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Heckert, Adolph (Hrsg.): Handbuch der Schulgesetzgebung Preußens. Berlin, 1847.

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wählt worden sind, die Schrift ist für ihn wenig mehr als eine Bilder-
sprache und er gewinnt nie eine lebendige Einsicht in den Bau der
Sprache, und entbehrt deshalb auch des Sprachgefühls, welches bei
dem Unterricht durch das gesprochene Wort die Fortschritte des Taub-
stummen sichert und fördert. Wenn dessen ungeachtet auch auf diesem
Wege mancher Taubstumme zu einem nicht unbedeutenden Grade der
Ausbildung gelangt ist, so ist dieser Erfolg weit mehr dem Eifer des
Lehrers und der gleichzeitig angewandten Belehrung durch Bilder und
Gebärde, als dem innern Werthe der Methode zuzuschreiben. Die
ausgezeichnetsten Kenner und Beförderer des Taubstummen-Unterrichts,
namentlich auch der Stifter der Berliner Taubstummen-Anstalt, Ober-
Schulrath Eschke, haben es immer als die eigentliche Aufgabe des
Taubstummen-Unterrichts angesehen, den Taubstummen in den Besitz
der Wortsprache und dadurch zugleich in den Besitz derjenigen
geistigen Bildung zu setzen, welche mit dem verständigen Gebrauch der
Sprache unzertrennlich verbunden ist; auch wird es immer mehr aner-
kannt, was am bestimmtesten in einer Schrift des Königl. Baierschen
Schulraths Graser:
Der durch Gesichts- und Tonsprache der Menschheit wieder-
gegebene Taubstumme. Zweite Auflage. Bayreuth 1834.

ausgeführt ist, daß die Wortsprache von den Taubstummen der Haupt-
sache nach auf dem nämlichen Wege erlernt werden muß, auf welchem
auch das hörende Kind in den Besitz der Sprache gelangt. Die Möglich-
keit aber, den Taubstummen in der Wortsprache zu unterrichten, ergiebt
sich leicht aus folgender Betrachtung.

Jedes Wort besteht aus einer mäßigen Anzahl einfacher Grund-
laute, welche in den meisten Sprachen übereinstimmen, und auf mannig-
fache, jedoch nicht regellose Weise mit einander verbunden werden;
die Hervorbringung jedes Grundlautes aber erfordert eine eigenthüm-
liche Thätigkeit der Sprachwerkzeuge, welche an bestimmten Bewegungen,
sowohl der Sprachwerkzeuge selbst, als der Gesichtsmuskeln sichtbar
wird. Das gesprochene Wort ist daher nicht bloß durch das Ohr,
sondern für den aufmerksamen Beobachter auch durch das Auge ver-
nehmbar, und man kann bei einiger Uebung sehr bald dahin gelangen,
das gesprochene Wort von dem Munde des Redenden abzusehen.

Die erste Aufgabe bei dem Taubstummen-Unterrichte ist daher,
daß der Taubstumme die einzelnen Bestandtheile des Wortes in der

wählt worden ſind, die Schrift iſt für ihn wenig mehr als eine Bilder-
ſprache und er gewinnt nie eine lebendige Einſicht in den Bau der
Sprache, und entbehrt deshalb auch des Sprachgefühls, welches bei
dem Unterricht durch das geſprochene Wort die Fortſchritte des Taub-
ſtummen ſichert und fördert. Wenn deſſen ungeachtet auch auf dieſem
Wege mancher Taubſtumme zu einem nicht unbedeutenden Grade der
Ausbildung gelangt iſt, ſo iſt dieſer Erfolg weit mehr dem Eifer des
Lehrers und der gleichzeitig angewandten Belehrung durch Bilder und
Gebärde, als dem innern Werthe der Methode zuzuſchreiben. Die
ausgezeichnetſten Kenner und Beförderer des Taubſtummen-Unterrichts,
namentlich auch der Stifter der Berliner Taubſtummen-Anſtalt, Ober-
Schulrath Eſchke, haben es immer als die eigentliche Aufgabe des
Taubſtummen-Unterrichts angeſehen, den Taubſtummen in den Beſitz
der Wortſprache und dadurch zugleich in den Beſitz derjenigen
geiſtigen Bildung zu ſetzen, welche mit dem verſtändigen Gebrauch der
Sprache unzertrennlich verbunden iſt; auch wird es immer mehr aner-
kannt, was am beſtimmteſten in einer Schrift des Königl. Baierſchen
Schulraths Graſer:
Der durch Geſichts- und Tonſprache der Menſchheit wieder-
gegebene Taubſtumme. Zweite Auflage. Bayreuth 1834.

ausgeführt iſt, daß die Wortſprache von den Taubſtummen der Haupt-
ſache nach auf dem nämlichen Wege erlernt werden muß, auf welchem
auch das hörende Kind in den Beſitz der Sprache gelangt. Die Möglich-
keit aber, den Taubſtummen in der Wortſprache zu unterrichten, ergiebt
ſich leicht aus folgender Betrachtung.

Jedes Wort beſteht aus einer mäßigen Anzahl einfacher Grund-
laute, welche in den meiſten Sprachen übereinſtimmen, und auf mannig-
fache, jedoch nicht regelloſe Weiſe mit einander verbunden werden;
die Hervorbringung jedes Grundlautes aber erfordert eine eigenthüm-
liche Thätigkeit der Sprachwerkzeuge, welche an beſtimmten Bewegungen,
ſowohl der Sprachwerkzeuge ſelbſt, als der Geſichtsmuskeln ſichtbar
wird. Das geſprochene Wort iſt daher nicht bloß durch das Ohr,
ſondern für den aufmerkſamen Beobachter auch durch das Auge ver-
nehmbar, und man kann bei einiger Uebung ſehr bald dahin gelangen,
das geſprochene Wort von dem Munde des Redenden abzuſehen.

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[346/0360] wählt worden ſind, die Schrift iſt für ihn wenig mehr als eine Bilder- ſprache und er gewinnt nie eine lebendige Einſicht in den Bau der Sprache, und entbehrt deshalb auch des Sprachgefühls, welches bei dem Unterricht durch das geſprochene Wort die Fortſchritte des Taub- ſtummen ſichert und fördert. Wenn deſſen ungeachtet auch auf dieſem Wege mancher Taubſtumme zu einem nicht unbedeutenden Grade der Ausbildung gelangt iſt, ſo iſt dieſer Erfolg weit mehr dem Eifer des Lehrers und der gleichzeitig angewandten Belehrung durch Bilder und Gebärde, als dem innern Werthe der Methode zuzuſchreiben. Die ausgezeichnetſten Kenner und Beförderer des Taubſtummen-Unterrichts, namentlich auch der Stifter der Berliner Taubſtummen-Anſtalt, Ober- Schulrath Eſchke, haben es immer als die eigentliche Aufgabe des Taubſtummen-Unterrichts angeſehen, den Taubſtummen in den Beſitz der Wortſprache und dadurch zugleich in den Beſitz derjenigen geiſtigen Bildung zu ſetzen, welche mit dem verſtändigen Gebrauch der Sprache unzertrennlich verbunden iſt; auch wird es immer mehr aner- kannt, was am beſtimmteſten in einer Schrift des Königl. Baierſchen Schulraths Graſer: Der durch Geſichts- und Tonſprache der Menſchheit wieder- gegebene Taubſtumme. Zweite Auflage. Bayreuth 1834. ausgeführt iſt, daß die Wortſprache von den Taubſtummen der Haupt- ſache nach auf dem nämlichen Wege erlernt werden muß, auf welchem auch das hörende Kind in den Beſitz der Sprache gelangt. Die Möglich- keit aber, den Taubſtummen in der Wortſprache zu unterrichten, ergiebt ſich leicht aus folgender Betrachtung. Jedes Wort beſteht aus einer mäßigen Anzahl einfacher Grund- laute, welche in den meiſten Sprachen übereinſtimmen, und auf mannig- fache, jedoch nicht regelloſe Weiſe mit einander verbunden werden; die Hervorbringung jedes Grundlautes aber erfordert eine eigenthüm- liche Thätigkeit der Sprachwerkzeuge, welche an beſtimmten Bewegungen, ſowohl der Sprachwerkzeuge ſelbſt, als der Geſichtsmuskeln ſichtbar wird. Das geſprochene Wort iſt daher nicht bloß durch das Ohr, ſondern für den aufmerkſamen Beobachter auch durch das Auge ver- nehmbar, und man kann bei einiger Uebung ſehr bald dahin gelangen, das geſprochene Wort von dem Munde des Redenden abzuſehen. Die erſte Aufgabe bei dem Taubſtummen-Unterrichte iſt daher, daß der Taubſtumme die einzelnen Beſtandtheile des Wortes in der

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Zitationshilfe: Heckert, Adolph (Hrsg.): Handbuch der Schulgesetzgebung Preußens. Berlin, 1847, S. 346. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heckert_schulgesetzgebung_1847/360>, abgerufen am 23.11.2024.