Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hauff, Wilhelm: Phantasien im Bremer Rathskeller. Stuttgart, 1827.

Bild:
<< vorherige Seite

alle Abende hier saßen und tranken, war es
nicht genehm, allemal in die Tasche zu fahren
und ihr Geldseckelein heraus zu kriegen. Aufs
Kerbholz ließen sie es schreiben und am Neu¬
jahr ward Abrechnung gehalten, und es gibt
einige wackere Herren, die noch jetzt oft Ge¬
brauch davon machen, aber es sind deren we¬
nige."

"Ja, ja, Kinder," sprach die alte Rose,
"sonst war es anders, so vor fünfzig, hundert,
zweihundert Jahren. Da brachten sie Abends
ihre Weiber und Mädchen mit in den Keller,
und die schönen Bremerkinder tranken Rhein¬
wein oder von unserem Nachbar Moseler, und
waren weit und breit berühmt durch ihre blü¬
henden Wangen, durch ihre purpurrothen Lip¬
pen, durch ihre herrlichen blitzenden Augen;
jetzt trinken sie allerlei miserables Zeug, als
Thee und dergleichen, was weit von hier bei
den Chinesen wachsen soll und was zu meiner

alle Abende hier ſaßen und tranken, war es
nicht genehm, allemal in die Taſche zu fahren
und ihr Geldſeckelein heraus zu kriegen. Aufs
Kerbholz ließen ſie es ſchreiben und am Neu¬
jahr ward Abrechnung gehalten, und es gibt
einige wackere Herren, die noch jetzt oft Ge¬
brauch davon machen, aber es ſind deren we¬
nige.“

„Ja, ja, Kinder,“ ſprach die alte Roſe,
„ſonſt war es anders, ſo vor fuͤnfzig, hundert,
zweihundert Jahren. Da brachten ſie Abends
ihre Weiber und Maͤdchen mit in den Keller,
und die ſchoͤnen Bremerkinder tranken Rhein¬
wein oder von unſerem Nachbar Moſeler, und
waren weit und breit beruͤhmt durch ihre bluͤ¬
henden Wangen, durch ihre purpurrothen Lip¬
pen, durch ihre herrlichen blitzenden Augen;
jetzt trinken ſie allerlei miſerables Zeug, als
Thee und dergleichen, was weit von hier bei
den Chineſen wachſen ſoll und was zu meiner

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0080" n="74"/>
alle Abende hier &#x017F;aßen und tranken, war es<lb/>
nicht genehm, allemal in die Ta&#x017F;che zu fahren<lb/>
und ihr Geld&#x017F;eckelein heraus zu kriegen. Aufs<lb/>
Kerbholz ließen &#x017F;ie es &#x017F;chreiben und am Neu¬<lb/>
jahr ward Abrechnung gehalten, und es gibt<lb/>
einige wackere Herren, die noch jetzt oft Ge¬<lb/>
brauch davon machen, aber es &#x017F;ind deren we¬<lb/>
nige.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ja, ja, Kinder,&#x201C; &#x017F;prach die alte <hi rendition="#g">Ro&#x017F;e</hi>,<lb/>
&#x201E;&#x017F;on&#x017F;t war es anders, &#x017F;o vor fu&#x0364;nfzig, hundert,<lb/>
zweihundert Jahren. Da brachten &#x017F;ie Abends<lb/>
ihre Weiber und Ma&#x0364;dchen mit in den Keller,<lb/>
und die &#x017F;cho&#x0364;nen Bremerkinder tranken Rhein¬<lb/>
wein oder von un&#x017F;erem Nachbar Mo&#x017F;eler, und<lb/>
waren weit und breit beru&#x0364;hmt durch ihre blu&#x0364;¬<lb/>
henden Wangen, durch ihre purpurrothen Lip¬<lb/>
pen, durch ihre herrlichen blitzenden Augen;<lb/>
jetzt trinken &#x017F;ie allerlei mi&#x017F;erables Zeug, als<lb/>
Thee und dergleichen, was weit von hier bei<lb/>
den Chine&#x017F;en wach&#x017F;en &#x017F;oll und was zu meiner<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[74/0080] alle Abende hier ſaßen und tranken, war es nicht genehm, allemal in die Taſche zu fahren und ihr Geldſeckelein heraus zu kriegen. Aufs Kerbholz ließen ſie es ſchreiben und am Neu¬ jahr ward Abrechnung gehalten, und es gibt einige wackere Herren, die noch jetzt oft Ge¬ brauch davon machen, aber es ſind deren we¬ nige.“ „Ja, ja, Kinder,“ ſprach die alte Roſe, „ſonſt war es anders, ſo vor fuͤnfzig, hundert, zweihundert Jahren. Da brachten ſie Abends ihre Weiber und Maͤdchen mit in den Keller, und die ſchoͤnen Bremerkinder tranken Rhein¬ wein oder von unſerem Nachbar Moſeler, und waren weit und breit beruͤhmt durch ihre bluͤ¬ henden Wangen, durch ihre purpurrothen Lip¬ pen, durch ihre herrlichen blitzenden Augen; jetzt trinken ſie allerlei miſerables Zeug, als Thee und dergleichen, was weit von hier bei den Chineſen wachſen ſoll und was zu meiner

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hauff_phantasien_1827
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hauff_phantasien_1827/80
Zitationshilfe: Hauff, Wilhelm: Phantasien im Bremer Rathskeller. Stuttgart, 1827, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hauff_phantasien_1827/80>, abgerufen am 05.05.2024.