Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hebbel, Friedrich: Maria Magdalene. Hamburg, 1844.

Bild:
<< vorherige Seite

Aeußerlichkeiten, z. B. aus dem Mangel an
Geld bei Ueberfluß an Hunger, vor Allem aber aus
dem Zusammenstoßen des dritten Standes mit dem
zweiten und ersten in Liebes-Affairen, zusammen
geflickt hat. Daraus geht nun unläugbar viel
Trauriges, aber nichts Tragisches, hervor, denn
das Tragische muß als ein von vorn herein mit
Nothwendigkeit Bedingtes, als ein, wie der Tod,
mit dem Leben selbst Gesetztes und gar nicht zu
Umgehendes, auftreten; sobald man sich mit einem:
Hätte er (dreizig Thaler gehabt, dem die gerührte
Sentimentalität wohl gar noch ein: wäre er doch
zu mir gekommen, ich wohne ja Nr. 32, hinzu-
fügt) oder einem: Wäre sie (ein Fräulein
gewesen u. s. w.) helfen kann, wird der Ein-
druck, der erschüttern soll, trivial, und die Wir-
kung, wenn sie nicht ganz verpufft, besteht darin,
daß die Zuschauer am nächsten Tag mit größerer
Bereitwilligkeit, wie sonst, ihre Armensteuer bezah-
len oder ihre Töchter nachsichtiger behandeln, dafür
haben sich aber die resp. Armen-Vorsteher und Töch-
ter zu bedanken, nicht die dramatische Kunst. Dann
auch dadurch, daß unsere Poeten, wenn sie sich ein-

Aeußerlichkeiten, z. B. aus dem Mangel an
Geld bei Ueberfluß an Hunger, vor Allem aber aus
dem Zuſammenſtoßen des dritten Standes mit dem
zweiten und erſten in Liebes-Affairen, zuſammen
geflickt hat. Daraus geht nun unläugbar viel
Trauriges, aber nichts Tragiſches, hervor, denn
das Tragiſche muß als ein von vorn herein mit
Nothwendigkeit Bedingtes, als ein, wie der Tod,
mit dem Leben ſelbſt Geſetztes und gar nicht zu
Umgehendes, auftreten; ſobald man ſich mit einem:
Hätte er (dreizig Thaler gehabt, dem die gerührte
Sentimentalität wohl gar noch ein: wäre er doch
zu mir gekommen, ich wohne ja Nr. 32, hinzu-
fügt) oder einem: Wäre ſie (ein Fräulein
geweſen u. ſ. w.) helfen kann, wird der Ein-
druck, der erſchüttern ſoll, trivial, und die Wir-
kung, wenn ſie nicht ganz verpufft, beſteht darin,
daß die Zuſchauer am nächſten Tag mit größerer
Bereitwilligkeit, wie ſonſt, ihre Armenſteuer bezah-
len oder ihre Töchter nachſichtiger behandeln, dafür
haben ſich aber die resp. Armen-Vorſteher und Töch-
ter zu bedanken, nicht die dramatiſche Kunſt. Dann
auch dadurch, daß unſere Poeten, wenn ſie ſich ein-

<TEI>
  <text>
    <front>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0062" n="XLII"/><hi rendition="#g">Aeußerlichkeiten</hi>, z. B. aus dem Mangel an<lb/>
Geld bei Ueberfluß an Hunger, vor Allem aber aus<lb/>
dem Zu&#x017F;ammen&#x017F;toßen des dritten Standes mit dem<lb/>
zweiten und er&#x017F;ten in Liebes-Affairen, zu&#x017F;ammen<lb/>
geflickt hat. Daraus geht nun unläugbar viel<lb/>
Trauriges, aber nichts Tragi&#x017F;ches, hervor, denn<lb/>
das Tragi&#x017F;che muß als ein von vorn herein mit<lb/>
Nothwendigkeit Bedingtes, als ein, wie der Tod,<lb/>
mit dem Leben &#x017F;elb&#x017F;t Ge&#x017F;etztes und gar nicht zu<lb/>
Umgehendes, auftreten; &#x017F;obald man &#x017F;ich mit einem:<lb/><hi rendition="#g">Hätte</hi> er (dreizig Thaler gehabt, dem die gerührte<lb/>
Sentimentalität wohl gar noch ein: wäre er doch<lb/>
zu mir gekommen, ich wohne ja Nr. 32, hinzu-<lb/>
fügt) oder einem: <hi rendition="#g">Wäre &#x017F;ie</hi> (ein Fräulein<lb/>
gewe&#x017F;en u. &#x017F;. w.) helfen kann, wird der Ein-<lb/>
druck, der er&#x017F;chüttern &#x017F;oll, trivial, und die Wir-<lb/>
kung, wenn &#x017F;ie nicht ganz verpufft, be&#x017F;teht darin,<lb/>
daß die Zu&#x017F;chauer am näch&#x017F;ten Tag mit größerer<lb/>
Bereitwilligkeit, wie &#x017F;on&#x017F;t, ihre Armen&#x017F;teuer bezah-<lb/>
len oder ihre Töchter nach&#x017F;ichtiger behandeln, dafür<lb/>
haben &#x017F;ich aber die <hi rendition="#aq">resp.</hi> Armen-Vor&#x017F;teher und Töch-<lb/>
ter zu bedanken, nicht die dramati&#x017F;che Kun&#x017F;t. Dann<lb/>
auch dadurch, daß un&#x017F;ere Poeten, wenn &#x017F;ie &#x017F;ich ein-<lb/></p>
      </div>
    </front>
  </text>
</TEI>
[XLII/0062] Aeußerlichkeiten, z. B. aus dem Mangel an Geld bei Ueberfluß an Hunger, vor Allem aber aus dem Zuſammenſtoßen des dritten Standes mit dem zweiten und erſten in Liebes-Affairen, zuſammen geflickt hat. Daraus geht nun unläugbar viel Trauriges, aber nichts Tragiſches, hervor, denn das Tragiſche muß als ein von vorn herein mit Nothwendigkeit Bedingtes, als ein, wie der Tod, mit dem Leben ſelbſt Geſetztes und gar nicht zu Umgehendes, auftreten; ſobald man ſich mit einem: Hätte er (dreizig Thaler gehabt, dem die gerührte Sentimentalität wohl gar noch ein: wäre er doch zu mir gekommen, ich wohne ja Nr. 32, hinzu- fügt) oder einem: Wäre ſie (ein Fräulein geweſen u. ſ. w.) helfen kann, wird der Ein- druck, der erſchüttern ſoll, trivial, und die Wir- kung, wenn ſie nicht ganz verpufft, beſteht darin, daß die Zuſchauer am nächſten Tag mit größerer Bereitwilligkeit, wie ſonſt, ihre Armenſteuer bezah- len oder ihre Töchter nachſichtiger behandeln, dafür haben ſich aber die resp. Armen-Vorſteher und Töch- ter zu bedanken, nicht die dramatiſche Kunſt. Dann auch dadurch, daß unſere Poeten, wenn ſie ſich ein-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hebbel_magdalene_1844
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hebbel_magdalene_1844/62
Zitationshilfe: Hebbel, Friedrich: Maria Magdalene. Hamburg, 1844, S. XLII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hebbel_magdalene_1844/62>, abgerufen am 22.11.2024.