Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Wissenschaft der Logik. Bd. 2. Nürnberg, 1816.

Bild:
<< vorherige Seite

im Allgemeinen.
damit die absolute Bestimmtheit, die Einzel-
heit
, ist, ist der Begriff, Grund und Quelle aller end-
lichen Bestimmtheit und Mannichfaltigkeit.

Die formelle Stellung, welche er als Verstand be-
hält, wird in der Kantischen Darstellung dessen, was
Vernunft sey, vollendet. In der Vernunft, der höch-
sten Stuffe des Denkens, sollte man erwarten, der Be-
griff werde die Bedingtheit, in welcher er auf der Stuffe
des Verstandes noch erscheint, verlieren, und zur vol-
lendeten Wahrheit kommen. Diese Erwartung wird aber
getäuscht. Dadurch daß Kant das Verhalten der Ver-
nunft zu den Kategorien als nur dialektisch bestimmt,
und zwar das Resultat dieser Dialektik schlechthin nur
als das unendliche Nichts auffaßt, so verliert die
unendliche Einheit der Vernunft, auch noch die Synthe-
sis und damit jenen Anfang eines speculativen, wahr-
haft unendlichen Begriffs, sie wird zu der be-
kannten ganz formellen, bloß regulativen Einheit
des systematischen Verstandesgebrauchs. Es
wird für einen Mißbrauch erklärt, daß die Logik, die
bloß ein Canon der Beurtheilung seyn solle, als
ein Organon zur Hervorbringung objectiver Ein-
sichten angesehen werde. Die Vernunftbegriffe, in denen
man eine höhere Kraft und tiefern Inhalt ahnden muß-
te, haben nichts constitutives mehr, wie noch die
Kategorieen; sie sind blosse Ideen; es soll ganz wohl
erlaubt
seyn, sie zu gebrauchen, aber mit diesen in-
telligibeln Wesen, in denen sich alle Wahrheit ganz
aufschliessen sollte, soll weiter nichts gemeynt seyn, als
Hypothesen, denen eine Wahrheit an und für sich
zuzuschreiben, eine völlige Willkühr und Tollkühnheit
seyn würde, da sie -- in keiner Erfahrung vor-
kommen können
. -- Hätte man es je denken sollen,
daß die Philosophie den intelligibeln Wesen darum die

Wahr-

im Allgemeinen.
damit die abſolute Beſtimmtheit, die Einzel-
heit
, iſt, iſt der Begriff, Grund und Quelle aller end-
lichen Beſtimmtheit und Mannichfaltigkeit.

Die formelle Stellung, welche er als Verſtand be-
haͤlt, wird in der Kantiſchen Darſtellung deſſen, was
Vernunft ſey, vollendet. In der Vernunft, der hoͤch-
ſten Stuffe des Denkens, ſollte man erwarten, der Be-
griff werde die Bedingtheit, in welcher er auf der Stuffe
des Verſtandes noch erſcheint, verlieren, und zur vol-
lendeten Wahrheit kommen. Dieſe Erwartung wird aber
getaͤuſcht. Dadurch daß Kant das Verhalten der Ver-
nunft zu den Kategorien als nur dialektiſch beſtimmt,
und zwar das Reſultat dieſer Dialektik ſchlechthin nur
als das unendliche Nichts auffaßt, ſo verliert die
unendliche Einheit der Vernunft, auch noch die Synthe-
ſis und damit jenen Anfang eines ſpeculativen, wahr-
haft unendlichen Begriffs, ſie wird zu der be-
kannten ganz formellen, bloß regulativen Einheit
des ſyſtematiſchen Verſtandesgebrauchs. Es
wird fuͤr einen Mißbrauch erklaͤrt, daß die Logik, die
bloß ein Canon der Beurtheilung ſeyn ſolle, als
ein Organon zur Hervorbringung objectiver Ein-
ſichten angeſehen werde. Die Vernunftbegriffe, in denen
man eine hoͤhere Kraft und tiefern Inhalt ahnden muß-
te, haben nichts conſtitutives mehr, wie noch die
Kategorieen; ſie ſind bloſſe Ideen; es ſoll ganz wohl
erlaubt
ſeyn, ſie zu gebrauchen, aber mit dieſen in-
telligibeln Weſen, in denen ſich alle Wahrheit ganz
aufſchlieſſen ſollte, ſoll weiter nichts gemeynt ſeyn, als
Hypotheſen, denen eine Wahrheit an und fuͤr ſich
zuzuſchreiben, eine voͤllige Willkuͤhr und Tollkuͤhnheit
ſeyn wuͤrde, da ſie — in keiner Erfahrung vor-
kommen koͤnnen
. — Haͤtte man es je denken ſollen,
daß die Philoſophie den intelligibeln Weſen darum die

Wahr-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0039" n="21"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">im Allgemeinen</hi>.</fw><lb/>
damit die <hi rendition="#g">ab&#x017F;olute Be&#x017F;timmtheit</hi>, die <hi rendition="#g">Einzel-<lb/>
heit</hi>, i&#x017F;t, i&#x017F;t der Begriff, Grund und Quelle aller end-<lb/>
lichen Be&#x017F;timmtheit und Mannichfaltigkeit.</p><lb/>
        <p>Die formelle Stellung, welche er als Ver&#x017F;tand be-<lb/>
ha&#x0364;lt, wird in der Kanti&#x017F;chen Dar&#x017F;tellung de&#x017F;&#x017F;en, was<lb/><hi rendition="#g">Vernunft</hi> &#x017F;ey, vollendet. In der Vernunft, der ho&#x0364;ch-<lb/>
&#x017F;ten Stuffe des Denkens, &#x017F;ollte man erwarten, der Be-<lb/>
griff werde die Bedingtheit, in welcher er auf der Stuffe<lb/>
des Ver&#x017F;tandes noch er&#x017F;cheint, verlieren, und zur vol-<lb/>
lendeten Wahrheit kommen. Die&#x017F;e Erwartung wird aber<lb/>
geta&#x0364;u&#x017F;cht. Dadurch daß Kant das Verhalten der Ver-<lb/>
nunft zu den Kategorien als nur <hi rendition="#g">dialekti&#x017F;ch</hi> be&#x017F;timmt,<lb/>
und zwar das Re&#x017F;ultat die&#x017F;er Dialektik &#x017F;chlechthin nur<lb/>
als das <hi rendition="#g">unendliche Nichts</hi> auffaßt, &#x017F;o verliert die<lb/>
unendliche Einheit der Vernunft, auch noch die Synthe-<lb/>
&#x017F;is und damit jenen Anfang eines &#x017F;peculativen, wahr-<lb/>
haft unendlichen Begriffs, &#x017F;ie wird zu der be-<lb/>
kannten ganz formellen, bloß <hi rendition="#g">regulativen Einheit</hi><lb/>
des <hi rendition="#g">&#x017F;y&#x017F;temati&#x017F;chen Ver&#x017F;tandesgebrauchs</hi>. Es<lb/>
wird fu&#x0364;r einen Mißbrauch erkla&#x0364;rt, daß die Logik, die<lb/>
bloß <hi rendition="#g">ein Canon der Beurtheilung</hi> &#x017F;eyn &#x017F;olle, als<lb/>
ein <hi rendition="#g">Organon</hi> zur Hervorbringung <hi rendition="#g">objectiver</hi> Ein-<lb/>
&#x017F;ichten ange&#x017F;ehen werde. Die Vernunftbegriffe, in denen<lb/>
man eine ho&#x0364;here Kraft und tiefern Inhalt ahnden muß-<lb/>
te, haben nichts <hi rendition="#g">con&#x017F;titutives</hi> mehr, wie noch die<lb/>
Kategorieen; &#x017F;ie &#x017F;ind <hi rendition="#g">blo&#x017F;&#x017F;e</hi> Ideen; es &#x017F;oll <hi rendition="#g">ganz wohl<lb/>
erlaubt</hi> &#x017F;eyn, &#x017F;ie zu gebrauchen, aber mit die&#x017F;en in-<lb/>
telligibeln We&#x017F;en, in denen &#x017F;ich alle <hi rendition="#g">Wahrheit</hi> ganz<lb/>
auf&#x017F;chlie&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ollte, &#x017F;oll weiter nichts gemeynt &#x017F;eyn, als<lb/><hi rendition="#g">Hypothe&#x017F;en</hi>, denen eine Wahrheit an und fu&#x0364;r &#x017F;ich<lb/>
zuzu&#x017F;chreiben, eine vo&#x0364;llige Willku&#x0364;hr und Tollku&#x0364;hnheit<lb/>
&#x017F;eyn wu&#x0364;rde, da &#x017F;ie &#x2014; <hi rendition="#g">in keiner Erfahrung vor-<lb/>
kommen ko&#x0364;nnen</hi>. &#x2014; Ha&#x0364;tte man es je denken &#x017F;ollen,<lb/>
daß die Philo&#x017F;ophie den intelligibeln We&#x017F;en darum die<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Wahr-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[21/0039] im Allgemeinen. damit die abſolute Beſtimmtheit, die Einzel- heit, iſt, iſt der Begriff, Grund und Quelle aller end- lichen Beſtimmtheit und Mannichfaltigkeit. Die formelle Stellung, welche er als Verſtand be- haͤlt, wird in der Kantiſchen Darſtellung deſſen, was Vernunft ſey, vollendet. In der Vernunft, der hoͤch- ſten Stuffe des Denkens, ſollte man erwarten, der Be- griff werde die Bedingtheit, in welcher er auf der Stuffe des Verſtandes noch erſcheint, verlieren, und zur vol- lendeten Wahrheit kommen. Dieſe Erwartung wird aber getaͤuſcht. Dadurch daß Kant das Verhalten der Ver- nunft zu den Kategorien als nur dialektiſch beſtimmt, und zwar das Reſultat dieſer Dialektik ſchlechthin nur als das unendliche Nichts auffaßt, ſo verliert die unendliche Einheit der Vernunft, auch noch die Synthe- ſis und damit jenen Anfang eines ſpeculativen, wahr- haft unendlichen Begriffs, ſie wird zu der be- kannten ganz formellen, bloß regulativen Einheit des ſyſtematiſchen Verſtandesgebrauchs. Es wird fuͤr einen Mißbrauch erklaͤrt, daß die Logik, die bloß ein Canon der Beurtheilung ſeyn ſolle, als ein Organon zur Hervorbringung objectiver Ein- ſichten angeſehen werde. Die Vernunftbegriffe, in denen man eine hoͤhere Kraft und tiefern Inhalt ahnden muß- te, haben nichts conſtitutives mehr, wie noch die Kategorieen; ſie ſind bloſſe Ideen; es ſoll ganz wohl erlaubt ſeyn, ſie zu gebrauchen, aber mit dieſen in- telligibeln Weſen, in denen ſich alle Wahrheit ganz aufſchlieſſen ſollte, ſoll weiter nichts gemeynt ſeyn, als Hypotheſen, denen eine Wahrheit an und fuͤr ſich zuzuſchreiben, eine voͤllige Willkuͤhr und Tollkuͤhnheit ſeyn wuͤrde, da ſie — in keiner Erfahrung vor- kommen koͤnnen. — Haͤtte man es je denken ſollen, daß die Philoſophie den intelligibeln Weſen darum die Wahr-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_logik02_1816
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_logik02_1816/39
Zitationshilfe: Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Wissenschaft der Logik. Bd. 2. Nürnberg, 1816, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_logik02_1816/39>, abgerufen am 22.11.2024.