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Hebbel, Friedrich: Maria Magdalene. Hamburg, 1844.

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hinzu, daß man hier nicht an ein allegorisches Her-
ausputzen der Idee, überhaupt nicht an die philoso-
phische, sondern an die unmittelbar in's Leben selbst
verlegte Dialectik denken muß, und daß, wenn
in einem Proceß, worin, wie in jedem schöpferischen,
alle Elemente sich mit gleicher Nothwendigkeit bedin-
gen und voraussetzen, überall von einem Vor und
Nach die Rede seyn kann, der Dichter (wer sich für
einen hält, möge sich darnach prüfen!) sich jedenfalls
eher der Gestalten bewußt werden wird, als der
Idee, oder vielmehr des Verhältnisses der Gestal-
ten zur Idee. Doch, wie gesagt, die ganze An-
schauungsweise ist eine unzulässige, die aber noch
sehr verbreitet zu seyn scheint, da, was aus ihr
allein hervorgehen kann, selbst einsichtige Männer
nicht aufhören, mit dem Dichter über die Wahl sei-
ner Stoffe, wie sie es nennen, zu hadern, und da-
durch zeigen, daß sie sich das Schaffen, dessen erstes
Stadium, das empfangende, doch tief unter dem
Bewußtseyn liegt und zuweilen in die dunkelste
Ferne der Kindheit zurückfällt, immer als ein, wenn
auch veredeltes, Machen vorstellen, und daß sie in
das geistige Gebären eine Willkür verlegen, die sie

hinzu, daß man hier nicht an ein allegoriſches Her-
ausputzen der Idee, überhaupt nicht an die philoſo-
phiſche, ſondern an die unmittelbar in’s Leben ſelbſt
verlegte Dialectik denken muß, und daß, wenn
in einem Proceß, worin, wie in jedem ſchöpferiſchen,
alle Elemente ſich mit gleicher Nothwendigkeit bedin-
gen und vorausſetzen, überall von einem Vor und
Nach die Rede ſeyn kann, der Dichter (wer ſich für
einen hält, möge ſich darnach prüfen!) ſich jedenfalls
eher der Geſtalten bewußt werden wird, als der
Idee, oder vielmehr des Verhältniſſes der Geſtal-
ten zur Idee. Doch, wie geſagt, die ganze An-
ſchauungsweiſe iſt eine unzuläſſige, die aber noch
ſehr verbreitet zu ſeyn ſcheint, da, was aus ihr
allein hervorgehen kann, ſelbſt einſichtige Männer
nicht aufhören, mit dem Dichter über die Wahl ſei-
ner Stoffe, wie ſie es nennen, zu hadern, und da-
durch zeigen, daß ſie ſich das Schaffen, deſſen erſtes
Stadium, das empfangende, doch tief unter dem
Bewußtſeyn liegt und zuweilen in die dunkelſte
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auch veredeltes, Machen vorſtellen, und daß ſie in
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[XIV/0034] hinzu, daß man hier nicht an ein allegoriſches Her- ausputzen der Idee, überhaupt nicht an die philoſo- phiſche, ſondern an die unmittelbar in’s Leben ſelbſt verlegte Dialectik denken muß, und daß, wenn in einem Proceß, worin, wie in jedem ſchöpferiſchen, alle Elemente ſich mit gleicher Nothwendigkeit bedin- gen und vorausſetzen, überall von einem Vor und Nach die Rede ſeyn kann, der Dichter (wer ſich für einen hält, möge ſich darnach prüfen!) ſich jedenfalls eher der Geſtalten bewußt werden wird, als der Idee, oder vielmehr des Verhältniſſes der Geſtal- ten zur Idee. Doch, wie geſagt, die ganze An- ſchauungsweiſe iſt eine unzuläſſige, die aber noch ſehr verbreitet zu ſeyn ſcheint, da, was aus ihr allein hervorgehen kann, ſelbſt einſichtige Männer nicht aufhören, mit dem Dichter über die Wahl ſei- ner Stoffe, wie ſie es nennen, zu hadern, und da- durch zeigen, daß ſie ſich das Schaffen, deſſen erſtes Stadium, das empfangende, doch tief unter dem Bewußtſeyn liegt und zuweilen in die dunkelſte Ferne der Kindheit zurückfällt, immer als ein, wenn auch veredeltes, Machen vorſtellen, und daß ſie in das geiſtige Gebären eine Willkür verlegen, die ſie

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Zitationshilfe: Hebbel, Friedrich: Maria Magdalene. Hamburg, 1844, S. XIV. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hebbel_magdalene_1844/34>, abgerufen am 19.04.2024.