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Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Wissenschaft der Logik. Bd. 2. Nürnberg, 1816.

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III. Abschnitt. Idee.
fester Ruhe aussereinander verbleiben und keinen Ueber-
gang in das Entgegengesetzte in sich haben. Ihre Wis-
senschaft ist dadurch einfache Wissenschaft des Endli-
chen
, das nach der Grösse verglichen wird, und dessen
Einheit die äusserliche, die Gleichheit, ist. Aber in-
dem nun bey diesem Figuriren zugleich von verschiede-
nen Seiten und Principien ausgegangen wird, und die
verschiedenen Figuren für sich entstehen, so zeigt sich bey
ihrer Vergleichung doch auch die qualitative Un-
gleichheit, und Incommensurabilität. Die Geo-
metrie wird an derselben über die Endlichkeit, in
der sie so geregelt und sicher fortschritt, zur Unend-
lichkeit
getrieben, -- zum Gleichsetzen solcher, die qua-
litativ verschieden sind. Hier hört ihre Evidenz von
der Seite auf, als ihr sonst die feste Endlichkeit zu
Grunde liegt, und sie nichts mit dem Begriffe und des-
sen Erscheinung, jenem Uebergange, zu thun hat. Die
endliche Wissenschaft ist hier an ihre Grenze gekommen,
da die Nothwendigkeit und Vermittlung des Syntheti-
schen nicht mehr nur in der positiven Identität,
sondern in der negativen gegründet ist.

Wenn die Geometrie, wie die Algebra bey ihren
abstracten, bloß verständigen Gegenständen bald auf ihre
Grenze stößt, so zeigt sich die synthetische Methode für
andere Wissenschaften von Anfang an um so un-
genügender, am ungenügendsten aber bey der Philoso-
phie. In Ansehung der Definition und Eintheilung hat
sich das Gehörige schon ergeben; hier wäre nur noch
vom Lehrsatze und Beweise zu sprechen, aber ausser der
Voraussetzung der Definition und Eintheilung, die den
Beweis schon fodert und voraussetzt, besteht ferner in
der Stellung derselben überhaupt zu den Lehrsätzen
das Ungenügende. Diese Stellung ist vornemlich merk-
würdig bey den Erfahrungswissenschaften, wie z. B. die

Phy-

III. Abſchnitt. Idee.
feſter Ruhe auſſereinander verbleiben und keinen Ueber-
gang in das Entgegengeſetzte in ſich haben. Ihre Wiſ-
ſenſchaft iſt dadurch einfache Wiſſenſchaft des Endli-
chen
, das nach der Groͤſſe verglichen wird, und deſſen
Einheit die aͤuſſerliche, die Gleichheit, iſt. Aber in-
dem nun bey dieſem Figuriren zugleich von verſchiede-
nen Seiten und Principien ausgegangen wird, und die
verſchiedenen Figuren fuͤr ſich entſtehen, ſo zeigt ſich bey
ihrer Vergleichung doch auch die qualitative Un-
gleichheit, und Incommenſurabilitaͤt. Die Geo-
metrie wird an derſelben uͤber die Endlichkeit, in
der ſie ſo geregelt und ſicher fortſchritt, zur Unend-
lichkeit
getrieben, — zum Gleichſetzen ſolcher, die qua-
litativ verſchieden ſind. Hier hoͤrt ihre Evidenz von
der Seite auf, als ihr ſonſt die feſte Endlichkeit zu
Grunde liegt, und ſie nichts mit dem Begriffe und deſ-
ſen Erſcheinung, jenem Uebergange, zu thun hat. Die
endliche Wiſſenſchaft iſt hier an ihre Grenze gekommen,
da die Nothwendigkeit und Vermittlung des Syntheti-
ſchen nicht mehr nur in der poſitiven Identitaͤt,
ſondern in der negativen gegruͤndet iſt.

Wenn die Geometrie, wie die Algebra bey ihren
abſtracten, bloß verſtaͤndigen Gegenſtaͤnden bald auf ihre
Grenze ſtoͤßt, ſo zeigt ſich die ſynthetiſche Methode fuͤr
andere Wiſſenſchaften von Anfang an um ſo un-
genuͤgender, am ungenuͤgendſten aber bey der Philoſo-
phie. In Anſehung der Definition und Eintheilung hat
ſich das Gehoͤrige ſchon ergeben; hier waͤre nur noch
vom Lehrſatze und Beweiſe zu ſprechen, aber auſſer der
Vorausſetzung der Definition und Eintheilung, die den
Beweis ſchon fodert und vorausſetzt, beſteht ferner in
der Stellung derſelben uͤberhaupt zu den Lehrſaͤtzen
das Ungenuͤgende. Dieſe Stellung iſt vornemlich merk-
wuͤrdig bey den Erfahrungswiſſenſchaften, wie z. B. die

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[356/0374] III. Abſchnitt. Idee. feſter Ruhe auſſereinander verbleiben und keinen Ueber- gang in das Entgegengeſetzte in ſich haben. Ihre Wiſ- ſenſchaft iſt dadurch einfache Wiſſenſchaft des Endli- chen, das nach der Groͤſſe verglichen wird, und deſſen Einheit die aͤuſſerliche, die Gleichheit, iſt. Aber in- dem nun bey dieſem Figuriren zugleich von verſchiede- nen Seiten und Principien ausgegangen wird, und die verſchiedenen Figuren fuͤr ſich entſtehen, ſo zeigt ſich bey ihrer Vergleichung doch auch die qualitative Un- gleichheit, und Incommenſurabilitaͤt. Die Geo- metrie wird an derſelben uͤber die Endlichkeit, in der ſie ſo geregelt und ſicher fortſchritt, zur Unend- lichkeit getrieben, — zum Gleichſetzen ſolcher, die qua- litativ verſchieden ſind. Hier hoͤrt ihre Evidenz von der Seite auf, als ihr ſonſt die feſte Endlichkeit zu Grunde liegt, und ſie nichts mit dem Begriffe und deſ- ſen Erſcheinung, jenem Uebergange, zu thun hat. Die endliche Wiſſenſchaft iſt hier an ihre Grenze gekommen, da die Nothwendigkeit und Vermittlung des Syntheti- ſchen nicht mehr nur in der poſitiven Identitaͤt, ſondern in der negativen gegruͤndet iſt. Wenn die Geometrie, wie die Algebra bey ihren abſtracten, bloß verſtaͤndigen Gegenſtaͤnden bald auf ihre Grenze ſtoͤßt, ſo zeigt ſich die ſynthetiſche Methode fuͤr andere Wiſſenſchaften von Anfang an um ſo un- genuͤgender, am ungenuͤgendſten aber bey der Philoſo- phie. In Anſehung der Definition und Eintheilung hat ſich das Gehoͤrige ſchon ergeben; hier waͤre nur noch vom Lehrſatze und Beweiſe zu ſprechen, aber auſſer der Vorausſetzung der Definition und Eintheilung, die den Beweis ſchon fodert und vorausſetzt, beſteht ferner in der Stellung derſelben uͤberhaupt zu den Lehrſaͤtzen das Ungenuͤgende. Dieſe Stellung iſt vornemlich merk- wuͤrdig bey den Erfahrungswiſſenſchaften, wie z. B. die Phy-

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Zitationshilfe: Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Wissenschaft der Logik. Bd. 2. Nürnberg, 1816, S. 356. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_logik02_1816/374>, abgerufen am 18.05.2024.