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Hauptmann, Gerhart: Die Weber. Berlin, 1892.

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ihr Leute a so ne Menschheet!" -- "Was wolln denn
die?" --
(hastig.) "Die kommen ja iber die Bricke riber!?
--
(ängstlich.) "Die kommen woll uf de kleene Seite?"
(in höchster Ueberraschung und Angst.) "Die kommen zu uns, die
kommen zu uns." "Se holn de Weber aus a Häusern
raus."

(Alle flüchten, das "Haus" ist leer. Ein Schwarm aufständischer beschmutzt,
bestaubt, mit von Schnaps und Anstrengung gerötheten Gesichtern, wüst, über-
nächtigt, abgerissen, dringt mit dem Ruf: "Waber raus!" in's
"Haus" und zerstreut sich von da in die einzelnen Zimmer. Jn's Zimmer
des alten Hilse kommt Bäcker und einige junge Weber mit Knütteln und Stangen
bewaffnet. Als sie den alten Hilse erkennen, stutzen sie, leicht abgekühlt.)
Bäcker. Vater Hilse, hört uf mit der Exterei.
Laßt ihr das Bänkl dricken, wer Lust hat. Jhr
braucht Euch keen'n Schaden nichmehr antreten. Dafor
wird gesorgt wern.
Erster junger Weber. Jhr sollt och ken'n Tag
nich mehr hungrich schlafen gehn.
Zweiter junger Weber. D'r Weber soll wieder
a Dach iber a Kopp und a Hemde uf a Leib kriegen.
Der alte Hilse. Wo bringt euch d'r Teiwel
her mit Stangen und Aexten.
Bäcker. Die schlag mer inzwee uf Dittrichens
Puckel.
Zweiter junger Weber. Die mach m'r glühend
und stoppen se a Fabrikanten in a Rachen. Das se auch
amal merken, wie Hunger brennt.
Dritter junger Weber. Kommt mit, Vater
Hilse! mir geben kee Pardon.
Zweiter junger Weber. Mit uns hat o keener
Erbarmen gehabt. Weder Gott noch Mensch. Jetzt
schaffen mir uns selber Recht.
Der alte Baumert (kommt herein, schon etwas unsicher auf
den Füßen, einen geschlachteten Hahn unter'm Arm. Er breitet die Arme aus).
Brii
-- derle -- mir sein alle Briider! Kommt an mei Herze,
Briider!

(Gelächter.)
Der alte Hilse. A so siehst du aus, Willem!?
ihr Leute a ſo ne Menſchheet!“ — „Was wolln denn
die?“ —
(haſtig.) „Die kommen ja iber die Bricke riber!?
(ängſtlich.) „Die kommen woll uf de kleene Seite?“
(in höchſter Ueberraſchung und Angſt.) „Die kommen zu uns, die
kommen zu uns.“ „Se holn de Weber aus a Häuſern
raus.“

(Alle flüchten, das „Haus“ iſt leer. Ein Schwarm aufſtändiſcher beſchmutzt,
beſtaubt, mit von Schnaps und Anſtrengung gerötheten Geſichtern, wüſt, über-
nächtigt, abgeriſſen, dringt mit dem Ruf: „Waber raus!“ in’s
„Haus“ und zerſtreut ſich von da in die einzelnen Zimmer. Jn’s Zimmer
des alten Hilſe kommt Bäcker und einige junge Weber mit Knütteln und Stangen
bewaffnet. Als ſie den alten Hilſe erkennen, ſtutzen ſie, leicht abgekühlt.)
Bäcker. Vater Hilſe, hört uf mit der Exterei.
Laßt ihr das Bänkl dricken, wer Luſt hat. Jhr
braucht Euch keen’n Schaden nichmehr antreten. Dafor
wird geſorgt wern.
Erſter junger Weber. Jhr ſollt och ken’n Tag
nich mehr hungrich ſchlafen gehn.
Zweiter junger Weber. D’r Weber ſoll wieder
a Dach iber a Kopp und a Hemde uf a Leib kriegen.
Der alte Hilſe. Wo bringt euch d’r Teiwel
her mit Stangen und Aexten.
Bäcker. Die ſchlag mer inzwee uf Dittrichens
Puckel.
Zweiter junger Weber. Die mach m’r glühend
und ſtoppen ſe a Fabrikanten in a Rachen. Das ſe auch
amal merken, wie Hunger brennt.
Dritter junger Weber. Kommt mit, Vater
Hilſe! mir geben kee Pardon.
Zweiter junger Weber. Mit uns hat o keener
Erbarmen gehabt. Weder Gott noch Menſch. Jetzt
ſchaffen mir uns ſelber Recht.
Der alte Baumert (kommt herein, ſchon etwas unſicher auf
den Füßen, einen geſchlachteten Hahn unter’m Arm. Er breitet die Arme aus).
Brii
— derle — mir ſein alle Briider! Kommt an mei Herze,
Briider!

(Gelächter.)
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[109/0122] ihr Leute a ſo ne Menſchheet!“ — „Was wolln denn die?“ — (haſtig.) „Die kommen ja iber die Bricke riber!? — (ängſtlich.) „Die kommen woll uf de kleene Seite?“ (in höchſter Ueberraſchung und Angſt.) „Die kommen zu uns, die kommen zu uns.“ „Se holn de Weber aus a Häuſern raus.“ (Alle flüchten, das „Haus“ iſt leer. Ein Schwarm aufſtändiſcher beſchmutzt, beſtaubt, mit von Schnaps und Anſtrengung gerötheten Geſichtern, wüſt, über- nächtigt, abgeriſſen, dringt mit dem Ruf: „Waber raus!“ in’s „Haus“ und zerſtreut ſich von da in die einzelnen Zimmer. Jn’s Zimmer des alten Hilſe kommt Bäcker und einige junge Weber mit Knütteln und Stangen bewaffnet. Als ſie den alten Hilſe erkennen, ſtutzen ſie, leicht abgekühlt.) Bäcker. Vater Hilſe, hört uf mit der Exterei. Laßt ihr das Bänkl dricken, wer Luſt hat. Jhr braucht Euch keen’n Schaden nichmehr antreten. Dafor wird geſorgt wern. Erſter junger Weber. Jhr ſollt och ken’n Tag nich mehr hungrich ſchlafen gehn. Zweiter junger Weber. D’r Weber ſoll wieder a Dach iber a Kopp und a Hemde uf a Leib kriegen. Der alte Hilſe. Wo bringt euch d’r Teiwel her mit Stangen und Aexten. Bäcker. Die ſchlag mer inzwee uf Dittrichens Puckel. Zweiter junger Weber. Die mach m’r glühend und ſtoppen ſe a Fabrikanten in a Rachen. Das ſe auch amal merken, wie Hunger brennt. Dritter junger Weber. Kommt mit, Vater Hilſe! mir geben kee Pardon. Zweiter junger Weber. Mit uns hat o keener Erbarmen gehabt. Weder Gott noch Menſch. Jetzt ſchaffen mir uns ſelber Recht. Der alte Baumert (kommt herein, ſchon etwas unſicher auf den Füßen, einen geſchlachteten Hahn unter’m Arm. Er breitet die Arme aus). Brii — derle — mir ſein alle Briider! Kommt an mei Herze, Briider! (Gelächter.) Der alte Hilſe. A ſo ſiehſt du aus, Willem!?

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Zitationshilfe: Hauptmann, Gerhart: Die Weber. Berlin, 1892, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hauptmann_weber_1892/122>, abgerufen am 02.05.2024.