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Hauptmann, Gerhart: Vor Sonnenaufgang. Berlin, 1889.

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Hoffmann (wirft Gabel und Messer weg und fährt halb vom
Stuhle auf).
Pf! gerechter Strohsack!! (Er setzt sich wieder.)
Offen gesagt, für so kindisch...verzeih' das harte Wort.
Loth. Du kannst es gerne so benennen.
Hoffmann. Wie in aller Welt bist Du nur
darauf gekommen.
Helene. Für so etwas müssen Sie einen sehr
gewichtigen Grund haben -- denke ich mir wenigstens.
Loth. Der existirt allerdings. Sie, Fräulein!
-- und Du, Hoffmann! weißt wahrscheinlich nicht,
welche furchtbare Rolle der Alkohol in unserem modernen
Leben spielt...Lies Bunge, wenn Du Dir einen
Begriff davon machen willst. -- Mir ist noch gerade
in Erinnerung, was ein gewisser Everett über die Be-
deutung des Alkohols für die Vereinigten Staaten gesagt
hat. -- Notabene es bezieht sich auf einen Zeitraum von
zehn Jahren. Er meint also: der Alkohol hat direct eine
Summe von 3 Milliarden und indirect von 600 Millionen
Dollars verschlungen. Er hat 300000 Menschen ge-
tödtet, 100000 Kinder in die Armenhäuser geschickt,
weitere Tausende in die Gefängnisse und Arbeitshäuser
getrieben, er hat mindestens 2000 Selbstmorde ver-
ursacht. Er hat den Verlust von wenigstens 10 Millionen
Dollars durch Brand und gewaltsame Zerstörung ver-
ursacht, er hat 20000 Wittwen und schließlich nicht
weniger als 1 Million Waisen geschaffen. Die Wirkung
des Alkohols, das ist das Schlimmste, äußert sich so
zu sagen bis in's dritte und vierte Glied. -- Hätte ich
nun das ehrenwörtliche Versprechen abgelegt, nicht zu
heirathen, dann könnte ich schon eher trinken, so aber
...meine Vorfahren sind alle gesunde, kernige und wie
ich weiß, äußerst mäßige Menschen gewesen. Jede Be-
wegung die ich mache, jede Strapaze, die ich überstehe,
jeder Athemzug gleichsam führt mir zu Gemüth, was
ich ihnen verdanke. Und dies, siehst Du, ist der Punkt:
ich bin absolut fest entschlossen die Erbschaft,
Hoffmann (wirft Gabel und Meſſer weg und fährt halb vom
Stuhle auf).
Pf! gerechter Strohſack!! (Er ſetzt ſich wieder.)
Offen geſagt, für ſo kindiſch...verzeih' das harte Wort.
Loth. Du kannſt es gerne ſo benennen.
Hoffmann. Wie in aller Welt biſt Du nur
darauf gekommen.
Helene. Für ſo etwas müſſen Sie einen ſehr
gewichtigen Grund haben — denke ich mir wenigſtens.
Loth. Der exiſtirt allerdings. Sie, Fräulein!
— und Du, Hoffmann! weißt wahrſcheinlich nicht,
welche furchtbare Rolle der Alkohol in unſerem modernen
Leben ſpielt...Lies Bunge, wenn Du Dir einen
Begriff davon machen willſt. — Mir iſt noch gerade
in Erinnerung, was ein gewiſſer Everett über die Be-
deutung des Alkohols für die Vereinigten Staaten geſagt
hat. — Notabene es bezieht ſich auf einen Zeitraum von
zehn Jahren. Er meint alſo: der Alkohol hat direct eine
Summe von 3 Milliarden und indirect von 600 Millionen
Dollars verſchlungen. Er hat 300000 Menſchen ge-
tödtet, 100000 Kinder in die Armenhäuſer geſchickt,
weitere Tauſende in die Gefängniſſe und Arbeitshäuſer
getrieben, er hat mindeſtens 2000 Selbſtmorde ver-
urſacht. Er hat den Verluſt von wenigſtens 10 Millionen
Dollars durch Brand und gewaltſame Zerſtörung ver-
urſacht, er hat 20000 Wittwen und ſchließlich nicht
weniger als 1 Million Waiſen geſchaffen. Die Wirkung
des Alkohols, das iſt das Schlimmſte, äußert ſich ſo
zu ſagen bis in's dritte und vierte Glied. — Hätte ich
nun das ehrenwörtliche Verſprechen abgelegt, nicht zu
heirathen, dann könnte ich ſchon eher trinken, ſo aber
...meine Vorfahren ſind alle geſunde, kernige und wie
ich weiß, äußerſt mäßige Menſchen geweſen. Jede Be-
wegung die ich mache, jede Strapaze, die ich überſtehe,
jeder Athemzug gleichſam führt mir zu Gemüth, was
ich ihnen verdanke. Und dies, ſiehſt Du, iſt der Punkt:
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[31/0037] Hoffmann (wirft Gabel und Meſſer weg und fährt halb vom Stuhle auf). Pf! gerechter Strohſack!! (Er ſetzt ſich wieder.) Offen geſagt, für ſo kindiſch...verzeih' das harte Wort. Loth. Du kannſt es gerne ſo benennen. Hoffmann. Wie in aller Welt biſt Du nur darauf gekommen. Helene. Für ſo etwas müſſen Sie einen ſehr gewichtigen Grund haben — denke ich mir wenigſtens. Loth. Der exiſtirt allerdings. Sie, Fräulein! — und Du, Hoffmann! weißt wahrſcheinlich nicht, welche furchtbare Rolle der Alkohol in unſerem modernen Leben ſpielt...Lies Bunge, wenn Du Dir einen Begriff davon machen willſt. — Mir iſt noch gerade in Erinnerung, was ein gewiſſer Everett über die Be- deutung des Alkohols für die Vereinigten Staaten geſagt hat. — Notabene es bezieht ſich auf einen Zeitraum von zehn Jahren. Er meint alſo: der Alkohol hat direct eine Summe von 3 Milliarden und indirect von 600 Millionen Dollars verſchlungen. Er hat 300000 Menſchen ge- tödtet, 100000 Kinder in die Armenhäuſer geſchickt, weitere Tauſende in die Gefängniſſe und Arbeitshäuſer getrieben, er hat mindeſtens 2000 Selbſtmorde ver- urſacht. Er hat den Verluſt von wenigſtens 10 Millionen Dollars durch Brand und gewaltſame Zerſtörung ver- urſacht, er hat 20000 Wittwen und ſchließlich nicht weniger als 1 Million Waiſen geſchaffen. Die Wirkung des Alkohols, das iſt das Schlimmſte, äußert ſich ſo zu ſagen bis in's dritte und vierte Glied. — Hätte ich nun das ehrenwörtliche Verſprechen abgelegt, nicht zu heirathen, dann könnte ich ſchon eher trinken, ſo aber ...meine Vorfahren ſind alle geſunde, kernige und wie ich weiß, äußerſt mäßige Menſchen geweſen. Jede Be- wegung die ich mache, jede Strapaze, die ich überſtehe, jeder Athemzug gleichſam führt mir zu Gemüth, was ich ihnen verdanke. Und dies, ſiehſt Du, iſt der Punkt: ich bin abſolut feſt entſchloſſen die Erbſchaft,

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Zitationshilfe: Hauptmann, Gerhart: Vor Sonnenaufgang. Berlin, 1889, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hauptmann_sonnenaufgang_1889/37>, abgerufen am 20.04.2024.