Ordnung, in welcher sie mit einander verbunden sind, vermittelst des Gesichts auffassen lerne. Zu einer deutlichen Unterscheidung der ein- zelnen Bestandtheile des Wortes gelangt jedoch der Taubstumme nur dadurch, daß er sie mittelst der Sprachwerkzeuge selbst nachbildet; die Uebungen im Absehen und Nachbilden der einzelnen Laute müssen daher stets mit einander verbunden werden. Sobald der Taub- stumme auch nur einige der leichtern Grundlaute nachbilden kann, werden diese Laute zu Wörtern von sinnlicher Bedeutung zusammengesetzt, und wenn dem Taubstummen mit dem vorgesprochenen, oder von ihm nachgebildeten Worte zugleich der dadurch bezeichnete Gegenstand vor- gezeigt wird, so gelangt er bald zu der Einsicht, daß die von ihm bedachten und nachgebildeten Bewegungen der Sprachwerkzeuge nur Zeichen für gewisse Vorstellungen sind, und das jedem Menschen ange- borne Verlangen, sich mitzutheilen, hilft ihm die Anstrengung über- winden, welche das Nachbilden der Sprachlaute ihm anfangs verursacht.
Gleichzeitig mit dem Unterricht im Sprechen fängt auch der Unter- richt im Lesen und Schreiben an. Für jeden Laut, den das taubstumme Kind nachbildet, werden ihm sogleich die in der Schrift und im Druck üblichen Zeichen, die letztern auf kleinen Tafeln von Holz oder Pappe, gegeben; jedes beim Unterricht geübte Wort wird bald von dem Schüler aus den einzelnen Buchstaben zusammengesetzt, bald von dem Lehrer an die Tafel geschrieben, und dann von allen an dem Unterrichte Theil nehmenden Kindern von der Tafel abgelesen, so daß Sprechen, Schreiben und Lesen nur Einen Unterrichtsgegen- stand bilden. Die Uebungen im Schönschreiben können bei dem taub- stummen Kinde in derselben Art, wie bei Vollsinnigen getrieben werden, weil bei dem natürlichen Nachahmungstriebe des Kindes das bloße Vorzeigen und Vormachen leicht die Stelle der mündlichen Belehrung ersetzt. Mehrentheils entwickelt sich bei dem taubstummen Kinde, welches früh auf Form und Gestalt der Dinge zu achten gewöhnt wird, auch eine Anlage zum Zeichnen, und es ist ungemein wichtig, diese Anlage früh zu entwickeln, was auf demselben Wege, wie bei vollsinnigen Kindern, geschehen kann. Ueberhaupt sind Uebungen im Schönschreiben und im Zeichnen ein sehr zweckmäßiges Mittel, taub- stumme Kinder, welche mit vollsinnigen zugleich unterrichtet werden, während der für sie nicht geeigneten Lectionen nützlich zu beschäftigen.
Der erste sachliche Unterricht taubstummer Kinder beschränkt sich,
Ordnung, in welcher ſie mit einander verbunden ſind, vermittelſt des Geſichts auffaſſen lerne. Zu einer deutlichen Unterſcheidung der ein- zelnen Beſtandtheile des Wortes gelangt jedoch der Taubſtumme nur dadurch, daß er ſie mittelſt der Sprachwerkzeuge ſelbſt nachbildet; die Uebungen im Abſehen und Nachbilden der einzelnen Laute müſſen daher ſtets mit einander verbunden werden. Sobald der Taub- ſtumme auch nur einige der leichtern Grundlaute nachbilden kann, werden dieſe Laute zu Wörtern von ſinnlicher Bedeutung zuſammengeſetzt, und wenn dem Taubſtummen mit dem vorgeſprochenen, oder von ihm nachgebildeten Worte zugleich der dadurch bezeichnete Gegenſtand vor- gezeigt wird, ſo gelangt er bald zu der Einſicht, daß die von ihm bedachten und nachgebildeten Bewegungen der Sprachwerkzeuge nur Zeichen für gewiſſe Vorſtellungen ſind, und das jedem Menſchen ange- borne Verlangen, ſich mitzutheilen, hilft ihm die Anſtrengung über- winden, welche das Nachbilden der Sprachlaute ihm anfangs verurſacht.
Gleichzeitig mit dem Unterricht im Sprechen fängt auch der Unter- richt im Leſen und Schreiben an. Für jeden Laut, den das taubſtumme Kind nachbildet, werden ihm ſogleich die in der Schrift und im Druck üblichen Zeichen, die letztern auf kleinen Tafeln von Holz oder Pappe, gegeben; jedes beim Unterricht geübte Wort wird bald von dem Schüler aus den einzelnen Buchſtaben zuſammengeſetzt, bald von dem Lehrer an die Tafel geſchrieben, und dann von allen an dem Unterrichte Theil nehmenden Kindern von der Tafel abgeleſen, ſo daß Sprechen, Schreiben und Leſen nur Einen Unterrichtsgegen- ſtand bilden. Die Uebungen im Schönſchreiben können bei dem taub- ſtummen Kinde in derſelben Art, wie bei Vollſinnigen getrieben werden, weil bei dem natürlichen Nachahmungstriebe des Kindes das bloße Vorzeigen und Vormachen leicht die Stelle der mündlichen Belehrung erſetzt. Mehrentheils entwickelt ſich bei dem taubſtummen Kinde, welches früh auf Form und Geſtalt der Dinge zu achten gewöhnt wird, auch eine Anlage zum Zeichnen, und es iſt ungemein wichtig, dieſe Anlage früh zu entwickeln, was auf demſelben Wege, wie bei vollſinnigen Kindern, geſchehen kann. Ueberhaupt ſind Uebungen im Schönſchreiben und im Zeichnen ein ſehr zweckmäßiges Mittel, taub- ſtumme Kinder, welche mit vollſinnigen zugleich unterrichtet werden, während der für ſie nicht geeigneten Lectionen nützlich zu beſchäftigen.
Der erſte ſachliche Unterricht taubſtummer Kinder beſchränkt ſich,
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Ordnung, in welcher ſie mit einander verbunden ſind, vermittelſt des
Geſichts auffaſſen lerne. Zu einer deutlichen Unterſcheidung der ein-
zelnen Beſtandtheile des Wortes gelangt jedoch der Taubſtumme nur
dadurch, daß er ſie mittelſt der Sprachwerkzeuge ſelbſt nachbildet;
die Uebungen im Abſehen und Nachbilden der einzelnen Laute
müſſen daher ſtets mit einander verbunden werden. Sobald der Taub-
ſtumme auch nur einige der leichtern Grundlaute nachbilden kann, werden
dieſe Laute zu Wörtern von ſinnlicher Bedeutung zuſammengeſetzt,
und wenn dem Taubſtummen mit dem vorgeſprochenen, oder von ihm
nachgebildeten Worte zugleich der dadurch bezeichnete Gegenſtand vor-
gezeigt wird, ſo gelangt er bald zu der Einſicht, daß die von ihm
bedachten und nachgebildeten Bewegungen der Sprachwerkzeuge nur
Zeichen für gewiſſe Vorſtellungen ſind, und das jedem Menſchen ange-
borne Verlangen, ſich mitzutheilen, hilft ihm die Anſtrengung über-
winden, welche das Nachbilden der Sprachlaute ihm anfangs verurſacht.
Gleichzeitig mit dem Unterricht im Sprechen fängt auch der Unter-
richt im Leſen und Schreiben an. Für jeden Laut, den das
taubſtumme Kind nachbildet, werden ihm ſogleich die in der Schrift
und im Druck üblichen Zeichen, die letztern auf kleinen Tafeln von
Holz oder Pappe, gegeben; jedes beim Unterricht geübte Wort wird
bald von dem Schüler aus den einzelnen Buchſtaben zuſammengeſetzt,
bald von dem Lehrer an die Tafel geſchrieben, und dann von allen
an dem Unterrichte Theil nehmenden Kindern von der Tafel abgeleſen,
ſo daß Sprechen, Schreiben und Leſen nur Einen Unterrichtsgegen-
ſtand bilden. Die Uebungen im Schönſchreiben können bei dem taub-
ſtummen Kinde in derſelben Art, wie bei Vollſinnigen getrieben werden,
weil bei dem natürlichen Nachahmungstriebe des Kindes das bloße
Vorzeigen und Vormachen leicht die Stelle der mündlichen Belehrung
erſetzt. Mehrentheils entwickelt ſich bei dem taubſtummen Kinde,
welches früh auf Form und Geſtalt der Dinge zu achten gewöhnt
wird, auch eine Anlage zum Zeichnen, und es iſt ungemein wichtig,
dieſe Anlage früh zu entwickeln, was auf demſelben Wege, wie bei
vollſinnigen Kindern, geſchehen kann. Ueberhaupt ſind Uebungen im
Schönſchreiben und im Zeichnen ein ſehr zweckmäßiges Mittel, taub-
ſtumme Kinder, welche mit vollſinnigen zugleich unterrichtet werden,
während der für ſie nicht geeigneten Lectionen nützlich zu beſchäftigen.
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Heckert, Adolph (Hrsg.): Handbuch der Schulgesetzgebung Preußens. Berlin, 1847, S. 347. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heckert_schulgesetzgebung_1847/361>, abgerufen am 24.11.2024.
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