Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Heeren, Arnold H. L.: Geschichte des Europäischen Staatensystems und seiner Kolonien. Göttingen, 1809.

Bild:
<< vorherige Seite

Von 1700 bis 1740.
doch die von Peter nie über die Kräfte seines
Reichs.

1. Rußland. Seit 1689 unter der Herrschaft Pe-
ter's
I. (s. oben S. 268.) das größte der Reiche dem Um-
fange nach; von Archangel bis Azow (oben S. 274.), aber
noch abgeschnitten von der Ostsee. Zwar bewohnt von ei-
nem Barbarenvolke; aber dieß Barbarenvolk bildete Eine
Hauptnation
. Bereits angefangene Umformung im In-
nern; sowohl in Rücksicht der Verfassung, -- sie ward zur
völligsten Autocratie -- als der Sitten; denn die Nation
sollte europäisirt werden. Aber nur die höhere Classe
ward es zum Theil, weil der Herrscher selbst vorangieng;
Sprache und Religion blieben auch so binreichende Stützen
der Nationalität. Gänzliche Umformung des Militairs auf
Europäischen Fuß nach Abschaffung der Strelzi; Errich-
tung einer neuen Armee 1699. Einzelne Corps waren
schon früher gebildet.

2. Schweden. Regierungsantritt Carl's XII. als
15jährigen Jünglings 1697. Er erbte einen völlig geord-
neten Staat; damals den ersten des Nordens, mit vollem
Schatze und trefflicher Flotte und Armee; da Peter den
seinigen erst bilden mußte. Aber die politische Größe Schwe-
dens war an den Besitz der Nebenländer, fast rund um
die Ostsee herum, geknüpft; und eine Nation von noch
nicht 3 Millionen kann schwerlich dazu bestimmt seyn, die
Welt zu beherrschen, wenn sie sie auch vielleicht erobern
kann.

3. Polen seit 1696 unter der Herrschaft von August
II., Churfürsten von Sachsen. Aber mit der Wahl des
neuen Königs starb die alte Anarchie nicht: neue Entwürfe
erregten neues Mißtrauen; und neue Sitten, an dem üp-
pigen Hofe eingeführt, untergruben, indem sie die alte
Sarmatenkraft schwächten, selbst die letzte Stütze des Staats.
Daß keine Reform wie in Rußland hier werden konnte,
darüber wachte die Nation; auch war der neue König,

wenn
Y

Von 1700 bis 1740.
doch die von Peter nie uͤber die Kraͤfte ſeines
Reichs.

1. Rußland. Seit 1689 unter der Herrſchaft Pe-
ter's
I. (ſ. oben S. 268.) das groͤßte der Reiche dem Um-
fange nach; von Archangel bis Azow (oben S. 274.), aber
noch abgeſchnitten von der Oſtſee. Zwar bewohnt von ei-
nem Barbarenvolke; aber dieß Barbarenvolk bildete Eine
Hauptnation
. Bereits angefangene Umformung im In-
nern; ſowohl in Ruͤckſicht der Verfaſſung, — ſie ward zur
voͤlligſten Autocratie — als der Sitten; denn die Nation
ſollte europaͤiſirt werden. Aber nur die hoͤhere Claſſe
ward es zum Theil, weil der Herrſcher ſelbſt vorangieng;
Sprache und Religion blieben auch ſo binreichende Stuͤtzen
der Nationalitaͤt. Gaͤnzliche Umformung des Militairs auf
Europaͤiſchen Fuß nach Abſchaffung der Strelzi; Errich-
tung einer neuen Armee 1699. Einzelne Corps waren
ſchon fruͤher gebildet.

2. Schweden. Regierungsantritt Carl's XII. als
15jaͤhrigen Juͤnglings 1697. Er erbte einen voͤllig geord-
neten Staat; damals den erſten des Nordens, mit vollem
Schatze und trefflicher Flotte und Armee; da Peter den
ſeinigen erſt bilden mußte. Aber die politiſche Groͤße Schwe-
dens war an den Beſitz der Nebenlaͤnder, faſt rund um
die Oſtſee herum, geknuͤpft; und eine Nation von noch
nicht 3 Millionen kann ſchwerlich dazu beſtimmt ſeyn, die
Welt zu beherrſchen, wenn ſie ſie auch vielleicht erobern
kann.

3. Polen ſeit 1696 unter der Herrſchaft von Auguſt
II., Churfuͤrſten von Sachſen. Aber mit der Wahl des
neuen Koͤnigs ſtarb die alte Anarchie nicht: neue Entwuͤrfe
erregten neues Mißtrauen; und neue Sitten, an dem uͤp-
pigen Hofe eingefuͤhrt, untergruben, indem ſie die alte
Sarmatenkraft ſchwaͤchten, ſelbſt die letzte Stuͤtze des Staats.
Daß keine Reform wie in Rußland hier werden konnte,
daruͤber wachte die Nation; auch war der neue Koͤnig,

wenn
Y
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0375" n="337"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Von 1700 bis 1740.</hi></fw><lb/>
doch die von Peter nie u&#x0364;ber die Kra&#x0364;fte &#x017F;eines<lb/>
Reichs.</p><lb/>
              <p> <hi rendition="#et">1. <hi rendition="#g">Rußland</hi>. Seit 1689 unter der Herr&#x017F;chaft <hi rendition="#g">Pe-<lb/>
ter's</hi> <hi rendition="#aq">I.</hi> (&#x017F;. oben S. 268.) das gro&#x0364;ßte der Reiche dem Um-<lb/>
fange nach; von Archangel bis Azow (<hi rendition="#g">oben</hi> S. 274.), aber<lb/>
noch abge&#x017F;chnitten von der O&#x017F;t&#x017F;ee. Zwar bewohnt von ei-<lb/>
nem Barbarenvolke; aber dieß Barbarenvolk bildete <hi rendition="#g">Eine<lb/>
Hauptnation</hi>. Bereits angefangene Umformung im In-<lb/>
nern; &#x017F;owohl in Ru&#x0364;ck&#x017F;icht der Verfa&#x017F;&#x017F;ung, &#x2014; &#x017F;ie ward zur<lb/>
vo&#x0364;llig&#x017F;ten Autocratie &#x2014; als der Sitten; denn die Nation<lb/>
&#x017F;ollte <hi rendition="#g">europa&#x0364;i&#x017F;irt</hi> werden. Aber nur die ho&#x0364;here Cla&#x017F;&#x017F;e<lb/>
ward es zum Theil, weil der Herr&#x017F;cher &#x017F;elb&#x017F;t vorangieng;<lb/>
Sprache und Religion blieben auch &#x017F;o binreichende Stu&#x0364;tzen<lb/>
der Nationalita&#x0364;t. Ga&#x0364;nzliche Umformung des Militairs auf<lb/>
Europa&#x0364;i&#x017F;chen Fuß nach Ab&#x017F;chaffung der Strelzi; Errich-<lb/>
tung einer neuen <hi rendition="#g">Armee</hi> 1699. Einzelne Corps waren<lb/>
&#x017F;chon fru&#x0364;her gebildet.</hi> </p><lb/>
              <p> <hi rendition="#et">2. <hi rendition="#g">Schweden</hi>. Regierungsantritt <hi rendition="#g">Carl's</hi> <hi rendition="#aq">XII.</hi> als<lb/>
15ja&#x0364;hrigen Ju&#x0364;nglings 1697. Er erbte einen vo&#x0364;llig geord-<lb/>
neten Staat; damals den er&#x017F;ten des Nordens, mit vollem<lb/>
Schatze und trefflicher Flotte und Armee; da Peter den<lb/>
&#x017F;einigen er&#x017F;t bilden mußte. Aber die politi&#x017F;che Gro&#x0364;ße Schwe-<lb/>
dens war an den Be&#x017F;itz der Nebenla&#x0364;nder, fa&#x017F;t rund um<lb/>
die O&#x017F;t&#x017F;ee herum, geknu&#x0364;pft; und eine Nation von noch<lb/>
nicht 3 Millionen kann &#x017F;chwerlich dazu be&#x017F;timmt &#x017F;eyn, die<lb/>
Welt zu beherr&#x017F;chen, wenn &#x017F;ie &#x017F;ie auch vielleicht erobern<lb/>
kann.</hi> </p><lb/>
              <p> <hi rendition="#et">3. <hi rendition="#g">Polen</hi> &#x017F;eit 1696 unter der Herr&#x017F;chaft von <hi rendition="#g">Augu&#x017F;t</hi><lb/><hi rendition="#aq">II.</hi>, Churfu&#x0364;r&#x017F;ten von Sach&#x017F;en. Aber mit der Wahl des<lb/>
neuen Ko&#x0364;nigs &#x017F;tarb die alte Anarchie nicht: neue Entwu&#x0364;rfe<lb/>
erregten neues Mißtrauen; und neue Sitten, an dem u&#x0364;p-<lb/>
pigen Hofe eingefu&#x0364;hrt, untergruben, indem &#x017F;ie die alte<lb/>
Sarmatenkraft &#x017F;chwa&#x0364;chten, &#x017F;elb&#x017F;t die letzte Stu&#x0364;tze des Staats.<lb/>
Daß keine Reform wie in Rußland hier werden konnte,<lb/>
daru&#x0364;ber wachte die Nation; auch war der neue Ko&#x0364;nig,</hi><lb/>
                <fw place="bottom" type="sig">Y</fw>
                <fw place="bottom" type="catch">wenn</fw><lb/>
              </p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[337/0375] Von 1700 bis 1740. doch die von Peter nie uͤber die Kraͤfte ſeines Reichs. 1. Rußland. Seit 1689 unter der Herrſchaft Pe- ter's I. (ſ. oben S. 268.) das groͤßte der Reiche dem Um- fange nach; von Archangel bis Azow (oben S. 274.), aber noch abgeſchnitten von der Oſtſee. Zwar bewohnt von ei- nem Barbarenvolke; aber dieß Barbarenvolk bildete Eine Hauptnation. Bereits angefangene Umformung im In- nern; ſowohl in Ruͤckſicht der Verfaſſung, — ſie ward zur voͤlligſten Autocratie — als der Sitten; denn die Nation ſollte europaͤiſirt werden. Aber nur die hoͤhere Claſſe ward es zum Theil, weil der Herrſcher ſelbſt vorangieng; Sprache und Religion blieben auch ſo binreichende Stuͤtzen der Nationalitaͤt. Gaͤnzliche Umformung des Militairs auf Europaͤiſchen Fuß nach Abſchaffung der Strelzi; Errich- tung einer neuen Armee 1699. Einzelne Corps waren ſchon fruͤher gebildet. 2. Schweden. Regierungsantritt Carl's XII. als 15jaͤhrigen Juͤnglings 1697. Er erbte einen voͤllig geord- neten Staat; damals den erſten des Nordens, mit vollem Schatze und trefflicher Flotte und Armee; da Peter den ſeinigen erſt bilden mußte. Aber die politiſche Groͤße Schwe- dens war an den Beſitz der Nebenlaͤnder, faſt rund um die Oſtſee herum, geknuͤpft; und eine Nation von noch nicht 3 Millionen kann ſchwerlich dazu beſtimmt ſeyn, die Welt zu beherrſchen, wenn ſie ſie auch vielleicht erobern kann. 3. Polen ſeit 1696 unter der Herrſchaft von Auguſt II., Churfuͤrſten von Sachſen. Aber mit der Wahl des neuen Koͤnigs ſtarb die alte Anarchie nicht: neue Entwuͤrfe erregten neues Mißtrauen; und neue Sitten, an dem uͤp- pigen Hofe eingefuͤhrt, untergruben, indem ſie die alte Sarmatenkraft ſchwaͤchten, ſelbſt die letzte Stuͤtze des Staats. Daß keine Reform wie in Rußland hier werden konnte, daruͤber wachte die Nation; auch war der neue Koͤnig, wenn Y

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/heeren_staatensystem_1809
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/heeren_staatensystem_1809/375
Zitationshilfe: Heeren, Arnold H. L.: Geschichte des Europäischen Staatensystems und seiner Kolonien. Göttingen, 1809, S. 337. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heeren_staatensystem_1809/375>, abgerufen am 22.11.2024.