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Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Wissenschaft der Logik. Bd. 1,1. Nürnberg, 1812.

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Quantität.

Als ein Letztes ist der unendliche Progreß vornem-
lich in seiner Anwendung auf die Moralität genom-
men worden. Der so eben angeführte zweyte Gegensatz
des Endlichen und Unendlichen, der mannichfaltigen
Welt und des in seine Freyheit erhobenen Ichs, ist zu-
nächst in seiner Reinheit qualitativ. Indem das Selbst-
bestimmen des Ich zugleich darin besteht die Natur zu
bestimmen und sich von ihr zu befreyen, so bezieht es
sich durch sich selbst auf sein Anderes, welches als äus-
serliches Daseyn ein Vielfältiges und Quantitatives ist.
Das Bestimmen eines Quantitativen wird aber selbst
quantitativ, und die negative Beziehung des Ich darauf,
die Macht des Ich über das Nicht-Ich oder über die
Sinnlichkeit und äussere Natur, wird daher so vorge-
stellt, daß die Moralität immer größer, die Macht
der Sinnlichkeit aber immer kleiner werden könne und
solle; die völlige Angemessenheit des Willens aber zum
moralischen Gesetze wird in den ins Unendliche gehenden
Progreß verlegt, das heißt, als ein absolutes un-
erreichbares
Jenseits vorgestellt, und eben diß solle
der wahre Anker und der rechte Trost seyn, daß es ein
unerreichbares ist.

In diesem Gegensatze werden Ich und Nicht-Ich,
oder der reine Wille und die Natur und Sinnlichkeit
als vollkommen selbstständig und gleichgültig gegeneinan-
der vorgestellt. Der reine Wille hat sein eigenthümli-
ches Gesetz, das in wesentlicher Beziehung auf die Sinn-
lichkeit steht; eben so hat die Natur Gesetze, die weder
aus dem Willen genommen und ihm entsprechend sind,
noch auch nur, wenn gleich verschieden davon, an sich
eine wesentliche Beziehung auf ihn hätten, sondern sie
sind überhaupt für sich bestimmt, in sich fertig und ge-
schlossen. Zugleich sind beyde aber Momente eines
und desselben einfachen Wesens
, des Ich; der

Wille
Quantitaͤt.

Als ein Letztes iſt der unendliche Progreß vornem-
lich in ſeiner Anwendung auf die Moralitaͤt genom-
men worden. Der ſo eben angefuͤhrte zweyte Gegenſatz
des Endlichen und Unendlichen, der mannichfaltigen
Welt und des in ſeine Freyheit erhobenen Ichs, iſt zu-
naͤchſt in ſeiner Reinheit qualitativ. Indem das Selbſt-
beſtimmen des Ich zugleich darin beſteht die Natur zu
beſtimmen und ſich von ihr zu befreyen, ſo bezieht es
ſich durch ſich ſelbſt auf ſein Anderes, welches als aͤuſ-
ſerliches Daſeyn ein Vielfaͤltiges und Quantitatives iſt.
Das Beſtimmen eines Quantitativen wird aber ſelbſt
quantitativ, und die negative Beziehung des Ich darauf,
die Macht des Ich uͤber das Nicht-Ich oder uͤber die
Sinnlichkeit und aͤuſſere Natur, wird daher ſo vorge-
ſtellt, daß die Moralitaͤt immer groͤßer, die Macht
der Sinnlichkeit aber immer kleiner werden koͤnne und
ſolle; die voͤllige Angemeſſenheit des Willens aber zum
moraliſchen Geſetze wird in den ins Unendliche gehenden
Progreß verlegt, das heißt, als ein abſolutes un-
erreichbares
Jenſeits vorgeſtellt, und eben diß ſolle
der wahre Anker und der rechte Troſt ſeyn, daß es ein
unerreichbares iſt.

In dieſem Gegenſatze werden Ich und Nicht-Ich,
oder der reine Wille und die Natur und Sinnlichkeit
als vollkommen ſelbſtſtaͤndig und gleichguͤltig gegeneinan-
der vorgeſtellt. Der reine Wille hat ſein eigenthuͤmli-
ches Geſetz, das in weſentlicher Beziehung auf die Sinn-
lichkeit ſteht; eben ſo hat die Natur Geſetze, die weder
aus dem Willen genommen und ihm entſprechend ſind,
noch auch nur, wenn gleich verſchieden davon, an ſich
eine weſentliche Beziehung auf ihn haͤtten, ſondern ſie
ſind uͤberhaupt fuͤr ſich beſtimmt, in ſich fertig und ge-
ſchloſſen. Zugleich ſind beyde aber Momente eines
und deſſelben einfachen Weſens
, des Ich; der

Wille
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[191/0239] Quantitaͤt. Als ein Letztes iſt der unendliche Progreß vornem- lich in ſeiner Anwendung auf die Moralitaͤt genom- men worden. Der ſo eben angefuͤhrte zweyte Gegenſatz des Endlichen und Unendlichen, der mannichfaltigen Welt und des in ſeine Freyheit erhobenen Ichs, iſt zu- naͤchſt in ſeiner Reinheit qualitativ. Indem das Selbſt- beſtimmen des Ich zugleich darin beſteht die Natur zu beſtimmen und ſich von ihr zu befreyen, ſo bezieht es ſich durch ſich ſelbſt auf ſein Anderes, welches als aͤuſ- ſerliches Daſeyn ein Vielfaͤltiges und Quantitatives iſt. Das Beſtimmen eines Quantitativen wird aber ſelbſt quantitativ, und die negative Beziehung des Ich darauf, die Macht des Ich uͤber das Nicht-Ich oder uͤber die Sinnlichkeit und aͤuſſere Natur, wird daher ſo vorge- ſtellt, daß die Moralitaͤt immer groͤßer, die Macht der Sinnlichkeit aber immer kleiner werden koͤnne und ſolle; die voͤllige Angemeſſenheit des Willens aber zum moraliſchen Geſetze wird in den ins Unendliche gehenden Progreß verlegt, das heißt, als ein abſolutes un- erreichbares Jenſeits vorgeſtellt, und eben diß ſolle der wahre Anker und der rechte Troſt ſeyn, daß es ein unerreichbares iſt. In dieſem Gegenſatze werden Ich und Nicht-Ich, oder der reine Wille und die Natur und Sinnlichkeit als vollkommen ſelbſtſtaͤndig und gleichguͤltig gegeneinan- der vorgeſtellt. Der reine Wille hat ſein eigenthuͤmli- ches Geſetz, das in weſentlicher Beziehung auf die Sinn- lichkeit ſteht; eben ſo hat die Natur Geſetze, die weder aus dem Willen genommen und ihm entſprechend ſind, noch auch nur, wenn gleich verſchieden davon, an ſich eine weſentliche Beziehung auf ihn haͤtten, ſondern ſie ſind uͤberhaupt fuͤr ſich beſtimmt, in ſich fertig und ge- ſchloſſen. Zugleich ſind beyde aber Momente eines und deſſelben einfachen Weſens, des Ich; der Wille

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Zitationshilfe: Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Wissenschaft der Logik. Bd. 1,1. Nürnberg, 1812, S. 191. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_logik0101_1812/239>, abgerufen am 30.04.2024.