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Hauptmann, Gerhart: Der Apostel. Bahnwärter Thiel. Novellistische Studien. Berlin, 1892.

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das Geländer gebeugt, nahm er auf's neue
Licht, Farbe und Frische des Morgens in sich
auf. Der ungestüme, stärkende Wind, der den
See herauf fuhr, wehte ihm den Bart über die
Schulter und umspülte ihm Stirn und Brust,
wie ein kaltes Bad.

Und nun aus der muthigen Aufwallung
seines Innern stieg es auf als ein fester Ent¬
schluß. Die Zeit war gekommen. Etwas mußte
geschehen. In ihm war eine Kraft, die Mensch¬
heit aufzurütteln. Ja wohl! und sie mochten
lachen, spotten und ihn verhöhnen, er würde
sie dennoch erlösen, alle, alle!

Nun fing er an, tief und verschlossen zu
grübeln. Daß es geschehen würde, stand nun
fest; wie es geschehen würde, mußte erwogen
werden. Man feierte heute Pfingsten und das
war gut. Um Pfingsten hatten die Jünger
Jesu mit feurigen Zungen geredet. Die Feier¬
stimmung bedeutete Empfänglichkeit. Einem
erschlossenen Acker gleichen die Seelen der
Menschen an Feiertagen.

Tiefer und tiefer ging er in sich hinein, bis
er in Räume eindrang, weit, hoch, unendlich.
Und so ganz versunken war er mit allen Sinnen
in diese zweite Welt, daß er wie ein Schlafen¬

das Geländer gebeugt, nahm er auf's neue
Licht, Farbe und Friſche des Morgens in ſich
auf. Der ungeſtüme, ſtärkende Wind, der den
See herauf fuhr, wehte ihm den Bart über die
Schulter und umſpülte ihm Stirn und Bruſt,
wie ein kaltes Bad.

Und nun aus der muthigen Aufwallung
ſeines Innern ſtieg es auf als ein feſter Ent¬
ſchluß. Die Zeit war gekommen. Etwas mußte
geſchehen. In ihm war eine Kraft, die Menſch¬
heit aufzurütteln. Ja wohl! und ſie mochten
lachen, ſpotten und ihn verhöhnen, er würde
ſie dennoch erlöſen, alle, alle!

Nun fing er an, tief und verſchloſſen zu
grübeln. Daß es geſchehen würde, ſtand nun
feſt; wie es geſchehen würde, mußte erwogen
werden. Man feierte heute Pfingſten und das
war gut. Um Pfingſten hatten die Jünger
Jeſu mit feurigen Zungen geredet. Die Feier¬
ſtimmung bedeutete Empfänglichkeit. Einem
erſchloſſenen Acker gleichen die Seelen der
Menſchen an Feiertagen.

Tiefer und tiefer ging er in ſich hinein, bis
er in Räume eindrang, weit, hoch, unendlich.
Und ſo ganz verſunken war er mit allen Sinnen
in dieſe zweite Welt, daß er wie ein Schlafen¬

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[86/0100] das Geländer gebeugt, nahm er auf's neue Licht, Farbe und Friſche des Morgens in ſich auf. Der ungeſtüme, ſtärkende Wind, der den See herauf fuhr, wehte ihm den Bart über die Schulter und umſpülte ihm Stirn und Bruſt, wie ein kaltes Bad. Und nun aus der muthigen Aufwallung ſeines Innern ſtieg es auf als ein feſter Ent¬ ſchluß. Die Zeit war gekommen. Etwas mußte geſchehen. In ihm war eine Kraft, die Menſch¬ heit aufzurütteln. Ja wohl! und ſie mochten lachen, ſpotten und ihn verhöhnen, er würde ſie dennoch erlöſen, alle, alle! Nun fing er an, tief und verſchloſſen zu grübeln. Daß es geſchehen würde, ſtand nun feſt; wie es geſchehen würde, mußte erwogen werden. Man feierte heute Pfingſten und das war gut. Um Pfingſten hatten die Jünger Jeſu mit feurigen Zungen geredet. Die Feier¬ ſtimmung bedeutete Empfänglichkeit. Einem erſchloſſenen Acker gleichen die Seelen der Menſchen an Feiertagen. Tiefer und tiefer ging er in ſich hinein, bis er in Räume eindrang, weit, hoch, unendlich. Und ſo ganz verſunken war er mit allen Sinnen in dieſe zweite Welt, daß er wie ein Schlafen¬

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Zitationshilfe: Hauptmann, Gerhart: Der Apostel. Bahnwärter Thiel. Novellistische Studien. Berlin, 1892, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hauptmann_bahnwaerter_1892/100>, abgerufen am 22.11.2024.