Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Wissenschaft der Logik. Bd. 1,1. Nürnberg, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

Quantität.
den muß. Die einseitige Behauptung der Discretion
gibt das unendliche oder absolute Getheiltseyn, so-
mit ein Untheilbares zum Princip; die einseitige Behaup-
tung der Continuität dagegen die unendliche Theilbar-
keit
.

Die Kantische Kritik der reinen Vernunft stellt be-
kanntlich vier (kosmologische) Antinomien auf,
worunter die zweyte den Gegensatz betrift, der
die Momente der Quantität ausmacht.

Diese Kantischen Antinomien bleiben immer ein
wichtiger Theil der kritischen Philosophie; sie sind es
vornemlich, die den Sturz der vorhergehenden Metaphy-
sik bewirkten, und als ein Hauptübergang in die neuere
Philosophie angesehen werden können. Bey ihrem gros-
sen Verdienste aber ist ihre Darstellung sehr unvollkom-
men; theils in sich selbst gehindert und verschroben,
theils schief in Ansehung ihres Resultats. Wegen ihrer
Merkwürdigkeit verdienen sie eine genauere Kritik, die
sowohl ihren Standpunkt und Methode näher beleuchten,
als auch den Hauptpunkt, worauf es ankommt, von der
unnützen Form, in die er hineingezwängt ist, befreyen
wird.

Zunächst bemerke ich, daß Kant seinen vier kosmo-
logischen Antinomien durch das Eintheilungsprincip, das
er von seinem Schema der Kategorien hernahm, einen
Schein von Vollständigkeit geben wollte. Allein die tie-
fere Einsicht in die antinomische oder wahrhafter, in die
dialektische Natur der Vernunft faßt überhaupt jeden Be-
griff als Einheit entgegengesetzter Momente, denen man
die Form antinomischer Behauptungen geben könnte.
Werden, Daseyn u. s. f. und jeder andere Begriff könnte
daher seine besondere Antinomie liefern, und also so viele

Anti-

Quantitaͤt.
den muß. Die einſeitige Behauptung der Diſcretion
gibt das unendliche oder abſolute Getheiltſeyn, ſo-
mit ein Untheilbares zum Princip; die einſeitige Behaup-
tung der Continuitaͤt dagegen die unendliche Theilbar-
keit
.

Die Kantiſche Kritik der reinen Vernunft ſtellt be-
kanntlich vier (kosmologiſche) Antinomien auf,
worunter die zweyte den Gegenſatz betrift, der
die Momente der Quantitaͤt ausmacht.

Dieſe Kantiſchen Antinomien bleiben immer ein
wichtiger Theil der kritiſchen Philoſophie; ſie ſind es
vornemlich, die den Sturz der vorhergehenden Metaphy-
ſik bewirkten, und als ein Hauptuͤbergang in die neuere
Philoſophie angeſehen werden koͤnnen. Bey ihrem groſ-
ſen Verdienſte aber iſt ihre Darſtellung ſehr unvollkom-
men; theils in ſich ſelbſt gehindert und verſchroben,
theils ſchief in Anſehung ihres Reſultats. Wegen ihrer
Merkwuͤrdigkeit verdienen ſie eine genauere Kritik, die
ſowohl ihren Standpunkt und Methode naͤher beleuchten,
als auch den Hauptpunkt, worauf es ankommt, von der
unnuͤtzen Form, in die er hineingezwaͤngt iſt, befreyen
wird.

Zunaͤchſt bemerke ich, daß Kant ſeinen vier kosmo-
logiſchen Antinomien durch das Eintheilungsprincip, das
er von ſeinem Schema der Kategorien hernahm, einen
Schein von Vollſtaͤndigkeit geben wollte. Allein die tie-
fere Einſicht in die antinomiſche oder wahrhafter, in die
dialektiſche Natur der Vernunft faßt uͤberhaupt jeden Be-
griff als Einheit entgegengeſetzter Momente, denen man
die Form antinomiſcher Behauptungen geben koͤnnte.
Werden, Daſeyn u. ſ. f. und jeder andere Begriff koͤnnte
daher ſeine beſondere Antinomie liefern, und alſo ſo viele

Anti-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <p><pb facs="#f0187" n="139"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Quantita&#x0364;t</hi>.</fw><lb/>
den muß. Die ein&#x017F;eitige Behauptung der Di&#x017F;cretion<lb/>
gibt das unendliche oder ab&#x017F;olute <hi rendition="#g">Getheilt&#x017F;eyn</hi>, &#x017F;o-<lb/>
mit ein Untheilbares zum Princip; die ein&#x017F;eitige Behaup-<lb/>
tung der Continuita&#x0364;t dagegen die unendliche <hi rendition="#g">Theilbar-<lb/>
keit</hi>.</p><lb/>
                  <p>Die Kanti&#x017F;che Kritik der reinen Vernunft &#x017F;tellt be-<lb/>
kanntlich <hi rendition="#g">vier</hi> (kosmologi&#x017F;che) <hi rendition="#g">Antinomien</hi> auf,<lb/>
worunter die <hi rendition="#g">zweyte</hi> den <hi rendition="#g">Gegen&#x017F;atz</hi> betrift, der<lb/>
die <hi rendition="#g">Momente der Quantita&#x0364;t</hi> ausmacht.</p><lb/>
                  <p>Die&#x017F;e Kanti&#x017F;chen Antinomien bleiben immer ein<lb/>
wichtiger Theil der kriti&#x017F;chen Philo&#x017F;ophie; &#x017F;ie &#x017F;ind es<lb/>
vornemlich, die den Sturz der vorhergehenden Metaphy-<lb/>
&#x017F;ik bewirkten, und als ein Hauptu&#x0364;bergang in die neuere<lb/>
Philo&#x017F;ophie ange&#x017F;ehen werden ko&#x0364;nnen. Bey ihrem gro&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en Verdien&#x017F;te aber i&#x017F;t ihre Dar&#x017F;tellung &#x017F;ehr unvollkom-<lb/>
men; theils in &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t gehindert und ver&#x017F;chroben,<lb/>
theils &#x017F;chief in An&#x017F;ehung ihres Re&#x017F;ultats. Wegen ihrer<lb/>
Merkwu&#x0364;rdigkeit verdienen &#x017F;ie eine genauere Kritik, die<lb/>
&#x017F;owohl ihren Standpunkt und Methode na&#x0364;her beleuchten,<lb/>
als auch den Hauptpunkt, worauf es ankommt, von der<lb/>
unnu&#x0364;tzen Form, in die er hineingezwa&#x0364;ngt i&#x017F;t, befreyen<lb/>
wird.</p><lb/>
                  <p>Zuna&#x0364;ch&#x017F;t bemerke ich, daß Kant &#x017F;einen vier kosmo-<lb/>
logi&#x017F;chen Antinomien durch das Eintheilungsprincip, das<lb/>
er von &#x017F;einem Schema der Kategorien hernahm, einen<lb/>
Schein von Voll&#x017F;ta&#x0364;ndigkeit geben wollte. Allein die tie-<lb/>
fere Ein&#x017F;icht in die antinomi&#x017F;che oder wahrhafter, in die<lb/>
dialekti&#x017F;che Natur der Vernunft faßt u&#x0364;berhaupt jeden Be-<lb/>
griff als Einheit entgegenge&#x017F;etzter Momente, denen man<lb/>
die Form antinomi&#x017F;cher Behauptungen geben ko&#x0364;nnte.<lb/>
Werden, Da&#x017F;eyn u. &#x017F;. f. und jeder andere Begriff ko&#x0364;nnte<lb/>
daher &#x017F;eine be&#x017F;ondere Antinomie liefern, und al&#x017F;o &#x017F;o viele<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Anti-</fw><lb/></p>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[139/0187] Quantitaͤt. den muß. Die einſeitige Behauptung der Diſcretion gibt das unendliche oder abſolute Getheiltſeyn, ſo- mit ein Untheilbares zum Princip; die einſeitige Behaup- tung der Continuitaͤt dagegen die unendliche Theilbar- keit. Die Kantiſche Kritik der reinen Vernunft ſtellt be- kanntlich vier (kosmologiſche) Antinomien auf, worunter die zweyte den Gegenſatz betrift, der die Momente der Quantitaͤt ausmacht. Dieſe Kantiſchen Antinomien bleiben immer ein wichtiger Theil der kritiſchen Philoſophie; ſie ſind es vornemlich, die den Sturz der vorhergehenden Metaphy- ſik bewirkten, und als ein Hauptuͤbergang in die neuere Philoſophie angeſehen werden koͤnnen. Bey ihrem groſ- ſen Verdienſte aber iſt ihre Darſtellung ſehr unvollkom- men; theils in ſich ſelbſt gehindert und verſchroben, theils ſchief in Anſehung ihres Reſultats. Wegen ihrer Merkwuͤrdigkeit verdienen ſie eine genauere Kritik, die ſowohl ihren Standpunkt und Methode naͤher beleuchten, als auch den Hauptpunkt, worauf es ankommt, von der unnuͤtzen Form, in die er hineingezwaͤngt iſt, befreyen wird. Zunaͤchſt bemerke ich, daß Kant ſeinen vier kosmo- logiſchen Antinomien durch das Eintheilungsprincip, das er von ſeinem Schema der Kategorien hernahm, einen Schein von Vollſtaͤndigkeit geben wollte. Allein die tie- fere Einſicht in die antinomiſche oder wahrhafter, in die dialektiſche Natur der Vernunft faßt uͤberhaupt jeden Be- griff als Einheit entgegengeſetzter Momente, denen man die Form antinomiſcher Behauptungen geben koͤnnte. Werden, Daſeyn u. ſ. f. und jeder andere Begriff koͤnnte daher ſeine beſondere Antinomie liefern, und alſo ſo viele Anti-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_logik0101_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_logik0101_1812/187
Zitationshilfe: Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Wissenschaft der Logik. Bd. 1,1. Nürnberg, 1812, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_logik0101_1812/187>, abgerufen am 23.11.2024.