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Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844.

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Erstes Buch. §. 102.

Sollte ein auswärtiger Souverän in einem fremden Staate wi-
der diesen selbst oder die darin geheiligte Rechtsordnung eine Ver-
letzung unternehmen oder begehen, so fällt zwar nach dem Grund-
satz der Exterritorialität (§. 42. 53.) die Ausübung einer förm-
lichen Strafgerichtsbarkeit weg; wohl aber ist der angegriffene
Staat berechtigt, nicht nur der erst unternommenen aber noch nicht
ausgeführten Rechtsverletzung mit Gewalt entgegenzutreten, sondern
auch, wenn sie bereits vollendet ist, sich der Person des Verletzenden
zu bemächtigen und sie bis zu erlangter Genugthuung zurückzubehal-
ten, ja bei einem schlechthin feindseligen Attentat wider die Existenz
und Integrität des angegriffenen Staates sogar das Recht des
Krieges auszuüben! 1

Dasselbe gilt von untergeordneten Repräsentanten einer aus-
wärtigen Staatsgewalt, ungehindert durch ihren exterritorialen Cha-
racter, wenn sie im Gebiet des fremden Staates, wo sie beglau-
bigt sind, ein Verbrechen verüben, 2 sie mögen dieses nun für sich
allein aus eigenem Antrieb oder auf Befehl ihrer Regierung un-
ternommen haben. 3

Besteht unter den betheiligten Staaten ein Lehnsverhältniß, so
kann überdies die Feloniefrage eintreten; im Allgemeinen aber
hat die Verfeinerung der Sitte und der Einfluß der öffentlichen

Aus denselben Schriften lassen sich noch andere Beispiele von Verletzungen
auswärtiger Gesandten und dafür gegebenen Genugthuungen nachweisen.
Vgl. auch Wicquefort, l'Ambassadeur. I, sect. XXVII. In der neue-
sten Zeit haben besonders Verletzungen des Völker-Seerechts im gegenseiti-
gen Verkehr Anlaß zu Reclamationen und zu Gewährung von Entschädi-
gungen gegeben.
1 Die Haupterörterung dieser Frage s. in Bynkershoek de jud. comp.
leg. cap. III. Huber, de jure civitatis I, 3, 3, 1. Thomasius, juris-
prud. divina. III, 9, 76. Ward, Enquiry II, p.
485.
2 Hierzu bietet die Geschichte der vergangenen Jahrhunderte Beispiele in ziemli-
cher Anzahl. S. Wicquefort, l'Ambassadeur I, sect. 27-29. u. Ward. Be-
sonders lehrreich sind die Fälle, welche Merlin, Repertoire m. Ministre
public, V, §. 4. n. XII. XIII.
anführt. Vgl. auch wegen der Angele-
genheit des Grafen Ghillenborg und Görtz, und des Grafen Cellamare
(1717. 1718.) Ch. de Martens, Causes celebres. I, 75 u. 179. We-
gen der Grundsätze im Einzelnen vgl. Bynkershoek l. c. cap. XVII--XX.
3 Thomasius l. c. "illud autem absurdum, quod quidam arbitrantur im-
pune licere legato exequi quidquid sibi a principe est mandatum." etc.
Erſtes Buch. §. 102.

Sollte ein auswärtiger Souverän in einem fremden Staate wi-
der dieſen ſelbſt oder die darin geheiligte Rechtsordnung eine Ver-
letzung unternehmen oder begehen, ſo fällt zwar nach dem Grund-
ſatz der Exterritorialität (§. 42. 53.) die Ausübung einer förm-
lichen Strafgerichtsbarkeit weg; wohl aber iſt der angegriffene
Staat berechtigt, nicht nur der erſt unternommenen aber noch nicht
ausgeführten Rechtsverletzung mit Gewalt entgegenzutreten, ſondern
auch, wenn ſie bereits vollendet iſt, ſich der Perſon des Verletzenden
zu bemächtigen und ſie bis zu erlangter Genugthuung zurückzubehal-
ten, ja bei einem ſchlechthin feindſeligen Attentat wider die Exiſtenz
und Integrität des angegriffenen Staates ſogar das Recht des
Krieges auszuüben! 1

Daſſelbe gilt von untergeordneten Repräſentanten einer aus-
wärtigen Staatsgewalt, ungehindert durch ihren exterritorialen Cha-
racter, wenn ſie im Gebiet des fremden Staates, wo ſie beglau-
bigt ſind, ein Verbrechen verüben, 2 ſie mögen dieſes nun für ſich
allein aus eigenem Antrieb oder auf Befehl ihrer Regierung un-
ternommen haben. 3

Beſteht unter den betheiligten Staaten ein Lehnsverhältniß, ſo
kann überdies die Feloniefrage eintreten; im Allgemeinen aber
hat die Verfeinerung der Sitte und der Einfluß der öffentlichen

Aus denſelben Schriften laſſen ſich noch andere Beiſpiele von Verletzungen
auswärtiger Geſandten und dafür gegebenen Genugthuungen nachweiſen.
Vgl. auch Wicquefort, l’Ambassadeur. I, sect. XXVII. In der neue-
ſten Zeit haben beſonders Verletzungen des Völker-Seerechts im gegenſeiti-
gen Verkehr Anlaß zu Reclamationen und zu Gewährung von Entſchädi-
gungen gegeben.
1 Die Haupterörterung dieſer Frage ſ. in Bynkershoek de jud. comp.
leg. cap. III. Huber, de jure civitatis I, 3, 3, 1. Thomasius, juris-
prud. divina. III, 9, 76. Ward, Enquiry II, p.
485.
2 Hierzu bietet die Geſchichte der vergangenen Jahrhunderte Beiſpiele in ziemli-
cher Anzahl. S. Wicquefort, l’Ambassadeur I, sect. 27-29. u. Ward. Be-
ſonders lehrreich ſind die Fälle, welche Merlin, Répertoire m. Ministre
public, V, §. 4. n. XII. XIII.
anführt. Vgl. auch wegen der Angele-
genheit des Grafen Ghillenborg und Görtz, und des Grafen Cellamare
(1717. 1718.) Ch. de Martens, Causes célèbres. I, 75 u. 179. We-
gen der Grundſätze im Einzelnen vgl. Bynkershoek l. c. cap. XVII—XX.
3 Thomasius l. c. „illud autem absurdum, quod quidam arbitrantur im-
pune licere legato exequi quidquid sibi a principe est mandatum.“ etc.
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[180/0204] Erſtes Buch. §. 102. Sollte ein auswärtiger Souverän in einem fremden Staate wi- der dieſen ſelbſt oder die darin geheiligte Rechtsordnung eine Ver- letzung unternehmen oder begehen, ſo fällt zwar nach dem Grund- ſatz der Exterritorialität (§. 42. 53.) die Ausübung einer förm- lichen Strafgerichtsbarkeit weg; wohl aber iſt der angegriffene Staat berechtigt, nicht nur der erſt unternommenen aber noch nicht ausgeführten Rechtsverletzung mit Gewalt entgegenzutreten, ſondern auch, wenn ſie bereits vollendet iſt, ſich der Perſon des Verletzenden zu bemächtigen und ſie bis zu erlangter Genugthuung zurückzubehal- ten, ja bei einem ſchlechthin feindſeligen Attentat wider die Exiſtenz und Integrität des angegriffenen Staates ſogar das Recht des Krieges auszuüben! 1 Daſſelbe gilt von untergeordneten Repräſentanten einer aus- wärtigen Staatsgewalt, ungehindert durch ihren exterritorialen Cha- racter, wenn ſie im Gebiet des fremden Staates, wo ſie beglau- bigt ſind, ein Verbrechen verüben, 2 ſie mögen dieſes nun für ſich allein aus eigenem Antrieb oder auf Befehl ihrer Regierung un- ternommen haben. 3 Beſteht unter den betheiligten Staaten ein Lehnsverhältniß, ſo kann überdies die Feloniefrage eintreten; im Allgemeinen aber hat die Verfeinerung der Sitte und der Einfluß der öffentlichen 2 1 Die Haupterörterung dieſer Frage ſ. in Bynkershoek de jud. comp. leg. cap. III. Huber, de jure civitatis I, 3, 3, 1. Thomasius, juris- prud. divina. III, 9, 76. Ward, Enquiry II, p. 485. 2 Hierzu bietet die Geſchichte der vergangenen Jahrhunderte Beiſpiele in ziemli- cher Anzahl. S. Wicquefort, l’Ambassadeur I, sect. 27-29. u. Ward. Be- ſonders lehrreich ſind die Fälle, welche Merlin, Répertoire m. Ministre public, V, §. 4. n. XII. XIII. anführt. Vgl. auch wegen der Angele- genheit des Grafen Ghillenborg und Görtz, und des Grafen Cellamare (1717. 1718.) Ch. de Martens, Causes célèbres. I, 75 u. 179. We- gen der Grundſätze im Einzelnen vgl. Bynkershoek l. c. cap. XVII—XX. 3 Thomasius l. c. „illud autem absurdum, quod quidam arbitrantur im- pune licere legato exequi quidquid sibi a principe est mandatum.“ etc. 2 Aus denſelben Schriften laſſen ſich noch andere Beiſpiele von Verletzungen auswärtiger Geſandten und dafür gegebenen Genugthuungen nachweiſen. Vgl. auch Wicquefort, l’Ambassadeur. I, sect. XXVII. In der neue- ſten Zeit haben beſonders Verletzungen des Völker-Seerechts im gegenſeiti- gen Verkehr Anlaß zu Reclamationen und zu Gewährung von Entſchädi- gungen gegeben.

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Zitationshilfe: Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844, S. 180. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/204>, abgerufen am 23.11.2024.