Wahrheit absprechen würde, weil sie des räumlichen- und zeitlichen Stoffes der Sinnlichkeit entbehren?
Es hängt hiemit unmittelbar der Gesichtspunkt zu- sammen, in Rücksicht auf welchen der Begriff und die Bestimmung der Logik überhaupt zu betrachten ist, und der in der Kantischen Philosophie auf die gleiche Weise, wie insgemein genommen wird; das Verhältniß nemlich des Begriffs und seiner Wissenschaft zur Wahrheit selbst. Es ist vorhin aus der Kanti- schen Deduction der Kategorien angeführt worden, daß nach derselben das Object, als in welchem das Man- nichfaltige der Anschauung vereinigt ist, nur diese Einheit ist durch die Einheit des Selbstbe- wußtseyns. Die Objectivität des Denkens ist also hier bestimmt ausgesprochen, eine Identität des Begriffs und des Dinges, welche die Wahrheit ist. Auf gleiche Weise wird auch insgemein zugegeben, daß indem das Denken einen gegebenen Gegenstand sich an- eignet, dieser dadurch eine Veränderung erleidet, und aus einem sinnlichen zu einem gedachten gemacht wer- de; daß aber diese Veränderung nicht nur nichts an sei- ner Wesentlichkeit ändere, sondern daß er vielmehr erst in seinem Begriffe in seiner Wahrheit; in der Unmit- telbarkeit, in welcher er gegeben ist, aber nur Erschei- nung und Zufälligkeit, daß die Erkenntniß des Gegenstands, welche ihn begreifft, die Erkenntniß des- selben, wie er an und für sich ist, und der Begriff seine Objectivität selbst sey. Auf der andern Seite wird aber eben so wieder behauptet, wir können die Dinge doch nicht erkennen, wie sie an und für sich seyen, und die Wahrheit sey für die erkennende Vernunft unzugänglich; jene Wahrheit, welche in der Einheit des Objects und des Begriffs besteht, sey doch nur Erscheinung; und zwar
nun
Vom Begriff
Wahrheit abſprechen wuͤrde, weil ſie des raͤumlichen- und zeitlichen Stoffes der Sinnlichkeit entbehren?
Es haͤngt hiemit unmittelbar der Geſichtspunkt zu- ſammen, in Ruͤckſicht auf welchen der Begriff und die Beſtimmung der Logik uͤberhaupt zu betrachten iſt, und der in der Kantiſchen Philoſophie auf die gleiche Weiſe, wie insgemein genommen wird; das Verhaͤltniß nemlich des Begriffs und ſeiner Wiſſenſchaft zur Wahrheit ſelbſt. Es iſt vorhin aus der Kanti- ſchen Deduction der Kategorien angefuͤhrt worden, daß nach derſelben das Object, als in welchem das Man- nichfaltige der Anſchauung vereinigt iſt, nur dieſe Einheit iſt durch die Einheit des Selbſtbe- wußtſeyns. Die Objectivitaͤt des Denkens iſt alſo hier beſtimmt ausgeſprochen, eine Identitaͤt des Begriffs und des Dinges, welche die Wahrheit iſt. Auf gleiche Weiſe wird auch insgemein zugegeben, daß indem das Denken einen gegebenen Gegenſtand ſich an- eignet, dieſer dadurch eine Veraͤnderung erleidet, und aus einem ſinnlichen zu einem gedachten gemacht wer- de; daß aber dieſe Veraͤnderung nicht nur nichts an ſei- ner Weſentlichkeit aͤndere, ſondern daß er vielmehr erſt in ſeinem Begriffe in ſeiner Wahrheit; in der Unmit- telbarkeit, in welcher er gegeben iſt, aber nur Erſchei- nung und Zufaͤlligkeit, daß die Erkenntniß des Gegenſtands, welche ihn begreifft, die Erkenntniß deſ- ſelben, wie er an und fuͤr ſich iſt, und der Begriff ſeine Objectivitaͤt ſelbſt ſey. Auf der andern Seite wird aber eben ſo wieder behauptet, wir koͤnnen die Dinge doch nicht erkennen, wie ſie an und fuͤr ſich ſeyen, und die Wahrheit ſey fuͤr die erkennende Vernunft unzugaͤnglich; jene Wahrheit, welche in der Einheit des Objects und des Begriffs beſteht, ſey doch nur Erſcheinung; und zwar
nun
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Vom Begriff
Wahrheit abſprechen wuͤrde, weil ſie des raͤumlichen-
und zeitlichen Stoffes der Sinnlichkeit entbehren?
Es haͤngt hiemit unmittelbar der Geſichtspunkt zu-
ſammen, in Ruͤckſicht auf welchen der Begriff und die
Beſtimmung der Logik uͤberhaupt zu betrachten iſt, und
der in der Kantiſchen Philoſophie auf die gleiche Weiſe,
wie insgemein genommen wird; das Verhaͤltniß
nemlich des Begriffs und ſeiner Wiſſenſchaft
zur Wahrheit ſelbſt. Es iſt vorhin aus der Kanti-
ſchen Deduction der Kategorien angefuͤhrt worden, daß
nach derſelben das Object, als in welchem das Man-
nichfaltige der Anſchauung vereinigt iſt, nur dieſe
Einheit iſt durch die Einheit des Selbſtbe-
wußtſeyns. Die Objectivitaͤt des Denkens
iſt alſo hier beſtimmt ausgeſprochen, eine Identitaͤt des
Begriffs und des Dinges, welche die Wahrheit iſt.
Auf gleiche Weiſe wird auch insgemein zugegeben, daß
indem das Denken einen gegebenen Gegenſtand ſich an-
eignet, dieſer dadurch eine Veraͤnderung erleidet, und
aus einem ſinnlichen zu einem gedachten gemacht wer-
de; daß aber dieſe Veraͤnderung nicht nur nichts an ſei-
ner Weſentlichkeit aͤndere, ſondern daß er vielmehr erſt in
ſeinem Begriffe in ſeiner Wahrheit; in der Unmit-
telbarkeit, in welcher er gegeben iſt, aber nur Erſchei-
nung und Zufaͤlligkeit, daß die Erkenntniß des
Gegenſtands, welche ihn begreifft, die Erkenntniß deſ-
ſelben, wie er an und fuͤr ſich iſt, und der Begriff
ſeine Objectivitaͤt ſelbſt ſey. Auf der andern Seite
wird aber eben ſo wieder behauptet, wir koͤnnen die
Dinge doch nicht erkennen, wie ſie an und
fuͤr ſich ſeyen, und die Wahrheit ſey fuͤr die
erkennende Vernunft unzugaͤnglich; jene
Wahrheit, welche in der Einheit des Objects und des
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Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Wissenschaft der Logik. Bd. 2. Nürnberg, 1816, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_logik02_1816/40>, abgerufen am 22.11.2024.
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