seines Sohns Galeazzo Maria 1476, dessen Sohn, der schwache Johann Galeazzo, unter der Aufsicht seines herrschsüchtigen Oheims Ludwig Morus regierte, der ihn endlich 1494 verdrängte.
2. Die Republik Venedig hatte auf dem Continent von Italien bereits alle ihre nachmaligen Besitzungen acqui- rirt, ohne der Hoffnung zu entsagen, noch mehr zu erlan- gen. Ihre erblichen Vergrößerungspläne waren gegen Romagna (das sie meist inne hatte) und Mayland gerich- tet. Bis zum vollen Besitze des letztern reichten kaum selbst die kühnsten Wünsche des Senats; aber die einmal fest ge- wurzelten Projecte wurden mit aller der Schlauheit und Beharrlichkeit verfolgt, deren nur eine solche Aristocraten- Politik fähig ist. Wo galt damals nicht Venedig für den Meister in der Staatskunst?
3. Das päbstliche Gebiet war nicht nur im Norden noch sehr unbestimmt, sondern auch die, noch wenig ge- brochne, Macht der großen Familien in mehreren Städten machte diese Herrschaft noch schwankender. Die Päbste selbst standen nicht selten ihrer Vergrößerung durch den Nepotis- mus entgegen, der sie bewog, das Interesse ihrer Familien dem des R. Stuhls vorzuziehen; worin der damalige Pabst AlexanderVI. (1491-1503) nicht leicht von einem sei- ner Vorgänger oder Nachfolger übertroffen wurde.
4. Die Florentinische Republik stand bey ihrer democratischen Form dennoch seit fast Einem Jahrhundert unter dem Principat des Hauses Medici, dessen Chef seit dem Tode des großen Lorenzo sein ihm ungleicher Sohn Pie- tro war. War gleich seit der Unterjochung Pisa's 1407 ihr Gebiet erweitert, so war doch noch der Geist der Pisa- ner nicht unterjocht. Sowohl darin, als in der Art des Principats der Mediceer, der, nur auf überlegne Talente gebaut, wanken mußte, sobald diese fehlten, lagen Keime zu Revolutionen, die nur zu reichliche Früchte trugen.
5. Das Königreich Neapel (von Sicilien, das zu Ara- gon gehörte, getrennt;) stand unter einer Nebenlinie dieses
Hau-
I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
ſeines Sohns Galeazzo Maria 1476, deſſen Sohn, der ſchwache Johann Galeazzo, unter der Aufſicht ſeines herrſchſuͤchtigen Oheims Ludwig Morus regierte, der ihn endlich 1494 verdraͤngte.
2. Die Republik Venedig hatte auf dem Continent von Italien bereits alle ihre nachmaligen Beſitzungen acqui- rirt, ohne der Hoffnung zu entſagen, noch mehr zu erlan- gen. Ihre erblichen Vergroͤßerungsplaͤne waren gegen Romagna (das ſie meiſt inne hatte) und Mayland gerich- tet. Bis zum vollen Beſitze des letztern reichten kaum ſelbſt die kuͤhnſten Wuͤnſche des Senats; aber die einmal feſt ge- wurzelten Projecte wurden mit aller der Schlauheit und Beharrlichkeit verfolgt, deren nur eine ſolche Ariſtocraten- Politik faͤhig iſt. Wo galt damals nicht Venedig fuͤr den Meiſter in der Staatskunſt?
3. Das paͤbſtliche Gebiet war nicht nur im Norden noch ſehr unbeſtimmt, ſondern auch die, noch wenig ge- brochne, Macht der großen Familien in mehreren Staͤdten machte dieſe Herrſchaft noch ſchwankender. Die Paͤbſte ſelbſt ſtanden nicht ſelten ihrer Vergroͤßerung durch den Nepotis- mus entgegen, der ſie bewog, das Intereſſe ihrer Familien dem des R. Stuhls vorzuziehen; worin der damalige Pabſt AlexanderVI. (1491–1503) nicht leicht von einem ſei- ner Vorgaͤnger oder Nachfolger uͤbertroffen wurde.
4. Die Florentiniſche Republik ſtand bey ihrer democratiſchen Form dennoch ſeit faſt Einem Jahrhundert unter dem Principat des Hauſes Medici, deſſen Chef ſeit dem Tode des großen Lorenzo ſein ihm ungleicher Sohn Pie- tro war. War gleich ſeit der Unterjochung Piſa's 1407 ihr Gebiet erweitert, ſo war doch noch der Geiſt der Piſa- ner nicht unterjocht. Sowohl darin, als in der Art des Principats der Mediceer, der, nur auf uͤberlegne Talente gebaut, wanken mußte, ſobald dieſe fehlten, lagen Keime zu Revolutionen, die nur zu reichliche Fruͤchte trugen.
5. Das Koͤnigreich Neapel (von Sicilien, das zu Ara- gon gehoͤrte, getrennt;) ſtand unter einer Nebenlinie dieſes
Hau-
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I. Per. I. Th. Geſch. d. ſuͤdl. Eur. Staatenſyſt.
ſeines Sohns Galeazzo Maria 1476, deſſen Sohn, der
ſchwache Johann Galeazzo, unter der Aufſicht ſeines
herrſchſuͤchtigen Oheims Ludwig Morus regierte, der
ihn endlich 1494 verdraͤngte.
2. Die Republik Venedig hatte auf dem Continent
von Italien bereits alle ihre nachmaligen Beſitzungen acqui-
rirt, ohne der Hoffnung zu entſagen, noch mehr zu erlan-
gen. Ihre erblichen Vergroͤßerungsplaͤne waren gegen
Romagna (das ſie meiſt inne hatte) und Mayland gerich-
tet. Bis zum vollen Beſitze des letztern reichten kaum ſelbſt
die kuͤhnſten Wuͤnſche des Senats; aber die einmal feſt ge-
wurzelten Projecte wurden mit aller der Schlauheit und
Beharrlichkeit verfolgt, deren nur eine ſolche Ariſtocraten-
Politik faͤhig iſt. Wo galt damals nicht Venedig fuͤr den
Meiſter in der Staatskunſt?
3. Das paͤbſtliche Gebiet war nicht nur im Norden
noch ſehr unbeſtimmt, ſondern auch die, noch wenig ge-
brochne, Macht der großen Familien in mehreren Staͤdten
machte dieſe Herrſchaft noch ſchwankender. Die Paͤbſte ſelbſt
ſtanden nicht ſelten ihrer Vergroͤßerung durch den Nepotis-
mus entgegen, der ſie bewog, das Intereſſe ihrer Familien
dem des R. Stuhls vorzuziehen; worin der damalige Pabſt
Alexander VI. (1491–1503) nicht leicht von einem ſei-
ner Vorgaͤnger oder Nachfolger uͤbertroffen wurde.
4. Die Florentiniſche Republik ſtand bey ihrer
democratiſchen Form dennoch ſeit faſt Einem Jahrhundert
unter dem Principat des Hauſes Medici, deſſen Chef ſeit
dem Tode des großen Lorenzo ſein ihm ungleicher Sohn Pie-
tro war. War gleich ſeit der Unterjochung Piſa's 1407
ihr Gebiet erweitert, ſo war doch noch der Geiſt der Piſa-
ner nicht unterjocht. Sowohl darin, als in der Art des
Principats der Mediceer, der, nur auf uͤberlegne Talente
gebaut, wanken mußte, ſobald dieſe fehlten, lagen Keime
zu Revolutionen, die nur zu reichliche Fruͤchte trugen.
5. Das Koͤnigreich Neapel (von Sicilien, das zu Ara-
gon gehoͤrte, getrennt;) ſtand unter einer Nebenlinie dieſes
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Heeren, Arnold H. L.: Geschichte des Europäischen Staatensystems und seiner Kolonien. Göttingen, 1809, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heeren_staatensystem_1809/60>, abgerufen am 24.11.2024.
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