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Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Wissenschaft der Logik. Bd. 2. Nürnberg, 1816.

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I. Abschnitt. Subjectivität.
Urtheils abhänge, ob es wahr sey oder nicht, indem
die logische Wahrheit nichts als die Form betreffe und
nichts fodere, als daß jener Inhalt sich nicht wider-
spreche. Zur Form des Urtheils selbst wird nichts ge-
rechnet, als daß es die Beziehung zweyer Begriffe
sey. Es hat sich aber ergeben, daß diese beyde Be-
griffe nicht bloß die verhältnißlose Bestimmung einer
Anzahl haben, sondern als Einzelnes und All-
gemeines
sich verhalten. Diese Bestimmungen ma-
chen den wahrhaft logischen Inhalt, und zwar in die-
ser Abstraction den Inhalt des positiven Urtheils aus;
was für anderer Inhalt (die Sonne ist rund,
Cicero war ein grosser Redner in Rom, jetzt

ists Tag u. s. f.) in einem Urtheil vorkommt, geht das
Urtheil als solches nichts an; es spricht nur diß aus:
Das Subject ist Prädicat, oder, da diß nur Nah-
men sind, bestimmter: das Einzelne ist allgemein
und umgekehrt
. -- Um dieses rein logischen
Inhalts
willen ist das positive Urtheil nicht wahr,
sondern hat seine Wahrheit im negativen Urtheil. --
Der Inhalt, fodert man, soll sich im Urtheile nur nicht
widersprechen; er widerspricht sich aber in jenem Urtheile,
wie sich gezeigt hat. -- Es ist jedoch völlig gleichgül-
tig, jenen logischen Inhalt auch Form zu nennen, und
unter Inhalt nur die sonstige empirische Erfüllung zu
verstehen, so enthält die Form nicht bloß die leere
Identität, ausser welcher die Inhaltsbestimmung läge.
Das positive Urtheil hat alsdenn durch seine Form als
positives Urtheil keine Wahrheit; wer die Richtigkeit
einer Anschauung oder Wahrnehmung, die
Uebereinstimmung der Vorstellung mit dem Gegen-
stand, Wahrheit nennte, hat wenigstens keinen Aus-
druck mehr für dasjenige, was Gegenstand und Zweck der
Philosophie ist. Man müßte den letztern wenigstens
Vernunftwahrheit nennen, und man wird wohl zugeben,

daß

I. Abſchnitt. Subjectivitaͤt.
Urtheils abhaͤnge, ob es wahr ſey oder nicht, indem
die logiſche Wahrheit nichts als die Form betreffe und
nichts fodere, als daß jener Inhalt ſich nicht wider-
ſpreche. Zur Form des Urtheils ſelbſt wird nichts ge-
rechnet, als daß es die Beziehung zweyer Begriffe
ſey. Es hat ſich aber ergeben, daß dieſe beyde Be-
griffe nicht bloß die verhaͤltnißloſe Beſtimmung einer
Anzahl haben, ſondern als Einzelnes und All-
gemeines
ſich verhalten. Dieſe Beſtimmungen ma-
chen den wahrhaft logiſchen Inhalt, und zwar in die-
ſer Abſtraction den Inhalt des poſitiven Urtheils aus;
was fuͤr anderer Inhalt (die Sonne iſt rund,
Cicero war ein groſſer Redner in Rom, jetzt

iſts Tag u. ſ. f.) in einem Urtheil vorkommt, geht das
Urtheil als ſolches nichts an; es ſpricht nur diß aus:
Das Subject iſt Praͤdicat, oder, da diß nur Nah-
men ſind, beſtimmter: das Einzelne iſt allgemein
und umgekehrt
. — Um dieſes rein logiſchen
Inhalts
willen iſt das poſitive Urtheil nicht wahr,
ſondern hat ſeine Wahrheit im negativen Urtheil. —
Der Inhalt, fodert man, ſoll ſich im Urtheile nur nicht
widerſprechen; er widerſpricht ſich aber in jenem Urtheile,
wie ſich gezeigt hat. — Es iſt jedoch voͤllig gleichguͤl-
tig, jenen logiſchen Inhalt auch Form zu nennen, und
unter Inhalt nur die ſonſtige empiriſche Erfuͤllung zu
verſtehen, ſo enthaͤlt die Form nicht bloß die leere
Identitaͤt, auſſer welcher die Inhaltsbeſtimmung laͤge.
Das poſitive Urtheil hat alsdenn durch ſeine Form als
poſitives Urtheil keine Wahrheit; wer die Richtigkeit
einer Anſchauung oder Wahrnehmung, die
Uebereinſtimmung der Vorſtellung mit dem Gegen-
ſtand, Wahrheit nennte, hat wenigſtens keinen Aus-
druck mehr fuͤr dasjenige, was Gegenſtand und Zweck der
Philoſophie iſt. Man muͤßte den letztern wenigſtens
Vernunftwahrheit nennen, und man wird wohl zugeben,

daß
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[90/0108] I. Abſchnitt. Subjectivitaͤt. Urtheils abhaͤnge, ob es wahr ſey oder nicht, indem die logiſche Wahrheit nichts als die Form betreffe und nichts fodere, als daß jener Inhalt ſich nicht wider- ſpreche. Zur Form des Urtheils ſelbſt wird nichts ge- rechnet, als daß es die Beziehung zweyer Begriffe ſey. Es hat ſich aber ergeben, daß dieſe beyde Be- griffe nicht bloß die verhaͤltnißloſe Beſtimmung einer Anzahl haben, ſondern als Einzelnes und All- gemeines ſich verhalten. Dieſe Beſtimmungen ma- chen den wahrhaft logiſchen Inhalt, und zwar in die- ſer Abſtraction den Inhalt des poſitiven Urtheils aus; was fuͤr anderer Inhalt (die Sonne iſt rund, Cicero war ein groſſer Redner in Rom, jetzt iſts Tag u. ſ. f.) in einem Urtheil vorkommt, geht das Urtheil als ſolches nichts an; es ſpricht nur diß aus: Das Subject iſt Praͤdicat, oder, da diß nur Nah- men ſind, beſtimmter: das Einzelne iſt allgemein und umgekehrt. — Um dieſes rein logiſchen Inhalts willen iſt das poſitive Urtheil nicht wahr, ſondern hat ſeine Wahrheit im negativen Urtheil. — Der Inhalt, fodert man, ſoll ſich im Urtheile nur nicht widerſprechen; er widerſpricht ſich aber in jenem Urtheile, wie ſich gezeigt hat. — Es iſt jedoch voͤllig gleichguͤl- tig, jenen logiſchen Inhalt auch Form zu nennen, und unter Inhalt nur die ſonſtige empiriſche Erfuͤllung zu verſtehen, ſo enthaͤlt die Form nicht bloß die leere Identitaͤt, auſſer welcher die Inhaltsbeſtimmung laͤge. Das poſitive Urtheil hat alsdenn durch ſeine Form als poſitives Urtheil keine Wahrheit; wer die Richtigkeit einer Anſchauung oder Wahrnehmung, die Uebereinſtimmung der Vorſtellung mit dem Gegen- ſtand, Wahrheit nennte, hat wenigſtens keinen Aus- druck mehr fuͤr dasjenige, was Gegenſtand und Zweck der Philoſophie iſt. Man muͤßte den letztern wenigſtens Vernunftwahrheit nennen, und man wird wohl zugeben, daß

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Zitationshilfe: Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Wissenschaft der Logik. Bd. 2. Nürnberg, 1816, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_logik02_1816/108>, abgerufen am 04.05.2024.