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Hauff, Wilhelm: Phantasien im Bremer Rathskeller. Stuttgart, 1827.

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Es ging uns, wie es so manchem Erden¬
sohn ergeht. Wir lasen von Liebe und glaub¬
ten zu lieben. Das wunderbarste und doch
natürlichste an der Sache war, daß die Perio¬
den oder Grade dieser Art Liebe sich nach un¬
serer Lectüre richteten. Haben wir nicht Vergi߬
meinnicht und Ranunkeln gebrochen, und des
Doktors Tochter in G. verschämt überreicht,
und uns einige Thränen ausgepreßt, weil wir
lasen: "das schönste sucht er auf den Fluren,
womit er seine Liebe schmückt"-- "aus seinen
Augen brechen Thränen?" haben wir nicht a la
Wilhelm Meister geliebt, d. h. wir wußten
nicht mehr, war es Emeline oder Camilla, die
Zarte, oder gar Ottilie? Haben nicht alle drei
in zierlichen Schlafmützen hinter den Jalousien
hervorgeschaut, wenn wir Ständchen brach¬
ten im Winter, und die Guitarre weidlich
schlugen, obgleich uns der Frost die Finger
krumm bog? Und nachher, als es sich zeigte,

Es ging uns, wie es ſo manchem Erden¬
ſohn ergeht. Wir laſen von Liebe und glaub¬
ten zu lieben. Das wunderbarſte und doch
natuͤrlichſte an der Sache war, daß die Perio¬
den oder Grade dieſer Art Liebe ſich nach un¬
ſerer Lectuͤre richteten. Haben wir nicht Vergi߬
meinnicht und Ranunkeln gebrochen, und des
Doktors Tochter in G. verſchaͤmt uͤberreicht,
und uns einige Thraͤnen ausgepreßt, weil wir
laſen: „das ſchoͤnſte ſucht er auf den Fluren,
womit er ſeine Liebe ſchmuͤckt“— „aus ſeinen
Augen brechen Thraͤnen?“ haben wir nicht à la
Wilhelm Meiſter geliebt, d. h. wir wußten
nicht mehr, war es Emeline oder Camilla, die
Zarte, oder gar Ottilie? Haben nicht alle drei
in zierlichen Schlafmuͤtzen hinter den Jalouſien
hervorgeſchaut, wenn wir Staͤndchen brach¬
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[43/0049] Es ging uns, wie es ſo manchem Erden¬ ſohn ergeht. Wir laſen von Liebe und glaub¬ ten zu lieben. Das wunderbarſte und doch natuͤrlichſte an der Sache war, daß die Perio¬ den oder Grade dieſer Art Liebe ſich nach un¬ ſerer Lectuͤre richteten. Haben wir nicht Vergi߬ meinnicht und Ranunkeln gebrochen, und des Doktors Tochter in G. verſchaͤmt uͤberreicht, und uns einige Thraͤnen ausgepreßt, weil wir laſen: „das ſchoͤnſte ſucht er auf den Fluren, womit er ſeine Liebe ſchmuͤckt“— „aus ſeinen Augen brechen Thraͤnen?“ haben wir nicht à la Wilhelm Meiſter geliebt, d. h. wir wußten nicht mehr, war es Emeline oder Camilla, die Zarte, oder gar Ottilie? Haben nicht alle drei in zierlichen Schlafmuͤtzen hinter den Jalouſien hervorgeſchaut, wenn wir Staͤndchen brach¬ ten im Winter, und die Guitarre weidlich ſchlugen, obgleich uns der Froſt die Finger krumm bog? Und nachher, als es ſich zeigte,

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Zitationshilfe: Hauff, Wilhelm: Phantasien im Bremer Rathskeller. Stuttgart, 1827, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hauff_phantasien_1827/49>, abgerufen am 19.04.2024.