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Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844.

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§. 30. Völkerrecht im Zustand des Friedens.
a. die Benutzung der von Natur allen Menschen ohne Be-
schränkung auf gewisse Räume dargebotenen Mittel und Hilfs-
quellen des Lebens, namentlich der s. g. res communes (S.
das Sachenrecht);
b. Vertheidigung und Kampf gegen jede, die Existenz und da-
mit ferner gegebenen Rechte bedrohende wirkliche Gefahr 1;
so wie Ergreifung vorläufiger Sicherungsmittel gegen die
Möglichkeit einer solchen.

Die Gefahr kann entweder Naturgewalt und Complication der
Weltverhältnisse sein, oder menschliche Vergewaltigung. Erstere
geben an und für sich kein Recht, andere Staaten und deren An-
gehörige in ihrer Existenz, ihren Besitzthümern und Rechten zu be-
schädigen; nur die äußerste Noth entschuldigt, seine eigene Existenz
auf Kosten einer fremden, oder seine eigenen Rechte mit Hintan-
setzung der Rechte Anderer zu retten, ja auch dieses nur, wenn
man nicht etwa selbst die Gefahr herbeigeführt hat. 2

Gegen drohende oder bereits angefangene Vergewaltigung An-
derer tritt das Recht der Nothwehr bis zur völligen Abwendung
der Gefahr in Kraft, und jeder dritte sogar ist berechtigt dazu Bei-
stand zu leisten, wenn der Bedrohte ihn nicht von sich weiset.
Wesentliche Voraussetzung ist jedoch Wirklichkeit der Gefahr und
Absichtlichkeit auf Seite dessen woher sie kommt. Bis dahin kön-
nen rechtmäßiger Weise nur Sicherungsmittel, z. B. durch Coali-
tion mit Anderen, Befestigungen, Kriegsrüstungen u. s. f. ergriffen
werden; mit dem ersten Moment der Gefahr ist aber auch der Be-
drohte befugt, zuerst thatsächlich einzuschreiten und durch eigenen An-
griff den zu befürchtenden zu beseitigen. 3


1 Adversus periculum naturalis ratio permittit se defendere. L. 4. D.
ad L. Aquil.
2 Es können hier keine anderen Grundsätze für die Staaten aufgestellt wer-
den als für das s. g. Nothrecht der Einzelmenschen. Die ersteren werden
freilich seltener in den Fall kommen, sich darauf zu berufen. Man setze in-
deß einen kleinen Staat in Hungersnoth gebracht, und man wird gewiß
ihm keine Rechtsverletzung beimessen können, wenn er sich, nach Erschö-
pfung aller Mittel, sogar mit Gewalt in den Besitz des Nothwendigen bei
seinen Nachbaren zu setzen sucht (Vattel II, 120.); freilich mit der Ver-
bindlichkeit einer wenigstens künftig zu leistenden Entschädigung. Bynkers-
hoeck, quaest. iur. publ. II,
15. Groot, II, 2, 9.
3 Denn melius est occurrere in tempore quam post exitum vindicare.
L. 1. C. quando liceat unicuique.
4*
§. 30. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens.
a. die Benutzung der von Natur allen Menſchen ohne Be-
ſchränkung auf gewiſſe Räume dargebotenen Mittel und Hilfs-
quellen des Lebens, namentlich der ſ. g. res communes (S.
das Sachenrecht);
b. Vertheidigung und Kampf gegen jede, die Exiſtenz und da-
mit ferner gegebenen Rechte bedrohende wirkliche Gefahr 1;
ſo wie Ergreifung vorläufiger Sicherungsmittel gegen die
Möglichkeit einer ſolchen.

Die Gefahr kann entweder Naturgewalt und Complication der
Weltverhältniſſe ſein, oder menſchliche Vergewaltigung. Erſtere
geben an und für ſich kein Recht, andere Staaten und deren An-
gehörige in ihrer Exiſtenz, ihren Beſitzthümern und Rechten zu be-
ſchädigen; nur die äußerſte Noth entſchuldigt, ſeine eigene Exiſtenz
auf Koſten einer fremden, oder ſeine eigenen Rechte mit Hintan-
ſetzung der Rechte Anderer zu retten, ja auch dieſes nur, wenn
man nicht etwa ſelbſt die Gefahr herbeigeführt hat. 2

Gegen drohende oder bereits angefangene Vergewaltigung An-
derer tritt das Recht der Nothwehr bis zur völligen Abwendung
der Gefahr in Kraft, und jeder dritte ſogar iſt berechtigt dazu Bei-
ſtand zu leiſten, wenn der Bedrohte ihn nicht von ſich weiſet.
Weſentliche Vorausſetzung iſt jedoch Wirklichkeit der Gefahr und
Abſichtlichkeit auf Seite deſſen woher ſie kommt. Bis dahin kön-
nen rechtmäßiger Weiſe nur Sicherungsmittel, z. B. durch Coali-
tion mit Anderen, Befeſtigungen, Kriegsrüſtungen u. ſ. f. ergriffen
werden; mit dem erſten Moment der Gefahr iſt aber auch der Be-
drohte befugt, zuerſt thatſächlich einzuſchreiten und durch eigenen An-
griff den zu befürchtenden zu beſeitigen. 3


1 Adversus periculum naturalis ratio permittit se defendere. L. 4. D.
ad L. Aquil.
2 Es können hier keine anderen Grundſätze für die Staaten aufgeſtellt wer-
den als für das ſ. g. Nothrecht der Einzelmenſchen. Die erſteren werden
freilich ſeltener in den Fall kommen, ſich darauf zu berufen. Man ſetze in-
deß einen kleinen Staat in Hungersnoth gebracht, und man wird gewiß
ihm keine Rechtsverletzung beimeſſen können, wenn er ſich, nach Erſchö-
pfung aller Mittel, ſogar mit Gewalt in den Beſitz des Nothwendigen bei
ſeinen Nachbaren zu ſetzen ſucht (Vattel II, 120.); freilich mit der Ver-
bindlichkeit einer wenigſtens künftig zu leiſtenden Entſchädigung. Bynkers-
hoeck, quaest. iur. publ. II,
15. Groot, II, 2, 9.
3 Denn melius est occurrere in tempore quam post exitum vindicare.
L. 1. C. quando liceat unicuique.
4*
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[51/0075] §. 30. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens. a. die Benutzung der von Natur allen Menſchen ohne Be- ſchränkung auf gewiſſe Räume dargebotenen Mittel und Hilfs- quellen des Lebens, namentlich der ſ. g. res communes (S. das Sachenrecht); b. Vertheidigung und Kampf gegen jede, die Exiſtenz und da- mit ferner gegebenen Rechte bedrohende wirkliche Gefahr 1; ſo wie Ergreifung vorläufiger Sicherungsmittel gegen die Möglichkeit einer ſolchen. Die Gefahr kann entweder Naturgewalt und Complication der Weltverhältniſſe ſein, oder menſchliche Vergewaltigung. Erſtere geben an und für ſich kein Recht, andere Staaten und deren An- gehörige in ihrer Exiſtenz, ihren Beſitzthümern und Rechten zu be- ſchädigen; nur die äußerſte Noth entſchuldigt, ſeine eigene Exiſtenz auf Koſten einer fremden, oder ſeine eigenen Rechte mit Hintan- ſetzung der Rechte Anderer zu retten, ja auch dieſes nur, wenn man nicht etwa ſelbſt die Gefahr herbeigeführt hat. 2 Gegen drohende oder bereits angefangene Vergewaltigung An- derer tritt das Recht der Nothwehr bis zur völligen Abwendung der Gefahr in Kraft, und jeder dritte ſogar iſt berechtigt dazu Bei- ſtand zu leiſten, wenn der Bedrohte ihn nicht von ſich weiſet. Weſentliche Vorausſetzung iſt jedoch Wirklichkeit der Gefahr und Abſichtlichkeit auf Seite deſſen woher ſie kommt. Bis dahin kön- nen rechtmäßiger Weiſe nur Sicherungsmittel, z. B. durch Coali- tion mit Anderen, Befeſtigungen, Kriegsrüſtungen u. ſ. f. ergriffen werden; mit dem erſten Moment der Gefahr iſt aber auch der Be- drohte befugt, zuerſt thatſächlich einzuſchreiten und durch eigenen An- griff den zu befürchtenden zu beſeitigen. 3 1 Adversus periculum naturalis ratio permittit se defendere. L. 4. D. ad L. Aquil. 2 Es können hier keine anderen Grundſätze für die Staaten aufgeſtellt wer- den als für das ſ. g. Nothrecht der Einzelmenſchen. Die erſteren werden freilich ſeltener in den Fall kommen, ſich darauf zu berufen. Man ſetze in- deß einen kleinen Staat in Hungersnoth gebracht, und man wird gewiß ihm keine Rechtsverletzung beimeſſen können, wenn er ſich, nach Erſchö- pfung aller Mittel, ſogar mit Gewalt in den Beſitz des Nothwendigen bei ſeinen Nachbaren zu ſetzen ſucht (Vattel II, 120.); freilich mit der Ver- bindlichkeit einer wenigſtens künftig zu leiſtenden Entſchädigung. Bynkers- hoeck, quaest. iur. publ. II, 15. Groot, II, 2, 9. 3 Denn melius est occurrere in tempore quam post exitum vindicare. L. 1. C. quando liceat unicuique. 4*

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Zitationshilfe: Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/75>, abgerufen am 24.11.2024.