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Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844.

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§. 172. Völkerrecht im Zustand des Unfriedens.
Prisengerichtsbarkeit gegen Neutrale.

172. Ganz in derselben Weise wird auch die Rechtmäßigkeit
der Prise gegen den Neutralen der Entscheidung eines Prisenge-
richts unterworfen. Diese Gerichtsbarkeit ist in neuerer Zeit un-
angefochten von jedem kriegführenden Staate selbst ausgeübt wor-
den, ungeachtet dagegen von neueren Publicisten seit der Mitte des
vorigen Jahrhunderts mancherlei Bedenken erhoben sind, zuweilen
mit entschiedener Denegation. 1 Beruht sie, wie unter einigen
Staaten der Fall ist, auf ausdrücklichen Verträgen, so kann kein
Streit darüber erhoben werden. Außerdem ist sie Nichts als eine
politische Maaßregel, für welche sich juristisch nur die Analogie ei-
nes forum arresti s. deprehensionis anführen läßt, vorausgesetzt,
daß sie sich auf wirkliche Rechtsverletzungen neutraler Unterthanen
gegen den kriegführenden Staat beschränkt. Eine res iudicata ent-
springt daraus an und für sich nur für den Staat, welcher eine
solche Gerichtsbarkeit übt (§. 39.); anderen Staaten wird dadurch
kein verbindliches Gesetz ertheilt; jedoch pflegt man meistens im
Interesse der Eigenthumsgewißheit und zur Vermeidung von Con-
testationen die Prisenzusprüche als giltig anzuerkennen, wenn nur
dadurch kein unzweifelhaftes Princip des Völkerrechts verletzt wor-
den ist. Eine Ausnahme von der Competenz des kriegführenden
Staates, für welchen der Fang gemacht ist, wird vorzüglich dann
behauptet und zugestanden

wenn die Wegnahme in einem neutralen Gebiete erfolgt ist,
oder
wenn das weggenommene Gut, noch vor dem Zuspruch der
Prise an den kriegführenden Staat, in das Gebiet desjenigen
Staates gelangt, welchem auch der Eigenthümer angehört.

Im ersteren Falle wird nicht nur der neutrale Staat, welcher die
weggenommenen Gegenstände in seiner Gewalt hat, über die Ille-
galität der Prise zu entscheiden befugt gehalten, sondern es wird
auch seiner Reclamation der unrechtmäßigen nicht mehr in seiner
Gewalt befindlichen Prise im Wege der diplomatischen Verhand-
lung von den Kriegführenden Folge gegeben; im zweiten Falle
kann er gleichergestalt nach seinen eigenen Gesetzen und nach den
mit dem Kriegführenden bestehenden Verträgen über die Reclama-

1 Vgl. Jouffroy S. 282 f. Nau §. 215 f.
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§. 172. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Unfriedens.
Priſengerichtsbarkeit gegen Neutrale.

172. Ganz in derſelben Weiſe wird auch die Rechtmäßigkeit
der Priſe gegen den Neutralen der Entſcheidung eines Priſenge-
richts unterworfen. Dieſe Gerichtsbarkeit iſt in neuerer Zeit un-
angefochten von jedem kriegführenden Staate ſelbſt ausgeübt wor-
den, ungeachtet dagegen von neueren Publiciſten ſeit der Mitte des
vorigen Jahrhunderts mancherlei Bedenken erhoben ſind, zuweilen
mit entſchiedener Denegation. 1 Beruht ſie, wie unter einigen
Staaten der Fall iſt, auf ausdrücklichen Verträgen, ſo kann kein
Streit darüber erhoben werden. Außerdem iſt ſie Nichts als eine
politiſche Maaßregel, für welche ſich juriſtiſch nur die Analogie ei-
nes forum arresti s. deprehensionis anführen läßt, vorausgeſetzt,
daß ſie ſich auf wirkliche Rechtsverletzungen neutraler Unterthanen
gegen den kriegführenden Staat beſchränkt. Eine res iudicata ent-
ſpringt daraus an und für ſich nur für den Staat, welcher eine
ſolche Gerichtsbarkeit übt (§. 39.); anderen Staaten wird dadurch
kein verbindliches Geſetz ertheilt; jedoch pflegt man meiſtens im
Intereſſe der Eigenthumsgewißheit und zur Vermeidung von Con-
teſtationen die Priſenzuſprüche als giltig anzuerkennen, wenn nur
dadurch kein unzweifelhaftes Princip des Völkerrechts verletzt wor-
den iſt. Eine Ausnahme von der Competenz des kriegführenden
Staates, für welchen der Fang gemacht iſt, wird vorzüglich dann
behauptet und zugeſtanden

wenn die Wegnahme in einem neutralen Gebiete erfolgt iſt,
oder
wenn das weggenommene Gut, noch vor dem Zuſpruch der
Priſe an den kriegführenden Staat, in das Gebiet desjenigen
Staates gelangt, welchem auch der Eigenthümer angehört.

Im erſteren Falle wird nicht nur der neutrale Staat, welcher die
weggenommenen Gegenſtände in ſeiner Gewalt hat, über die Ille-
galität der Priſe zu entſcheiden befugt gehalten, ſondern es wird
auch ſeiner Reclamation der unrechtmäßigen nicht mehr in ſeiner
Gewalt befindlichen Priſe im Wege der diplomatiſchen Verhand-
lung von den Kriegführenden Folge gegeben; im zweiten Falle
kann er gleichergeſtalt nach ſeinen eigenen Geſetzen und nach den
mit dem Kriegführenden beſtehenden Verträgen über die Reclama-

1 Vgl. Jouffroy S. 282 f. Nau §. 215 f.
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[291/0315] §. 172. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Unfriedens. Priſengerichtsbarkeit gegen Neutrale. 172. Ganz in derſelben Weiſe wird auch die Rechtmäßigkeit der Priſe gegen den Neutralen der Entſcheidung eines Priſenge- richts unterworfen. Dieſe Gerichtsbarkeit iſt in neuerer Zeit un- angefochten von jedem kriegführenden Staate ſelbſt ausgeübt wor- den, ungeachtet dagegen von neueren Publiciſten ſeit der Mitte des vorigen Jahrhunderts mancherlei Bedenken erhoben ſind, zuweilen mit entſchiedener Denegation. 1 Beruht ſie, wie unter einigen Staaten der Fall iſt, auf ausdrücklichen Verträgen, ſo kann kein Streit darüber erhoben werden. Außerdem iſt ſie Nichts als eine politiſche Maaßregel, für welche ſich juriſtiſch nur die Analogie ei- nes forum arresti s. deprehensionis anführen läßt, vorausgeſetzt, daß ſie ſich auf wirkliche Rechtsverletzungen neutraler Unterthanen gegen den kriegführenden Staat beſchränkt. Eine res iudicata ent- ſpringt daraus an und für ſich nur für den Staat, welcher eine ſolche Gerichtsbarkeit übt (§. 39.); anderen Staaten wird dadurch kein verbindliches Geſetz ertheilt; jedoch pflegt man meiſtens im Intereſſe der Eigenthumsgewißheit und zur Vermeidung von Con- teſtationen die Priſenzuſprüche als giltig anzuerkennen, wenn nur dadurch kein unzweifelhaftes Princip des Völkerrechts verletzt wor- den iſt. Eine Ausnahme von der Competenz des kriegführenden Staates, für welchen der Fang gemacht iſt, wird vorzüglich dann behauptet und zugeſtanden wenn die Wegnahme in einem neutralen Gebiete erfolgt iſt, oder wenn das weggenommene Gut, noch vor dem Zuſpruch der Priſe an den kriegführenden Staat, in das Gebiet desjenigen Staates gelangt, welchem auch der Eigenthümer angehört. Im erſteren Falle wird nicht nur der neutrale Staat, welcher die weggenommenen Gegenſtände in ſeiner Gewalt hat, über die Ille- galität der Priſe zu entſcheiden befugt gehalten, ſondern es wird auch ſeiner Reclamation der unrechtmäßigen nicht mehr in ſeiner Gewalt befindlichen Priſe im Wege der diplomatiſchen Verhand- lung von den Kriegführenden Folge gegeben; im zweiten Falle kann er gleichergeſtalt nach ſeinen eigenen Geſetzen und nach den mit dem Kriegführenden beſtehenden Verträgen über die Reclama- 1 Vgl. Jouffroy S. 282 f. Nau §. 215 f. 19*

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Zitationshilfe: Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844, S. 291. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/315>, abgerufen am 23.11.2024.