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Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844.

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§. 60. Völkerrecht im Zustand des Friedens.
die einheimischen Bürger nur dann Platz greifen, wenn die aus-
wärtige Nation selbst ein System der Ungleichheit befolgt.

Völlig von allem Grunde entblößt erscheint eine Gerichtsbar-
keit über Ausländer, welche sich gar nicht einmal in dem Gebiet
des fremden Staates befinden oder Vermögen daselbst besitzen, wo-
ran die dasselbe betreffenden Ansprüche in Vollzug gesetzt werden
könnten; 1 indeß kein Staat sein richterliches Amt einem Frem-
den wider einen anderen Fremden versagen sollte, wenn ein An-
spruch des ersteren an den letzteren dadurch auf demselben Wege
realisirt werden könnte, als es gegen den eigenen Unterthan zuläs-
sig sein würde. 2

Andererseits können Verträge, welche eine Staatsgewalt selbst
als Partei mit auswärtigen Unterthanen geschlossen hat, nicht ih-
rer eigenen Willkühr unterworfen werden; vielmehr stehen diese un-
ter dem Schutz des Völkerrechts; 3 es kann endlich in Privat-

fassungsmäßig der Erwerb gewisser Rechte an eine bestimmte staatsbürger-
liche Eigenschaft geknüpft ist. Die neuere Gesetzgebung ist durchgängig auf
diesem Wege und nur in einzelnen Puncten noch bedenklich. Daß Fremde
als Kläger Caution leisten müssen, ist eine, durch natürliche Verschiedenheit
der Verhältnisse gerechtfertigte Regel; daher auch die allgemeine Praxis
derselben. Vergl. Foelix, p. 169 s. Wenn dagegen Erbschaften und Ver-
mächtnisse einem Fremden entweder ganz vorenthalten oder einem Abzugsgeld
(ius defractus, traite foraine) unterworfen werden, so ist dies noch ein
Rest vormaliger Befangenheit, dessen Beibehaltung dem Princip eines freien
Verkehrs der Nationen nicht mehr entspricht, daher auch schon die häufige,
wiewohl noch nicht durchgängige Abschaffung jener Sitte durch ausdrück-
liche Verträge.
1 Gleichwohl ist in Frankreich dies System adoptirt durch Art. 14. des C. c.
Es verstößt gegen das Princip: daß Niemand seinem natürlichen Richter
entzogen werden kann; gegen das Princip: actor rei forum sequitur, und
extra territorium ius dicenti impune non paretur. S. darüber und über
das System anderer Staaten Foelix, p. 213. Ueber das Verhalten der
Deutschen Staaten dem französischen bürgerl. Gesetzb. Art. 14. gegenüber
vergl. Kappler, jurist. Promtuar., W.: Ausländer. S. 88 f. ed. 2.
2 Auch hier befolgt Frankreich ein sehr abweichendes Princip von dem ande-
rer Staaten. S. Foelix, p. 187 f. Gerechtfertigt wird das obige durch
die weltbürgerliche Stellung des Individuums, welche zu keiner Zeit recht-
los gelassen werden kann. Statusklagen unter Ausländern sind natürlich auszu-
schließen, weil der Status eines Menschen lediglich von dem vaterländischen
Recht abhängig ist und sich nur dort in Ausführung bringen läßt. Alle
anderen Ansprüche an die Person hingegen sind beweglich und vollziehbar
mit der Person. Wegen Immobilarklagen ist kein Zweifel.
3 Wichtig bei Staatsschulden. Davon bei den Verträgen.

§. 60. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens.
die einheimiſchen Bürger nur dann Platz greifen, wenn die aus-
wärtige Nation ſelbſt ein Syſtem der Ungleichheit befolgt.

Völlig von allem Grunde entblößt erſcheint eine Gerichtsbar-
keit über Ausländer, welche ſich gar nicht einmal in dem Gebiet
des fremden Staates befinden oder Vermögen daſelbſt beſitzen, wo-
ran die daſſelbe betreffenden Anſprüche in Vollzug geſetzt werden
könnten; 1 indeß kein Staat ſein richterliches Amt einem Frem-
den wider einen anderen Fremden verſagen ſollte, wenn ein An-
ſpruch des erſteren an den letzteren dadurch auf demſelben Wege
realiſirt werden könnte, als es gegen den eigenen Unterthan zuläſ-
ſig ſein würde. 2

Andererſeits können Verträge, welche eine Staatsgewalt ſelbſt
als Partei mit auswärtigen Unterthanen geſchloſſen hat, nicht ih-
rer eigenen Willkühr unterworfen werden; vielmehr ſtehen dieſe un-
ter dem Schutz des Völkerrechts; 3 es kann endlich in Privat-

faſſungsmäßig der Erwerb gewiſſer Rechte an eine beſtimmte ſtaatsbürger-
liche Eigenſchaft geknüpft iſt. Die neuere Geſetzgebung iſt durchgängig auf
dieſem Wege und nur in einzelnen Puncten noch bedenklich. Daß Fremde
als Kläger Caution leiſten müſſen, iſt eine, durch natürliche Verſchiedenheit
der Verhältniſſe gerechtfertigte Regel; daher auch die allgemeine Praxis
derſelben. Vergl. Foelix, p. 169 s. Wenn dagegen Erbſchaften und Ver-
mächtniſſe einem Fremden entweder ganz vorenthalten oder einem Abzugsgeld
(ius defractus, traite foraine) unterworfen werden, ſo iſt dies noch ein
Reſt vormaliger Befangenheit, deſſen Beibehaltung dem Princip eines freien
Verkehrs der Nationen nicht mehr entſpricht, daher auch ſchon die häufige,
wiewohl noch nicht durchgängige Abſchaffung jener Sitte durch ausdrück-
liche Verträge.
1 Gleichwohl iſt in Frankreich dies Syſtem adoptirt durch Art. 14. des C. c.
Es verſtößt gegen das Princip: daß Niemand ſeinem natürlichen Richter
entzogen werden kann; gegen das Princip: actor rei forum sequitur, und
extra territorium ius dicenti impune non paretur. S. darüber und über
das Syſtem anderer Staaten Foelix, p. 213. Ueber das Verhalten der
Deutſchen Staaten dem franzöſiſchen bürgerl. Geſetzb. Art. 14. gegenüber
vergl. Kappler, juriſt. Promtuar., W.: Ausländer. S. 88 f. ed. 2.
2 Auch hier befolgt Frankreich ein ſehr abweichendes Princip von dem ande-
rer Staaten. S. Foelix, p. 187 f. Gerechtfertigt wird das obige durch
die weltbürgerliche Stellung des Individuums, welche zu keiner Zeit recht-
los gelaſſen werden kann. Statusklagen unter Ausländern ſind natürlich auszu-
ſchließen, weil der Status eines Menſchen lediglich von dem vaterländiſchen
Recht abhängig iſt und ſich nur dort in Ausführung bringen läßt. Alle
anderen Anſprüche an die Perſon hingegen ſind beweglich und vollziehbar
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3 Wichtig bei Staatsſchulden. Davon bei den Verträgen.
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[109/0133] §. 60. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens. die einheimiſchen Bürger nur dann Platz greifen, wenn die aus- wärtige Nation ſelbſt ein Syſtem der Ungleichheit befolgt. Völlig von allem Grunde entblößt erſcheint eine Gerichtsbar- keit über Ausländer, welche ſich gar nicht einmal in dem Gebiet des fremden Staates befinden oder Vermögen daſelbſt beſitzen, wo- ran die daſſelbe betreffenden Anſprüche in Vollzug geſetzt werden könnten; 1 indeß kein Staat ſein richterliches Amt einem Frem- den wider einen anderen Fremden verſagen ſollte, wenn ein An- ſpruch des erſteren an den letzteren dadurch auf demſelben Wege realiſirt werden könnte, als es gegen den eigenen Unterthan zuläſ- ſig ſein würde. 2 Andererſeits können Verträge, welche eine Staatsgewalt ſelbſt als Partei mit auswärtigen Unterthanen geſchloſſen hat, nicht ih- rer eigenen Willkühr unterworfen werden; vielmehr ſtehen dieſe un- ter dem Schutz des Völkerrechts; 3 es kann endlich in Privat- 3 1 Gleichwohl iſt in Frankreich dies Syſtem adoptirt durch Art. 14. des C. c. Es verſtößt gegen das Princip: daß Niemand ſeinem natürlichen Richter entzogen werden kann; gegen das Princip: actor rei forum sequitur, und extra territorium ius dicenti impune non paretur. S. darüber und über das Syſtem anderer Staaten Foelix, p. 213. Ueber das Verhalten der Deutſchen Staaten dem franzöſiſchen bürgerl. Geſetzb. Art. 14. gegenüber vergl. Kappler, juriſt. Promtuar., W.: Ausländer. S. 88 f. ed. 2. 2 Auch hier befolgt Frankreich ein ſehr abweichendes Princip von dem ande- rer Staaten. S. Foelix, p. 187 f. Gerechtfertigt wird das obige durch die weltbürgerliche Stellung des Individuums, welche zu keiner Zeit recht- los gelaſſen werden kann. Statusklagen unter Ausländern ſind natürlich auszu- ſchließen, weil der Status eines Menſchen lediglich von dem vaterländiſchen Recht abhängig iſt und ſich nur dort in Ausführung bringen läßt. Alle anderen Anſprüche an die Perſon hingegen ſind beweglich und vollziehbar mit der Perſon. Wegen Immobilarklagen iſt kein Zweifel. 3 Wichtig bei Staatsſchulden. Davon bei den Verträgen. 3 faſſungsmäßig der Erwerb gewiſſer Rechte an eine beſtimmte ſtaatsbürger- liche Eigenſchaft geknüpft iſt. Die neuere Geſetzgebung iſt durchgängig auf dieſem Wege und nur in einzelnen Puncten noch bedenklich. Daß Fremde als Kläger Caution leiſten müſſen, iſt eine, durch natürliche Verſchiedenheit der Verhältniſſe gerechtfertigte Regel; daher auch die allgemeine Praxis derſelben. Vergl. Foelix, p. 169 s. Wenn dagegen Erbſchaften und Ver- mächtniſſe einem Fremden entweder ganz vorenthalten oder einem Abzugsgeld (ius defractus, traite foraine) unterworfen werden, ſo iſt dies noch ein Reſt vormaliger Befangenheit, deſſen Beibehaltung dem Princip eines freien Verkehrs der Nationen nicht mehr entſpricht, daher auch ſchon die häufige, wiewohl noch nicht durchgängige Abſchaffung jener Sitte durch ausdrück- liche Verträge.

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Zitationshilfe: Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/133>, abgerufen am 03.05.2024.