Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Wissenschaft der Logik. Bd. 1,1. Nürnberg, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

Erstes Buch.
chem eben der Unterschied des Subjectiven und Objecti-
ven verschwunden ist. Aber wie diese Erhebung so un-
mittelbar
gefordert ist, ist es ein subjectives Postulat;
um als wahrhafte Forderung sich zu erweisen, müßte die
Fortbewegung des concreten Ichs oder des unmittelba-
ren Bewußtseyns zum reinem Wissen an ihm selbst,
durch seine eigene Nothwendigkeit, aufgezeigt und darge-
stellt worden seyn. Ohne diese objective Bewegung er-
scheint das reine Wissen, die intellectuelle An-
schauung
, als ein willkührlicher Standpunkt, oder
selbst als einer der empirischen Zustände des Bewußt-
seyns, in Rücksicht dessen es darauf ankommt, ob ihn der
eine in sich vorfinde oder hervorbringen könne, ein
anderer aber nicht. Insofern aber diß reine Ich das
wesentliche reine Wissen seyn muß, das reine Wissen
aber nur durch den absoluten Akt der Selbsterhebung, im
individuellen Bewußtseyn gesetzt wird, und nicht unmit-
telbar in ihm vorhanden ist, so geht gerade der Vortheil
verlohren, der aus diesem Anfange der Philosophie ent-
springen soll; daß er nemlich etwas schlechthin Beckann-
tes sey, was jeder unmittelbar in sich finde, und daran
die weitere Reflexion anknüpfen könne; jenes reine Ich
ist vielmehr in seiner absoluten Wesenheit, etwas dem ge-
wöhnlichen Bewußtseyn Unbekanntes, etwas, das es
nicht darin vorfindet. Es tritt daher vielmehr die Täu-
schung ein, daß von etwas Bekanntem, von dem Ich
des empirischen Selbstbewußtseyns die Rede seyn soll,
in der That aber von etwas diesem Bewußtseyn Fernem
die Rede ist. Die Bestimmung des reinen Wissens als
Ich, führt die fortdauernde Zurückerinnerung an das
subjective Ich mit sich, dessen Schranken vergessen wer-
den sollen, und erhält die Vorstellung gegenwärtig, als
ob die Sätze und Verhältnisse, die sich in der weitern
Entwicklung vom Ich ergeben, in gewöhnlichen Bewußt-
seyn als etwas darin vorhandenes, da es ja das sey,

von

Erſtes Buch.
chem eben der Unterſchied des Subjectiven und Objecti-
ven verſchwunden iſt. Aber wie dieſe Erhebung ſo un-
mittelbar
gefordert iſt, iſt es ein ſubjectives Poſtulat;
um als wahrhafte Forderung ſich zu erweiſen, muͤßte die
Fortbewegung des concreten Ichs oder des unmittelba-
ren Bewußtſeyns zum reinem Wiſſen an ihm ſelbſt,
durch ſeine eigene Nothwendigkeit, aufgezeigt und darge-
ſtellt worden ſeyn. Ohne dieſe objective Bewegung er-
ſcheint das reine Wiſſen, die intellectuelle An-
ſchauung
, als ein willkuͤhrlicher Standpunkt, oder
ſelbſt als einer der empiriſchen Zuſtaͤnde des Bewußt-
ſeyns, in Ruͤckſicht deſſen es darauf ankommt, ob ihn der
eine in ſich vorfinde oder hervorbringen koͤnne, ein
anderer aber nicht. Inſofern aber diß reine Ich das
weſentliche reine Wiſſen ſeyn muß, das reine Wiſſen
aber nur durch den abſoluten Akt der Selbſterhebung, im
individuellen Bewußtſeyn geſetzt wird, und nicht unmit-
telbar in ihm vorhanden iſt, ſo geht gerade der Vortheil
verlohren, der aus dieſem Anfange der Philoſophie ent-
ſpringen ſoll; daß er nemlich etwas ſchlechthin Beckann-
tes ſey, was jeder unmittelbar in ſich finde, und daran
die weitere Reflexion anknuͤpfen koͤnne; jenes reine Ich
iſt vielmehr in ſeiner abſoluten Weſenheit, etwas dem ge-
woͤhnlichen Bewußtſeyn Unbekanntes, etwas, das es
nicht darin vorfindet. Es tritt daher vielmehr die Taͤu-
ſchung ein, daß von etwas Bekanntem, von dem Ich
des empiriſchen Selbſtbewußtſeyns die Rede ſeyn ſoll,
in der That aber von etwas dieſem Bewußtſeyn Fernem
die Rede iſt. Die Beſtimmung des reinen Wiſſens als
Ich, fuͤhrt die fortdauernde Zuruͤckerinnerung an das
ſubjective Ich mit ſich, deſſen Schranken vergeſſen wer-
den ſollen, und erhaͤlt die Vorſtellung gegenwaͤrtig, als
ob die Saͤtze und Verhaͤltniſſe, die ſich in der weitern
Entwicklung vom Ich ergeben, in gewoͤhnlichen Bewußt-
ſeyn als etwas darin vorhandenes, da es ja das ſey,

von
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0064" n="16"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Er&#x017F;tes Buch</hi>.</fw><lb/>
chem eben der Unter&#x017F;chied des Subjectiven und Objecti-<lb/>
ven ver&#x017F;chwunden i&#x017F;t. Aber wie die&#x017F;e Erhebung &#x017F;o <hi rendition="#g">un-<lb/>
mittelbar</hi> gefordert i&#x017F;t, i&#x017F;t es ein &#x017F;ubjectives Po&#x017F;tulat;<lb/>
um als wahrhafte Forderung &#x017F;ich zu erwei&#x017F;en, mu&#x0364;ßte die<lb/>
Fortbewegung des concreten Ichs oder des unmittelba-<lb/>
ren Bewußt&#x017F;eyns zum reinem Wi&#x017F;&#x017F;en an ihm &#x017F;elb&#x017F;t,<lb/>
durch &#x017F;eine eigene Nothwendigkeit, aufgezeigt und darge-<lb/>
&#x017F;tellt worden &#x017F;eyn. Ohne die&#x017F;e objective Bewegung er-<lb/>
&#x017F;cheint das reine Wi&#x017F;&#x017F;en, <hi rendition="#g">die intellectuelle An-<lb/>
&#x017F;chauung</hi>, als ein willku&#x0364;hrlicher Standpunkt, oder<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t als einer der empiri&#x017F;chen <hi rendition="#g">Zu&#x017F;ta&#x0364;nde</hi> des Bewußt-<lb/>
&#x017F;eyns, in Ru&#x0364;ck&#x017F;icht de&#x017F;&#x017F;en es darauf ankommt, ob ihn der<lb/>
eine in &#x017F;ich <hi rendition="#g">vorfinde</hi> oder hervorbringen ko&#x0364;nne, ein<lb/>
anderer aber nicht. In&#x017F;ofern aber diß reine Ich das<lb/>
we&#x017F;entliche reine Wi&#x017F;&#x017F;en &#x017F;eyn muß, das reine Wi&#x017F;&#x017F;en<lb/>
aber nur durch den ab&#x017F;oluten Akt der Selb&#x017F;terhebung, im<lb/>
individuellen Bewußt&#x017F;eyn ge&#x017F;etzt wird, und nicht unmit-<lb/>
telbar in ihm vorhanden i&#x017F;t, &#x017F;o geht gerade der Vortheil<lb/>
verlohren, der aus die&#x017F;em Anfange der Philo&#x017F;ophie ent-<lb/>
&#x017F;pringen &#x017F;oll; daß er nemlich etwas &#x017F;chlechthin Beckann-<lb/>
tes &#x017F;ey, was jeder unmittelbar in &#x017F;ich finde, und daran<lb/>
die weitere Reflexion anknu&#x0364;pfen ko&#x0364;nne; jenes reine Ich<lb/>
i&#x017F;t vielmehr in &#x017F;einer ab&#x017F;oluten We&#x017F;enheit, etwas dem ge-<lb/>
wo&#x0364;hnlichen Bewußt&#x017F;eyn Unbekanntes, etwas, das es<lb/>
nicht darin vorfindet. Es tritt daher vielmehr die Ta&#x0364;u-<lb/>
&#x017F;chung ein, daß von etwas Bekanntem, von dem Ich<lb/>
des empiri&#x017F;chen Selb&#x017F;tbewußt&#x017F;eyns die Rede &#x017F;eyn &#x017F;oll,<lb/>
in der That aber von etwas die&#x017F;em Bewußt&#x017F;eyn Fernem<lb/>
die Rede i&#x017F;t. Die Be&#x017F;timmung des reinen Wi&#x017F;&#x017F;ens als<lb/>
Ich, fu&#x0364;hrt die fortdauernde Zuru&#x0364;ckerinnerung an das<lb/>
&#x017F;ubjective Ich mit &#x017F;ich, de&#x017F;&#x017F;en Schranken verge&#x017F;&#x017F;en wer-<lb/>
den &#x017F;ollen, und erha&#x0364;lt die Vor&#x017F;tellung gegenwa&#x0364;rtig, als<lb/>
ob die Sa&#x0364;tze und Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e, die &#x017F;ich in der weitern<lb/>
Entwicklung vom Ich ergeben, in gewo&#x0364;hnlichen Bewußt-<lb/>
&#x017F;eyn als etwas darin vorhandenes, da es ja das &#x017F;ey,<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">von</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[16/0064] Erſtes Buch. chem eben der Unterſchied des Subjectiven und Objecti- ven verſchwunden iſt. Aber wie dieſe Erhebung ſo un- mittelbar gefordert iſt, iſt es ein ſubjectives Poſtulat; um als wahrhafte Forderung ſich zu erweiſen, muͤßte die Fortbewegung des concreten Ichs oder des unmittelba- ren Bewußtſeyns zum reinem Wiſſen an ihm ſelbſt, durch ſeine eigene Nothwendigkeit, aufgezeigt und darge- ſtellt worden ſeyn. Ohne dieſe objective Bewegung er- ſcheint das reine Wiſſen, die intellectuelle An- ſchauung, als ein willkuͤhrlicher Standpunkt, oder ſelbſt als einer der empiriſchen Zuſtaͤnde des Bewußt- ſeyns, in Ruͤckſicht deſſen es darauf ankommt, ob ihn der eine in ſich vorfinde oder hervorbringen koͤnne, ein anderer aber nicht. Inſofern aber diß reine Ich das weſentliche reine Wiſſen ſeyn muß, das reine Wiſſen aber nur durch den abſoluten Akt der Selbſterhebung, im individuellen Bewußtſeyn geſetzt wird, und nicht unmit- telbar in ihm vorhanden iſt, ſo geht gerade der Vortheil verlohren, der aus dieſem Anfange der Philoſophie ent- ſpringen ſoll; daß er nemlich etwas ſchlechthin Beckann- tes ſey, was jeder unmittelbar in ſich finde, und daran die weitere Reflexion anknuͤpfen koͤnne; jenes reine Ich iſt vielmehr in ſeiner abſoluten Weſenheit, etwas dem ge- woͤhnlichen Bewußtſeyn Unbekanntes, etwas, das es nicht darin vorfindet. Es tritt daher vielmehr die Taͤu- ſchung ein, daß von etwas Bekanntem, von dem Ich des empiriſchen Selbſtbewußtſeyns die Rede ſeyn ſoll, in der That aber von etwas dieſem Bewußtſeyn Fernem die Rede iſt. Die Beſtimmung des reinen Wiſſens als Ich, fuͤhrt die fortdauernde Zuruͤckerinnerung an das ſubjective Ich mit ſich, deſſen Schranken vergeſſen wer- den ſollen, und erhaͤlt die Vorſtellung gegenwaͤrtig, als ob die Saͤtze und Verhaͤltniſſe, die ſich in der weitern Entwicklung vom Ich ergeben, in gewoͤhnlichen Bewußt- ſeyn als etwas darin vorhandenes, da es ja das ſey, von

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_logik0101_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_logik0101_1812/64
Zitationshilfe: Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Wissenschaft der Logik. Bd. 1,1. Nürnberg, 1812, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_logik0101_1812/64>, abgerufen am 29.06.2024.