Hebbel, Friedrich: Maria Magdalene. Hamburg, 1844.
entsetzte mich, doch ich hielt an mich, um sie nicht zu stören, sie verließ das Zimmer, ich schlich ihr auf den Zehen nach. Sie stieg zum obersten Boden hin- auf und warf die Goldrolle in eine alte Kiste hinein, die noch vom Großvater her leer da steht, dann sah sie sich scheu nach allen Seiten um und eilte, ohne mich zu bemerken, wieder fort. Ich zündete einen Wachsstock an und durchsuchte die Kiste, da fand ich die Spielpuppe meiner jüngsten Tochter, ein Paar Pantoffeln der Magd, ein Handlungsbuch, Briefe und leider, oder Gott Lob, wie soll ich sagen, ganz unten auch die Juwelen! Klara. O meine arme Mutter! Es ist doch zu schändlich! Wolfram. Gott weiß, ich würde den Schmuck darum geben, könnt' ich ungeschehen machen, was geschehen ist! Aber nicht ich bin Schuld! Daß mein Verdacht, bei aller Achtung vor Ihrem Vater, auf Ihren Bruder fiel, war natürlich, er hatte den Secretair polirt, und mit ihm waren die Juwelen verschwunden, ich bemerkte es fast augenblicklich, denn ich mußte aus
entſetzte mich, doch ich hielt an mich, um ſie nicht zu ſtören, ſie verließ das Zimmer, ich ſchlich ihr auf den Zehen nach. Sie ſtieg zum oberſten Boden hin- auf und warf die Goldrolle in eine alte Kiſte hinein, die noch vom Großvater her leer da ſteht, dann ſah ſie ſich ſcheu nach allen Seiten um und eilte, ohne mich zu bemerken, wieder fort. Ich zündete einen Wachsſtock an und durchſuchte die Kiſte, da fand ich die Spielpuppe meiner jüngſten Tochter, ein Paar Pantoffeln der Magd, ein Handlungsbuch, Briefe und leider, oder Gott Lob, wie ſoll ich ſagen, ganz unten auch die Juwelen! Klara. O meine arme Mutter! Es iſt doch zu ſchändlich! Wolfram. Gott weiß, ich würde den Schmuck darum geben, könnt’ ich ungeſchehen machen, was geſchehen iſt! Aber nicht ich bin Schuld! Daß mein Verdacht, bei aller Achtung vor Ihrem Vater, auf Ihren Bruder fiel, war natürlich, er hatte den Secretair polirt, und mit ihm waren die Juwelen verſchwunden, ich bemerkte es faſt augenblicklich, denn ich mußte aus <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <sp who="#WOLF"> <p><pb facs="#f0140" n="72"/> entſetzte mich, doch ich hielt an mich, um ſie nicht<lb/> zu ſtören, ſie verließ das Zimmer, ich ſchlich ihr auf<lb/> den Zehen nach. Sie ſtieg zum oberſten Boden hin-<lb/> auf und warf die Goldrolle in eine alte Kiſte hinein,<lb/> die noch vom Großvater her leer da ſteht, dann ſah ſie<lb/> ſich ſcheu nach allen Seiten um und eilte, ohne<lb/> mich zu bemerken, wieder fort. Ich zündete einen<lb/> Wachsſtock an und durchſuchte die Kiſte, da fand ich<lb/> die Spielpuppe meiner jüngſten Tochter, ein Paar<lb/> Pantoffeln der Magd, ein Handlungsbuch, Briefe<lb/> und leider, oder Gott Lob, wie ſoll ich ſagen, ganz<lb/> unten auch die Juwelen!</p> </sp><lb/> <sp who="#KLARA"> <speaker><hi rendition="#g">Klara</hi>.</speaker><lb/> <p>O meine arme Mutter! Es iſt doch zu ſchändlich!</p> </sp><lb/> <sp who="#WOLF"> <speaker><hi rendition="#g">Wolfram</hi>.</speaker><lb/> <p>Gott weiß, ich würde den Schmuck darum geben,<lb/> könnt’ ich ungeſchehen machen, was geſchehen iſt!<lb/> Aber nicht ich bin Schuld! Daß mein Verdacht, bei<lb/> aller Achtung vor Ihrem Vater, auf Ihren Bruder<lb/> fiel, war natürlich, er hatte den Secretair polirt,<lb/> und mit ihm waren die Juwelen verſchwunden, ich<lb/> bemerkte es faſt augenblicklich, denn ich mußte aus<lb/></p> </sp> </div> </div> </body> </text> </TEI> [72/0140]
entſetzte mich, doch ich hielt an mich, um ſie nicht
zu ſtören, ſie verließ das Zimmer, ich ſchlich ihr auf
den Zehen nach. Sie ſtieg zum oberſten Boden hin-
auf und warf die Goldrolle in eine alte Kiſte hinein,
die noch vom Großvater her leer da ſteht, dann ſah ſie
ſich ſcheu nach allen Seiten um und eilte, ohne
mich zu bemerken, wieder fort. Ich zündete einen
Wachsſtock an und durchſuchte die Kiſte, da fand ich
die Spielpuppe meiner jüngſten Tochter, ein Paar
Pantoffeln der Magd, ein Handlungsbuch, Briefe
und leider, oder Gott Lob, wie ſoll ich ſagen, ganz
unten auch die Juwelen!
Klara.
O meine arme Mutter! Es iſt doch zu ſchändlich!
Wolfram.
Gott weiß, ich würde den Schmuck darum geben,
könnt’ ich ungeſchehen machen, was geſchehen iſt!
Aber nicht ich bin Schuld! Daß mein Verdacht, bei
aller Achtung vor Ihrem Vater, auf Ihren Bruder
fiel, war natürlich, er hatte den Secretair polirt,
und mit ihm waren die Juwelen verſchwunden, ich
bemerkte es faſt augenblicklich, denn ich mußte aus
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/hebbel_magdalene_1844 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/hebbel_magdalene_1844/140 |
Zitationshilfe: | Hebbel, Friedrich: Maria Magdalene. Hamburg, 1844, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hebbel_magdalene_1844/140>, abgerufen am 16.02.2025. |