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Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Wissenschaft der Logik. Bd. 2. Nürnberg, 1816.

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II. Kapitel. Das Erkennen.
dererseits ist der abstracte Gegenstand noch der Raum, --
ein unsinnlich sinnliches; die Anschauung ist
in ihre Abstraction erhoben, er ist eine Form der An-
schauung, aber ist noch Anschauung, -- ein Sinnliches,
das Aussereinander der Sinnlichkeit selbst; ihre
reine Begrifflosigkeit. -- Man hat in neuern Zei-
ten genug von der Vortrefflichkeit der Geometrie aus
dieser Seite sprechen gehört; -- man hat diß, daß sie
sinnliche Anschauung zum Grunde liegen habe, für ihren
höchsten Vorzug erklärt, und gemeint ihre hohe Wissen-
schaftlichkeit gründe sich sogar hierauf, und ihre Bewei-
se beruhen auf der Anschauung. Es ist gegen diese
Flachheit die flache Erinnerung zu machen nöthig, daß
durch das Anschauen keine Wissenschaft zu Stande kom-
me, sondern allein durchs Denken. Die Anschau-
lichkeit, welche die Geometrie durch ihren noch sinnli-
chen Stoff hat, gibt ihr allein diejenige Seite der Evi-
denz, welche das Sinnliche überhaupt für den gedan-
kenlosen Geist hat. Kläglicherweise daher hat man die-
se Sinnlichkeit des Stoffs ihr für einen Vorzug ange-
rechnet, welche vielmehr die Niedrigkeit ihres Stand-
punkts bezeichnet. Nur der Abstraction ihres sinnlichen
Gegenstands verdankt sie ihre Fähigkeit zu einer höhern
Wissenschaftlichkeit, und den grossen Vorzug vor denje-
nigen Sammlungen von Kenntnissen, die man gleichfalls
Wissenschaften zu nennen beliebt, und die concretes,
empfindbares Sinnliches zu ihrem Inhalte haben, und
nur durch die Ordnung, die sie hinein zu bringen suchen,
eine ferne Ahndung und Anspielung an die Foderun-
gen des Begriffes zeigen.

Dadurch daß der Raum der Geometrie die Abstrac-
tion und Leere des Aussereinanderseyns ist, ist es nur
möglich, daß in seine Unbestimmtheit, die Figurationen
so hineingezeichnet werden, daß ihre Bestimmungen in

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II. Kapitel. Das Erkennen.
dererſeits iſt der abſtracte Gegenſtand noch der Raum, —
ein unſinnlich ſinnliches; die Anſchauung iſt
in ihre Abſtraction erhoben, er iſt eine Form der An-
ſchauung, aber iſt noch Anſchauung, — ein Sinnliches,
das Auſſereinander der Sinnlichkeit ſelbſt; ihre
reine Begriffloſigkeit. — Man hat in neuern Zei-
ten genug von der Vortrefflichkeit der Geometrie aus
dieſer Seite ſprechen gehoͤrt; — man hat diß, daß ſie
ſinnliche Anſchauung zum Grunde liegen habe, fuͤr ihren
hoͤchſten Vorzug erklaͤrt, und gemeint ihre hohe Wiſſen-
ſchaftlichkeit gruͤnde ſich ſogar hierauf, und ihre Bewei-
ſe beruhen auf der Anſchauung. Es iſt gegen dieſe
Flachheit die flache Erinnerung zu machen noͤthig, daß
durch das Anſchauen keine Wiſſenſchaft zu Stande kom-
me, ſondern allein durchs Denken. Die Anſchau-
lichkeit, welche die Geometrie durch ihren noch ſinnli-
chen Stoff hat, gibt ihr allein diejenige Seite der Evi-
denz, welche das Sinnliche uͤberhaupt fuͤr den gedan-
kenloſen Geiſt hat. Klaͤglicherweiſe daher hat man die-
ſe Sinnlichkeit des Stoffs ihr fuͤr einen Vorzug ange-
rechnet, welche vielmehr die Niedrigkeit ihres Stand-
punkts bezeichnet. Nur der Abſtraction ihres ſinnlichen
Gegenſtands verdankt ſie ihre Faͤhigkeit zu einer hoͤhern
Wiſſenſchaftlichkeit, und den groſſen Vorzug vor denje-
nigen Sammlungen von Kenntniſſen, die man gleichfalls
Wiſſenſchaften zu nennen beliebt, und die concretes,
empfindbares Sinnliches zu ihrem Inhalte haben, und
nur durch die Ordnung, die ſie hinein zu bringen ſuchen,
eine ferne Ahndung und Anſpielung an die Foderun-
gen des Begriffes zeigen.

Dadurch daß der Raum der Geometrie die Abſtrac-
tion und Leere des Auſſereinanderſeyns iſt, iſt es nur
moͤglich, daß in ſeine Unbeſtimmtheit, die Figurationen
ſo hineingezeichnet werden, daß ihre Beſtimmungen in

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[355/0373] II. Kapitel. Das Erkennen. dererſeits iſt der abſtracte Gegenſtand noch der Raum, — ein unſinnlich ſinnliches; die Anſchauung iſt in ihre Abſtraction erhoben, er iſt eine Form der An- ſchauung, aber iſt noch Anſchauung, — ein Sinnliches, das Auſſereinander der Sinnlichkeit ſelbſt; ihre reine Begriffloſigkeit. — Man hat in neuern Zei- ten genug von der Vortrefflichkeit der Geometrie aus dieſer Seite ſprechen gehoͤrt; — man hat diß, daß ſie ſinnliche Anſchauung zum Grunde liegen habe, fuͤr ihren hoͤchſten Vorzug erklaͤrt, und gemeint ihre hohe Wiſſen- ſchaftlichkeit gruͤnde ſich ſogar hierauf, und ihre Bewei- ſe beruhen auf der Anſchauung. Es iſt gegen dieſe Flachheit die flache Erinnerung zu machen noͤthig, daß durch das Anſchauen keine Wiſſenſchaft zu Stande kom- me, ſondern allein durchs Denken. Die Anſchau- lichkeit, welche die Geometrie durch ihren noch ſinnli- chen Stoff hat, gibt ihr allein diejenige Seite der Evi- denz, welche das Sinnliche uͤberhaupt fuͤr den gedan- kenloſen Geiſt hat. Klaͤglicherweiſe daher hat man die- ſe Sinnlichkeit des Stoffs ihr fuͤr einen Vorzug ange- rechnet, welche vielmehr die Niedrigkeit ihres Stand- punkts bezeichnet. Nur der Abſtraction ihres ſinnlichen Gegenſtands verdankt ſie ihre Faͤhigkeit zu einer hoͤhern Wiſſenſchaftlichkeit, und den groſſen Vorzug vor denje- nigen Sammlungen von Kenntniſſen, die man gleichfalls Wiſſenſchaften zu nennen beliebt, und die concretes, empfindbares Sinnliches zu ihrem Inhalte haben, und nur durch die Ordnung, die ſie hinein zu bringen ſuchen, eine ferne Ahndung und Anſpielung an die Foderun- gen des Begriffes zeigen. Dadurch daß der Raum der Geometrie die Abſtrac- tion und Leere des Auſſereinanderſeyns iſt, iſt es nur moͤglich, daß in ſeine Unbeſtimmtheit, die Figurationen ſo hineingezeichnet werden, daß ihre Beſtimmungen in feſter Z 2

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Zitationshilfe: Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Wissenschaft der Logik. Bd. 2. Nürnberg, 1816, S. 355. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_logik02_1816/373>, abgerufen am 17.05.2024.