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Hauptmann, Gerhart: Die Weber. Berlin, 1892.

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nur sind sie flüchtig, flüchtig wie Aprilsonnenschein.
Kommen Sie erst in meine Jahre. Wenn man erst
mal dreißig Jahre, das Jahr zweiundfünfzigmal --
ohne die Feiertage -- von der Kanzel herunter den
Leuten sein Wort gesagt hat, dann ist man noth-
wendigerweise ruhiger geworden. Denken Sie an
mich, wenn es mit Jhnen so weit sein wird, Herr
Kandidat.
Weinhold (neunzehnjährig, bleich, mager, hochaufgeschossen mit
schlichtem langen Blondhaar. Er ist sehr unruhig und nervös in seinen Be-
wegungen).
Bei aller Ehrerbietung, Herr Pastor ... Jch
weiß doch nicht ... Es existirt doch eine große Ver-
schiedenheit in den Naturen.
Kittelhaus. Lieber Herr Kandidat, Sie mögen
ein noch so unruhiger Geist sein --
(im Tone eines Verweises)
und das sind Sie -- Sie mögen noch so heftig
und -- ungeberdig gegen die bestehenden Verhältnisse
angehen. Das legt sich alles. Ja, ja, ich gebe
ja zu, wir haben ja Amtsbrüder, die in ziemlich
vorgeschrittenem Alter noch recht jugendliche Streiche
machen. Der eine predigt gegen die Branntweinpest
und gründet Mäßigkeitsvereine, der andere verfaßt
Aufrufe, die sich unleugbar recht ergreifend lesen.
Aber was erreicht er damit? Die Noth unter den
Webern wird, wo sie vorhanden ist, nicht gemildert.
Der sociale Frieden dagegen wird untergraben; nein,
nein, da möchte man wirklich fast sagen: Schuster
bleib bei Deinem Leisten, Seelsorger, werde kein
Wanstsorger. Predige dein reines Gotteswort, und
im übrigen laß Den sorgen, der den Vögeln ihr Bett
und ihr Futter bereitet hat und die Lilie auf dem
Felde nicht läßt verderben. -- Nun aber möcht' ich
doch wirklich wissen, wo unser liebeswürdiger Wirth
so plötzlich hingekommen ist.
Frau Dreißiger (kommt von der Pastorin gefolgt nach
vorn. Sie ist eine dreißigjährige, hübsche Frau von einem kernigen und robusten
Schlage. Ein gewisses Mißverhältniß zwischen ihrer Art zu reden, oder sich zu
nur ſind ſie flüchtig, flüchtig wie Aprilſonnenſchein.
Kommen Sie erſt in meine Jahre. Wenn man erſt
mal dreißig Jahre, das Jahr zweiundfünfzigmal —
ohne die Feiertage — von der Kanzel herunter den
Leuten ſein Wort geſagt hat, dann iſt man noth-
wendigerweiſe ruhiger geworden. Denken Sie an
mich, wenn es mit Jhnen ſo weit ſein wird, Herr
Kandidat.
Weinhold (neunzehnjährig, bleich, mager, hochaufgeſchoſſen mit
ſchlichtem langen Blondhaar. Er iſt ſehr unruhig und nervös in ſeinen Be-
wegungen).
Bei aller Ehrerbietung, Herr Paſtor … Jch
weiß doch nicht … Es exiſtirt doch eine große Ver-
ſchiedenheit in den Naturen.
Kittelhaus. Lieber Herr Kandidat, Sie mögen
ein noch ſo unruhiger Geiſt ſein —
(im Tone eines Verweiſes)
und das ſind Sie — Sie mögen noch ſo heftig
und — ungeberdig gegen die beſtehenden Verhältniſſe
angehen. Das legt ſich alles. Ja, ja, ich gebe
ja zu, wir haben ja Amtsbrüder, die in ziemlich
vorgeſchrittenem Alter noch recht jugendliche Streiche
machen. Der eine predigt gegen die Branntweinpeſt
und gründet Mäßigkeitsvereine, der andere verfaßt
Aufrufe, die ſich unleugbar recht ergreifend leſen.
Aber was erreicht er damit? Die Noth unter den
Webern wird, wo ſie vorhanden iſt, nicht gemildert.
Der ſociale Frieden dagegen wird untergraben; nein,
nein, da möchte man wirklich faſt ſagen: Schuſter
bleib bei Deinem Leiſten, Seelſorger, werde kein
Wanſtſorger. Predige dein reines Gotteswort, und
im übrigen laß Den ſorgen, der den Vögeln ihr Bett
und ihr Futter bereitet hat und die Lilie auf dem
Felde nicht läßt verderben. — Nun aber möcht’ ich
doch wirklich wiſſen, wo unſer liebeswürdiger Wirth
ſo plötzlich hingekommen iſt.
Frau Dreißiger (kommt von der Paſtorin gefolgt nach
vorn. Sie iſt eine dreißigjährige, hübſche Frau von einem kernigen und robuſten
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[74/0087] nur ſind ſie flüchtig, flüchtig wie Aprilſonnenſchein. Kommen Sie erſt in meine Jahre. Wenn man erſt mal dreißig Jahre, das Jahr zweiundfünfzigmal — ohne die Feiertage — von der Kanzel herunter den Leuten ſein Wort geſagt hat, dann iſt man noth- wendigerweiſe ruhiger geworden. Denken Sie an mich, wenn es mit Jhnen ſo weit ſein wird, Herr Kandidat. Weinhold (neunzehnjährig, bleich, mager, hochaufgeſchoſſen mit ſchlichtem langen Blondhaar. Er iſt ſehr unruhig und nervös in ſeinen Be- wegungen). Bei aller Ehrerbietung, Herr Paſtor … Jch weiß doch nicht … Es exiſtirt doch eine große Ver- ſchiedenheit in den Naturen. Kittelhaus. Lieber Herr Kandidat, Sie mögen ein noch ſo unruhiger Geiſt ſein — (im Tone eines Verweiſes) und das ſind Sie — Sie mögen noch ſo heftig und — ungeberdig gegen die beſtehenden Verhältniſſe angehen. Das legt ſich alles. Ja, ja, ich gebe ja zu, wir haben ja Amtsbrüder, die in ziemlich vorgeſchrittenem Alter noch recht jugendliche Streiche machen. Der eine predigt gegen die Branntweinpeſt und gründet Mäßigkeitsvereine, der andere verfaßt Aufrufe, die ſich unleugbar recht ergreifend leſen. Aber was erreicht er damit? Die Noth unter den Webern wird, wo ſie vorhanden iſt, nicht gemildert. Der ſociale Frieden dagegen wird untergraben; nein, nein, da möchte man wirklich faſt ſagen: Schuſter bleib bei Deinem Leiſten, Seelſorger, werde kein Wanſtſorger. Predige dein reines Gotteswort, und im übrigen laß Den ſorgen, der den Vögeln ihr Bett und ihr Futter bereitet hat und die Lilie auf dem Felde nicht läßt verderben. — Nun aber möcht’ ich doch wirklich wiſſen, wo unſer liebeswürdiger Wirth ſo plötzlich hingekommen iſt. Frau Dreißiger (kommt von der Paſtorin gefolgt nach vorn. Sie iſt eine dreißigjährige, hübſche Frau von einem kernigen und robuſten Schlage. Ein gewiſſes Mißverhältniß zwiſchen ihrer Art zu reden, oder ſich zu

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Zitationshilfe: Hauptmann, Gerhart: Die Weber. Berlin, 1892, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hauptmann_weber_1892/87>, abgerufen am 28.04.2024.