Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Wissenschaft der Logik. Bd. 1,1. Nürnberg, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

Einleitung.
mannichfaltigste und verschiedenartigste Dafürhalten offen,
worüber am Ende allein die Willkühr eine feste Bestim-
mung abschliessen kann. Davon aber kann bey diesem
Verfahren, die Wissenschaft mit ihrer Definition anzu-
fangen, nicht einmal die Rede seyn, daß die Noth-
wendigkeit
ihres Gegenstandes und damit ihrer selbst
aufgezeigt würde.

Der Begriff der reinen Wissenschaft und seine De-
duction wird hier also insofern vorausgesetzt, als die
Phänomenologie des Geistes nichts anderes als die De-
duction desselben ist. Das absolute Wissen ist die Wahr-
heit aller Weisen des Bewußtseyns, weil, wie jener Gang
desselben es hervorbrachte, nur in dem absoluten Wissen,
die Trennung des Gegenstandes von der Gewißheit seiner
selbst vollkommen sich aufgelöst hat, und die Wahrheit,
dieser Gewißheit, so wie diese Gewißheit, der Wahrheit
gleich geworden ist.

Die reine Wissenschaft setzt somit die Befreyung
von dem Gegensatze des Bewußtseyns voraus. Sie ent-
hält den Gedanken, insofern er eben so sehr
die Sache an sich selbst ist
, oder die Sache an sich
selbst, insofern sie eben so sehr der reine Gedanke ist.
Oder der Begriff der Wissenschaft ist, daß die Wahr-
heit das reine Selbstbewußtseyn sey, und die Gestalt
des Selbsts habe, daß das an sich seyende der
Begriff
, und der Begriff das an sich seyende
ist.

Dieses objective Denken ist denn der Inhalt der
reinen Wissenschaft. Sie ist daher so wenig formell, sie

entbehrt

Einleitung.
mannichfaltigſte und verſchiedenartigſte Dafuͤrhalten offen,
woruͤber am Ende allein die Willkuͤhr eine feſte Beſtim-
mung abſchlieſſen kann. Davon aber kann bey dieſem
Verfahren, die Wiſſenſchaft mit ihrer Definition anzu-
fangen, nicht einmal die Rede ſeyn, daß die Noth-
wendigkeit
ihres Gegenſtandes und damit ihrer ſelbſt
aufgezeigt wuͤrde.

Der Begriff der reinen Wiſſenſchaft und ſeine De-
duction wird hier alſo inſofern vorausgeſetzt, als die
Phaͤnomenologie des Geiſtes nichts anderes als die De-
duction deſſelben iſt. Das abſolute Wiſſen iſt die Wahr-
heit aller Weiſen des Bewußtſeyns, weil, wie jener Gang
deſſelben es hervorbrachte, nur in dem abſoluten Wiſſen,
die Trennung des Gegenſtandes von der Gewißheit ſeiner
ſelbſt vollkommen ſich aufgeloͤst hat, und die Wahrheit,
dieſer Gewißheit, ſo wie dieſe Gewißheit, der Wahrheit
gleich geworden iſt.

Die reine Wiſſenſchaft ſetzt ſomit die Befreyung
von dem Gegenſatze des Bewußtſeyns voraus. Sie ent-
haͤlt den Gedanken, inſofern er eben ſo ſehr
die Sache an ſich ſelbſt iſt
, oder die Sache an ſich
ſelbſt, inſofern ſie eben ſo ſehr der reine Gedanke iſt.
Oder der Begriff der Wiſſenſchaft iſt, daß die Wahr-
heit das reine Selbſtbewußtſeyn ſey, und die Geſtalt
des Selbſts habe, daß das an ſich ſeyende der
Begriff
, und der Begriff das an ſich ſeyende
iſt.

Dieſes objective Denken iſt denn der Inhalt der
reinen Wiſſenſchaft. Sie iſt daher ſo wenig formell, ſie

entbehrt
<TEI>
  <text>
    <front>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0032" n="XII"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Einleitung</hi>.</fw><lb/>
mannichfaltig&#x017F;te und ver&#x017F;chiedenartig&#x017F;te Dafu&#x0364;rhalten offen,<lb/>
woru&#x0364;ber am Ende allein die Willku&#x0364;hr eine fe&#x017F;te Be&#x017F;tim-<lb/>
mung ab&#x017F;chlie&#x017F;&#x017F;en kann. Davon aber kann bey die&#x017F;em<lb/>
Verfahren, die Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft mit ihrer Definition anzu-<lb/>
fangen, nicht einmal die Rede &#x017F;eyn, daß die <hi rendition="#g">Noth-<lb/>
wendigkeit</hi> ihres Gegen&#x017F;tandes und damit ihrer &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
aufgezeigt wu&#x0364;rde.</p><lb/>
        <p>Der Begriff der reinen Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft und &#x017F;eine De-<lb/>
duction wird hier al&#x017F;o in&#x017F;ofern vorausge&#x017F;etzt, als die<lb/>
Pha&#x0364;nomenologie des Gei&#x017F;tes nichts anderes als die De-<lb/>
duction de&#x017F;&#x017F;elben i&#x017F;t. Das ab&#x017F;olute Wi&#x017F;&#x017F;en i&#x017F;t die Wahr-<lb/>
heit aller Wei&#x017F;en des Bewußt&#x017F;eyns, weil, wie jener Gang<lb/>
de&#x017F;&#x017F;elben es hervorbrachte, nur in dem ab&#x017F;oluten Wi&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
die Trennung des Gegen&#x017F;tandes von der Gewißheit &#x017F;einer<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t vollkommen &#x017F;ich aufgelo&#x0364;st hat, und die Wahrheit,<lb/>
die&#x017F;er Gewißheit, &#x017F;o wie die&#x017F;e Gewißheit, der Wahrheit<lb/>
gleich geworden i&#x017F;t.</p><lb/>
        <p>Die reine Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft &#x017F;etzt &#x017F;omit die Befreyung<lb/>
von dem Gegen&#x017F;atze des Bewußt&#x017F;eyns voraus. Sie ent-<lb/>
ha&#x0364;lt <hi rendition="#g">den Gedanken, in&#x017F;ofern er eben &#x017F;o &#x017F;ehr<lb/>
die Sache an &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t i&#x017F;t</hi>, oder die Sache an &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t, in&#x017F;ofern &#x017F;ie eben &#x017F;o &#x017F;ehr der reine Gedanke i&#x017F;t.<lb/>
Oder der Begriff der Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft i&#x017F;t, daß die Wahr-<lb/>
heit das reine Selb&#x017F;tbewußt&#x017F;eyn &#x017F;ey, und die Ge&#x017F;talt<lb/>
des Selb&#x017F;ts habe, daß <hi rendition="#g">das an &#x017F;ich &#x017F;eyende der<lb/>
Begriff</hi>, und <hi rendition="#g">der Begriff das an &#x017F;ich &#x017F;eyende</hi><lb/>
i&#x017F;t.</p><lb/>
        <p>Die&#x017F;es objective Denken i&#x017F;t denn der <hi rendition="#g">Inhalt</hi> der<lb/>
reinen Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft. Sie i&#x017F;t daher &#x017F;o wenig formell, &#x017F;ie<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">entbehrt</fw><lb/></p>
      </div>
    </front>
  </text>
</TEI>
[XII/0032] Einleitung. mannichfaltigſte und verſchiedenartigſte Dafuͤrhalten offen, woruͤber am Ende allein die Willkuͤhr eine feſte Beſtim- mung abſchlieſſen kann. Davon aber kann bey dieſem Verfahren, die Wiſſenſchaft mit ihrer Definition anzu- fangen, nicht einmal die Rede ſeyn, daß die Noth- wendigkeit ihres Gegenſtandes und damit ihrer ſelbſt aufgezeigt wuͤrde. Der Begriff der reinen Wiſſenſchaft und ſeine De- duction wird hier alſo inſofern vorausgeſetzt, als die Phaͤnomenologie des Geiſtes nichts anderes als die De- duction deſſelben iſt. Das abſolute Wiſſen iſt die Wahr- heit aller Weiſen des Bewußtſeyns, weil, wie jener Gang deſſelben es hervorbrachte, nur in dem abſoluten Wiſſen, die Trennung des Gegenſtandes von der Gewißheit ſeiner ſelbſt vollkommen ſich aufgeloͤst hat, und die Wahrheit, dieſer Gewißheit, ſo wie dieſe Gewißheit, der Wahrheit gleich geworden iſt. Die reine Wiſſenſchaft ſetzt ſomit die Befreyung von dem Gegenſatze des Bewußtſeyns voraus. Sie ent- haͤlt den Gedanken, inſofern er eben ſo ſehr die Sache an ſich ſelbſt iſt, oder die Sache an ſich ſelbſt, inſofern ſie eben ſo ſehr der reine Gedanke iſt. Oder der Begriff der Wiſſenſchaft iſt, daß die Wahr- heit das reine Selbſtbewußtſeyn ſey, und die Geſtalt des Selbſts habe, daß das an ſich ſeyende der Begriff, und der Begriff das an ſich ſeyende iſt. Dieſes objective Denken iſt denn der Inhalt der reinen Wiſſenſchaft. Sie iſt daher ſo wenig formell, ſie entbehrt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_logik0101_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_logik0101_1812/32
Zitationshilfe: Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Wissenschaft der Logik. Bd. 1,1. Nürnberg, 1812, S. XII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_logik0101_1812/32>, abgerufen am 22.11.2024.