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Heckert, Adolph (Hrsg.): Handbuch der Schulgesetzgebung Preußens. Berlin, 1847.

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von W. Thilo, Director des Schullehrer-Seminars zu Erfurt.
Erfurt, bei Hilsenberg, 1842. Preis 121/2 Sgr.

aufmerksam. Es ist nicht wohlgethan, den Kindern das Auswendig-
lernen eines ganzen Kirchenliedes bloß als Schularbeit oder häusliche
Beschäftigung aufzugeben; der Zweck wird leichter und vollständiger
erreicht, wenn das Lied, das zunächst auswendig gelernt werden soll,
während der ganzen zum Auswendiglernen gegebenen Zeit, täglich beim
Anfange der Lectionen unmittelbar nach dem Morgengebet mit rechtem
Ausdrucke gelesen und immer als ein Theil der Morgenandacht be-
handelt wird.

Es bedarf keiner weitläuftigen Auseinandersetzung, daß diese Be-
handlung des Kirchenliedes für den höhern Zweck des Sprachunterrichts,
Erweckung des geistigen Lebens und einer tüchtigen Gesinnung, von
vorzüglicher Wirksamkeit sein wird, wenn auch der unmittelbare Ge-
winn für Sprachbildung im engern Sinne nicht immer sogleich nach-
zuweisen sein möchte.

VI. Die Uebungen, von welchen bisher die Rede gewesen ist,
können auf fruchtbare Weise angestellt werden, ohne irgendwie auf
grammatische Erörterungen einzugehen, und wir halten diese, insofern
sie den Schüler anleiten sollen, über sein eigenes Reden und Denken
zu reflectiren, nicht bloß für entbehrlich, sondern geradezu für nach-
theilig; am wenigsten aber möchte Sprachfertigkeit und Sprachreichthum
dadurch befördert, vielmehr nur das natürliche Sprachgefühl in seiner
Entwickelung gehemmt werden. Die Grammatik, welche auch in der
Volksschule mit Erfolg zu lehren ist, kann nie den Zweck haben, den
Kindern die Sprachgesetze aus den Denkgesetzen zu entwickeln: sie kann
nur eine geordnete Uebersicht und eine bestimmte Bezeichnung derjenigen
Spracherscheinungen sein, welche der Schüler bei der Erklärung des
Gelesenen, also an bestimmten Beispielen, kennen gelernt hat. Wir
haben daher bereits in der Verfügung vom 31. Julius 1838. bestimmt
ausgesprochen, daß der grammatische Unterricht in der Muttersprache
sich an das Gelesene anschließen müsse und zunächst nur den Zweck
haben könne, das genaue Verständniß des Gelesenen zu befördern.

Hierbei ist das Bedenken erhoben worden, daß der grammatische
Unterricht, der sich an das Lesen anschließt, eines innern Zusammen-
hanges und einer festen Ordnung entbehren werde. Dies ist indeß
bei richtiger Behandlung des Gegenstandes nicht zu befürchten.

von W. Thilo, Director des Schullehrer-Seminars zu Erfurt.
Erfurt, bei Hilſenberg, 1842. Preis 12½ Sgr.

aufmerkſam. Es iſt nicht wohlgethan, den Kindern das Auswendig-
lernen eines ganzen Kirchenliedes bloß als Schularbeit oder häusliche
Beſchäftigung aufzugeben; der Zweck wird leichter und vollſtändiger
erreicht, wenn das Lied, das zunächſt auswendig gelernt werden ſoll,
während der ganzen zum Auswendiglernen gegebenen Zeit, täglich beim
Anfange der Lectionen unmittelbar nach dem Morgengebet mit rechtem
Ausdrucke geleſen und immer als ein Theil der Morgenandacht be-
handelt wird.

Es bedarf keiner weitläuftigen Auseinanderſetzung, daß dieſe Be-
handlung des Kirchenliedes für den höhern Zweck des Sprachunterrichts,
Erweckung des geiſtigen Lebens und einer tüchtigen Geſinnung, von
vorzüglicher Wirkſamkeit ſein wird, wenn auch der unmittelbare Ge-
winn für Sprachbildung im engern Sinne nicht immer ſogleich nach-
zuweiſen ſein möchte.

VI. Die Uebungen, von welchen bisher die Rede geweſen iſt,
können auf fruchtbare Weiſe angeſtellt werden, ohne irgendwie auf
grammatiſche Erörterungen einzugehen, und wir halten dieſe, inſofern
ſie den Schüler anleiten ſollen, über ſein eigenes Reden und Denken
zu reflectiren, nicht bloß für entbehrlich, ſondern geradezu für nach-
theilig; am wenigſten aber möchte Sprachfertigkeit und Sprachreichthum
dadurch befördert, vielmehr nur das natürliche Sprachgefühl in ſeiner
Entwickelung gehemmt werden. Die Grammatik, welche auch in der
Volksſchule mit Erfolg zu lehren iſt, kann nie den Zweck haben, den
Kindern die Sprachgeſetze aus den Denkgeſetzen zu entwickeln: ſie kann
nur eine geordnete Ueberſicht und eine beſtimmte Bezeichnung derjenigen
Spracherſcheinungen ſein, welche der Schüler bei der Erklärung des
Geleſenen, alſo an beſtimmten Beiſpielen, kennen gelernt hat. Wir
haben daher bereits in der Verfügung vom 31. Julius 1838. beſtimmt
ausgeſprochen, daß der grammatiſche Unterricht in der Mutterſprache
ſich an das Geleſene anſchließen müſſe und zunächſt nur den Zweck
haben könne, das genaue Verſtändniß des Geleſenen zu befördern.

Hierbei iſt das Bedenken erhoben worden, daß der grammatiſche
Unterricht, der ſich an das Leſen anſchließt, eines innern Zuſammen-
hanges und einer feſten Ordnung entbehren werde. Dies iſt indeß
bei richtiger Behandlung des Gegenſtandes nicht zu befürchten.

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[181/0195] von W. Thilo, Director des Schullehrer-Seminars zu Erfurt. Erfurt, bei Hilſenberg, 1842. Preis 12½ Sgr. aufmerkſam. Es iſt nicht wohlgethan, den Kindern das Auswendig- lernen eines ganzen Kirchenliedes bloß als Schularbeit oder häusliche Beſchäftigung aufzugeben; der Zweck wird leichter und vollſtändiger erreicht, wenn das Lied, das zunächſt auswendig gelernt werden ſoll, während der ganzen zum Auswendiglernen gegebenen Zeit, täglich beim Anfange der Lectionen unmittelbar nach dem Morgengebet mit rechtem Ausdrucke geleſen und immer als ein Theil der Morgenandacht be- handelt wird. Es bedarf keiner weitläuftigen Auseinanderſetzung, daß dieſe Be- handlung des Kirchenliedes für den höhern Zweck des Sprachunterrichts, Erweckung des geiſtigen Lebens und einer tüchtigen Geſinnung, von vorzüglicher Wirkſamkeit ſein wird, wenn auch der unmittelbare Ge- winn für Sprachbildung im engern Sinne nicht immer ſogleich nach- zuweiſen ſein möchte. VI. Die Uebungen, von welchen bisher die Rede geweſen iſt, können auf fruchtbare Weiſe angeſtellt werden, ohne irgendwie auf grammatiſche Erörterungen einzugehen, und wir halten dieſe, inſofern ſie den Schüler anleiten ſollen, über ſein eigenes Reden und Denken zu reflectiren, nicht bloß für entbehrlich, ſondern geradezu für nach- theilig; am wenigſten aber möchte Sprachfertigkeit und Sprachreichthum dadurch befördert, vielmehr nur das natürliche Sprachgefühl in ſeiner Entwickelung gehemmt werden. Die Grammatik, welche auch in der Volksſchule mit Erfolg zu lehren iſt, kann nie den Zweck haben, den Kindern die Sprachgeſetze aus den Denkgeſetzen zu entwickeln: ſie kann nur eine geordnete Ueberſicht und eine beſtimmte Bezeichnung derjenigen Spracherſcheinungen ſein, welche der Schüler bei der Erklärung des Geleſenen, alſo an beſtimmten Beiſpielen, kennen gelernt hat. Wir haben daher bereits in der Verfügung vom 31. Julius 1838. beſtimmt ausgeſprochen, daß der grammatiſche Unterricht in der Mutterſprache ſich an das Geleſene anſchließen müſſe und zunächſt nur den Zweck haben könne, das genaue Verſtändniß des Geleſenen zu befördern. Hierbei iſt das Bedenken erhoben worden, daß der grammatiſche Unterricht, der ſich an das Leſen anſchließt, eines innern Zuſammen- hanges und einer feſten Ordnung entbehren werde. Dies iſt indeß bei richtiger Behandlung des Gegenſtandes nicht zu befürchten.

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Zitationshilfe: Heckert, Adolph (Hrsg.): Handbuch der Schulgesetzgebung Preußens. Berlin, 1847, S. 181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heckert_schulgesetzgebung_1847/195>, abgerufen am 06.05.2024.