daß die Weingeister aufstehen diese Nacht und einander besuchen, wie immer am ersten Sep¬ tember? Und sollt' ich meinen Dienst ver¬ lieren, ich laufe davon, wenn Ihr noch solche Worte sprecht. Noch ist es nicht zwölf Uhr, aber kann denn nicht alle Augenblicke einer aus dem Faß kriechen mit gräulichem Ge¬ sicht und uns zu Tode schrecken?"
"Alter, du faselst! Doch sey ruhig; ich will kein Wort mehr sprechen, daß deine Weingespenster nicht wach werden. Doch jetzt führe mich zur Rose." Wir gingen weiter, wir traten ein in das Gewölbe, in das Ro¬ sengärtlein von Bremen. Da lag sie, die alte Rose; groß, ungeheuer, mit einer Art von gebietender Hoheit. Welch ungeheures Faß; und jeder Römer ein Stück Goldes werth! Anno 1615! wo sind die Hände, die dich pflanzten! wo die Augen, die sich an deiner Blüthe erfreuten? wo die fröhlichen Menschen
daß die Weingeiſter aufſtehen dieſe Nacht und einander beſuchen, wie immer am erſten Sep¬ tember? Und ſollt' ich meinen Dienſt ver¬ lieren, ich laufe davon, wenn Ihr noch ſolche Worte ſprecht. Noch iſt es nicht zwoͤlf Uhr, aber kann denn nicht alle Augenblicke einer aus dem Faß kriechen mit graͤulichem Ge¬ ſicht und uns zu Tode ſchrecken?“
„Alter, du faſelſt! Doch ſey ruhig; ich will kein Wort mehr ſprechen, daß deine Weingeſpenſter nicht wach werden. Doch jetzt fuͤhre mich zur Roſe.“ Wir gingen weiter, wir traten ein in das Gewoͤlbe, in das Ro¬ ſengaͤrtlein von Bremen. Da lag ſie, die alte Roſe; groß, ungeheuer, mit einer Art von gebietender Hoheit. Welch ungeheures Faß; und jeder Roͤmer ein Stuͤck Goldes werth! Anno 1615! wo ſind die Haͤnde, die dich pflanzten! wo die Augen, die ſich an deiner Bluͤthe erfreuten? wo die froͤhlichen Menſchen
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daß die Weingeiſter aufſtehen dieſe Nacht und
einander beſuchen, wie immer am erſten Sep¬
tember? Und ſollt' ich meinen Dienſt ver¬
lieren, ich laufe davon, wenn Ihr noch ſolche
Worte ſprecht. Noch iſt es nicht zwoͤlf Uhr,
aber kann denn nicht alle Augenblicke einer
aus dem Faß kriechen mit graͤulichem Ge¬
ſicht und uns zu Tode ſchrecken?“
„Alter, du faſelſt! Doch ſey ruhig; ich
will kein Wort mehr ſprechen, daß deine
Weingeſpenſter nicht wach werden. Doch jetzt
fuͤhre mich zur Roſe.“ Wir gingen weiter,
wir traten ein in das Gewoͤlbe, in das Ro¬
ſengaͤrtlein von Bremen. Da lag ſie, die
alte Roſe; groß, ungeheuer, mit einer Art
von gebietender Hoheit. Welch ungeheures
Faß; und jeder Roͤmer ein Stuͤck Goldes werth!
Anno 1615! wo ſind die Haͤnde, die dich
pflanzten! wo die Augen, die ſich an deiner
Bluͤthe erfreuten? wo die froͤhlichen Menſchen
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Hauff, Wilhelm: Phantasien im Bremer Rathskeller. Stuttgart, 1827, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hauff_phantasien_1827/34>, abgerufen am 16.07.2024.
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