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Heeren, Arnold H. L.: Geschichte des Europäischen Staatensystems und seiner Kolonien. Göttingen, 1809.

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1. Staatshändel in Europa c. 1763--1786.
ersten großen und auffallenden Beweis davon gab
die Gesellschaft der Jesuiten. Freylich gab
es eine Menge einzelner Ursachen, die ihren Fall
vorbereiteten; aber wie hätten diese so wirken kön-
nen, als sie wirkten, wäre nicht der Widerspruch
zwischen ihrem Institut, und dem herrschenden Geist
des Zeitalters immer größer geworden. Daher fan-
den sie auch in dem Lande, wo dieser sich am mei-
sten bildete, von jeher ihre heftigsten und hartnäk-
kigsten Widersacher; und wenn sie gleich aus Por-
tugal schon etwas früher als aus Frankreich vertrie-
ben wurden, so hängt doch die Geschichte ihres
Sinkens und ihres endlichen Falls im Ganzen offen-
bar an ihren Verhältnissen in diesem letztern Lande.

Vorbereitende Ursachen des Falls der Jesuiten: a. Der
mehr als 100jährige Streit mit den Jansenisten, indem durch
die Lettres provinciales von Pascal 1652 zuerst die öf-
fentliche Meinung gegen sie gestimmt ward. b. Die durch
Hülfe des Jansenismus sich bildende politische Gegen-
partie
, besonders durch den letzten Beichtvater Ludwig's
XIV., le Tellier, geweckt, am Hofe und in den Parla-
menten. c. Die noch furchtbarere Gegenpartie der Philoso-
phen und Litteratoren, die sie mit Spott angriffen. d. Die
Unzulänglichkeit und Verkehrtheit ihres Unterrichts im Ver-
hältniß gegen die Forderungen und Bedürfnisse des Zeital-
ters. e. Ihre laxe Moral (wie sehr sie auch selber auf den
Anstand hielten); und die Beschuldigung der Vertheidigung
des Königsmords; und Versuche, die man ihnen Schuld
gab. f. Die Vernachlässigung und der gänzliche Mangel al-
les wissenschaftlichen Glanzes, wodurch sie in diesem Zeit-
alter sich vielleicht allein hätten behaupten können. Freylich

konn-
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1. Staatshaͤndel in Europa c. 1763--1786.
erſten großen und auffallenden Beweis davon gab
die Geſellſchaft der Jeſuiten. Freylich gab
es eine Menge einzelner Urſachen, die ihren Fall
vorbereiteten; aber wie haͤtten dieſe ſo wirken koͤn-
nen, als ſie wirkten, waͤre nicht der Widerſpruch
zwiſchen ihrem Inſtitut, und dem herrſchenden Geiſt
des Zeitalters immer groͤßer geworden. Daher fan-
den ſie auch in dem Lande, wo dieſer ſich am mei-
ſten bildete, von jeher ihre heftigſten und hartnaͤk-
kigſten Widerſacher; und wenn ſie gleich aus Por-
tugal ſchon etwas fruͤher als aus Frankreich vertrie-
ben wurden, ſo haͤngt doch die Geſchichte ihres
Sinkens und ihres endlichen Falls im Ganzen offen-
bar an ihren Verhaͤltniſſen in dieſem letztern Lande.

Vorbereitende Urſachen des Falls der Jeſuiten: a. Der
mehr als 100jaͤhrige Streit mit den Janſeniſten, indem durch
die Lettres provinciales von Paſcal 1652 zuerſt die oͤf-
fentliche Meinung gegen ſie geſtimmt ward. b. Die durch
Huͤlfe des Janſeniſmus ſich bildende politiſche Gegen-
partie
, beſonders durch den letzten Beichtvater Ludwig's
XIV., le Tellier, geweckt, am Hofe und in den Parla-
menten. c. Die noch furchtbarere Gegenpartie der Philoſo-
phen und Litteratoren, die ſie mit Spott angriffen. d. Die
Unzulaͤnglichkeit und Verkehrtheit ihres Unterrichts im Ver-
haͤltniß gegen die Forderungen und Beduͤrfniſſe des Zeital-
ters. e. Ihre laxe Moral (wie ſehr ſie auch ſelber auf den
Anſtand hielten); und die Beſchuldigung der Vertheidigung
des Koͤnigsmords; und Verſuche, die man ihnen Schuld
gab. f. Die Vernachlaͤſſigung und der gaͤnzliche Mangel al-
les wiſſenſchaftlichen Glanzes, wodurch ſie in dieſem Zeit-
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[419/0457] 1. Staatshaͤndel in Europa c. 1763--1786. erſten großen und auffallenden Beweis davon gab die Geſellſchaft der Jeſuiten. Freylich gab es eine Menge einzelner Urſachen, die ihren Fall vorbereiteten; aber wie haͤtten dieſe ſo wirken koͤn- nen, als ſie wirkten, waͤre nicht der Widerſpruch zwiſchen ihrem Inſtitut, und dem herrſchenden Geiſt des Zeitalters immer groͤßer geworden. Daher fan- den ſie auch in dem Lande, wo dieſer ſich am mei- ſten bildete, von jeher ihre heftigſten und hartnaͤk- kigſten Widerſacher; und wenn ſie gleich aus Por- tugal ſchon etwas fruͤher als aus Frankreich vertrie- ben wurden, ſo haͤngt doch die Geſchichte ihres Sinkens und ihres endlichen Falls im Ganzen offen- bar an ihren Verhaͤltniſſen in dieſem letztern Lande. Vorbereitende Urſachen des Falls der Jeſuiten: a. Der mehr als 100jaͤhrige Streit mit den Janſeniſten, indem durch die Lettres provinciales von Paſcal 1652 zuerſt die oͤf- fentliche Meinung gegen ſie geſtimmt ward. b. Die durch Huͤlfe des Janſeniſmus ſich bildende politiſche Gegen- partie, beſonders durch den letzten Beichtvater Ludwig's XIV., le Tellier, geweckt, am Hofe und in den Parla- menten. c. Die noch furchtbarere Gegenpartie der Philoſo- phen und Litteratoren, die ſie mit Spott angriffen. d. Die Unzulaͤnglichkeit und Verkehrtheit ihres Unterrichts im Ver- haͤltniß gegen die Forderungen und Beduͤrfniſſe des Zeital- ters. e. Ihre laxe Moral (wie ſehr ſie auch ſelber auf den Anſtand hielten); und die Beſchuldigung der Vertheidigung des Koͤnigsmords; und Verſuche, die man ihnen Schuld gab. f. Die Vernachlaͤſſigung und der gaͤnzliche Mangel al- les wiſſenſchaftlichen Glanzes, wodurch ſie in dieſem Zeit- alter ſich vielleicht allein haͤtten behaupten koͤnnen. Freylich konn- D d 2

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Zitationshilfe: Heeren, Arnold H. L.: Geschichte des Europäischen Staatensystems und seiner Kolonien. Göttingen, 1809, S. 419. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heeren_staatensystem_1809/457>, abgerufen am 11.05.2024.