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Hebbel, Friedrich: Maria Magdalene. Hamburg, 1844.

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Meister Anton.
Möglich, ich brauche meine Frau nur zu fragen,
dann hör' ich ganz gewiß, daß er krank ist. Denn
über Alles in der Welt sagt sie mir die Wahrheit,
nur nicht über den Jungen. Und wenn auch nicht
krank -- auch das hat die junge Welt vor uns Alten
voraus, daß sie allenthalben ihre Erbauung findet, daß
sie bei'm Vogelfangen, bei'm Spatzierengehen, ja im
Wirthshaus ihre Andacht halten kann. "Vater unser,
der Du bist im Himmel!" -- Guten Tag, Peter,
sieht man Dich bei'm Abendtanz? -- "Geheiliget
werde Dein Name!" -- Ja, lach' nur, Kathrine, es
findet sich! -- "Dein Wille geschehe!" -- Hol' mich
der Teufel, ich bin noch nicht rasirt! -- Und so zu
Ende, und den Segen giebt man sich selbst, denn man
ist ja ein Mensch, so gut, wie der Prediger, und die
Kraft, die vom schwarzen Rock ausgeht, steckt gewiß
auch im blauen. Ich habe auch Nichts dagegen, und
wollt Ihr sogar zwischen die sieben Bitten sieben
Gläser einschalten, was thut's, ich kann's Keinem
beweisen, daß Bier und Religion sich nicht mit ein-
ander vertragen, und vielleicht kommt's noch einmal
Meiſter Anton.
Möglich, ich brauche meine Frau nur zu fragen,
dann hör’ ich ganz gewiß, daß er krank iſt. Denn
über Alles in der Welt ſagt ſie mir die Wahrheit,
nur nicht über den Jungen. Und wenn auch nicht
krank — auch das hat die junge Welt vor uns Alten
voraus, daß ſie allenthalben ihre Erbauung findet, daß
ſie bei’m Vogelfangen, bei’m Spatzierengehen, ja im
Wirthshaus ihre Andacht halten kann. „Vater unſer,
der Du biſt im Himmel!“ — Guten Tag, Peter,
ſieht man Dich bei’m Abendtanz? — „Geheiliget
werde Dein Name!“ — Ja, lach’ nur, Kathrine, es
findet ſich! — „Dein Wille geſchehe!“ — Hol’ mich
der Teufel, ich bin noch nicht raſirt! — Und ſo zu
Ende, und den Segen giebt man ſich ſelbſt, denn man
iſt ja ein Menſch, ſo gut, wie der Prediger, und die
Kraft, die vom ſchwarzen Rock ausgeht, ſteckt gewiß
auch im blauen. Ich habe auch Nichts dagegen, und
wollt Ihr ſogar zwiſchen die ſieben Bitten ſieben
Gläſer einſchalten, was thut’s, ich kann’s Keinem
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ander vertragen, und vielleicht kommt’s noch einmal
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[31/0099] Meiſter Anton. Möglich, ich brauche meine Frau nur zu fragen, dann hör’ ich ganz gewiß, daß er krank iſt. Denn über Alles in der Welt ſagt ſie mir die Wahrheit, nur nicht über den Jungen. Und wenn auch nicht krank — auch das hat die junge Welt vor uns Alten voraus, daß ſie allenthalben ihre Erbauung findet, daß ſie bei’m Vogelfangen, bei’m Spatzierengehen, ja im Wirthshaus ihre Andacht halten kann. „Vater unſer, der Du biſt im Himmel!“ — Guten Tag, Peter, ſieht man Dich bei’m Abendtanz? — „Geheiliget werde Dein Name!“ — Ja, lach’ nur, Kathrine, es findet ſich! — „Dein Wille geſchehe!“ — Hol’ mich der Teufel, ich bin noch nicht raſirt! — Und ſo zu Ende, und den Segen giebt man ſich ſelbſt, denn man iſt ja ein Menſch, ſo gut, wie der Prediger, und die Kraft, die vom ſchwarzen Rock ausgeht, ſteckt gewiß auch im blauen. Ich habe auch Nichts dagegen, und wollt Ihr ſogar zwiſchen die ſieben Bitten ſieben Gläſer einſchalten, was thut’s, ich kann’s Keinem beweiſen, daß Bier und Religion ſich nicht mit ein- ander vertragen, und vielleicht kommt’s noch einmal

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Zitationshilfe: Hebbel, Friedrich: Maria Magdalene. Hamburg, 1844, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hebbel_magdalene_1844/99>, abgerufen am 13.06.2024.