtand zu verlaſſen,
und um übrigens auch mit der Zeit und mit
der Philoſophie fortzuſchreiten, Recenſionen
von philoſophiſchen Schriften, etwa gar die
Vorreden und erſten Paragraphen derſelben zu
leſen, denn dieſe geben die allgemeine Grund-
ſätze, worauf alles ankommt, und jene neben
der hiſtoriſchen Notiz noch die Beurtheilung,
die ſogar, weil ſie Beurtheilung iſt, über das
Beurtheilte hinaus iſt. Dieſer gemeine Weg
macht ſich im Hausrocke, aber im hohenprie-
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Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: System der Wissenschaft. Erster Theil: Die Phänomenologie des Geistes. Bamberg u. a., 1807, S. LXXXVII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_phaenomenologie_1807/102>, abgerufen am 24.11.2024.
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